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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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gleich, -- mehr liege, als ein Mensch fassen könnte,
daß jede Seele es auf sich zu ziehen wünsche, aber unge-
wis sei, ob sie's auch thun dürfe etc. Das alles ward
mit einer lieblichen, zarten, freundlichen Stimme vorge-
tragen. Ich konnte leider nicht viel mehr davon hören,
weil ich noch nach Utrecht zurücklaufen muste, eh das
Thor geschlossen wurde, aber man sage, was man will,
wär ich nahe bei diesem glücklichen Ort, ich käme oft zu
diesen Versammlungen.

Auf dem Rückwege kam ich erst ins Regenwetter,
hernach sah ich etlichemahl das sogenannte Sternschies-
sen. So geschwind wechselt die Witterung in diesem
Lande ab.

Den 23sten Aug.

Heute besah ich

Van Molls Seidenhaspel. -- Dieser Mann,
der nun schon 30. Jahre todt ist, hat in seinem prächtigen
Garten haussen vor der Stadt eine grosse sehenswürdige
Maschine, die Seide abzuhaspeln, zuerst angelegt. Der
Platz führt noch seinen Namen, die Fabrik aber und der
Garten dabei gehört seiner Wittwe, die nachher einen
Ciderveldt geheirathet hat, von dem sie auch wieder
Wittwe ist. In einem grossen Saal a plein pied sind
9. Schuh hohe Stellagen in Oval angelegt, auf jeder
sind in 2. Reihen übereinander 140. Seidenspulen. Ue-
ber diesen ist ein grosser Balken, an dem werden die Ha-
spel eingesteckt, über diese Haspel hängt man die Seiden-
stränge, und diese werden durch das Umwälzen des Bal-
kens auf die unten stehenden Spulen abgewickelt. Zu-
gleich drehen sich unten die Spulen herum, wickeln die

Seide

gleich, — mehr liege, als ein Menſch faſſen koͤnnte,
daß jede Seele es auf ſich zu ziehen wuͤnſche, aber unge-
wis ſei, ob ſie’s auch thun duͤrfe ꝛc. Das alles ward
mit einer lieblichen, zarten, freundlichen Stimme vorge-
tragen. Ich konnte leider nicht viel mehr davon hoͤren,
weil ich noch nach Utrecht zuruͤcklaufen muſte, eh das
Thor geſchloſſen wurde, aber man ſage, was man will,
waͤr ich nahe bei dieſem gluͤcklichen Ort, ich kaͤme oft zu
dieſen Verſammlungen.

Auf dem Ruͤckwege kam ich erſt ins Regenwetter,
hernach ſah ich etlichemahl das ſogenannte Sternſchieſ-
ſen. So geſchwind wechſelt die Witterung in dieſem
Lande ab.

Den 23ſten Aug.

Heute beſah ich

Van Molls Seidenhaſpel. — Dieſer Mann,
der nun ſchon 30. Jahre todt iſt, hat in ſeinem praͤchtigen
Garten hauſſen vor der Stadt eine groſſe ſehenswuͤrdige
Maſchine, die Seide abzuhaſpeln, zuerſt angelegt. Der
Platz fuͤhrt noch ſeinen Namen, die Fabrik aber und der
Garten dabei gehoͤrt ſeiner Wittwe, die nachher einen
Ciderveldt geheirathet hat, von dem ſie auch wieder
Wittwe iſt. In einem groſſen Saal a plein pied ſind
9. Schuh hohe Stellagen in Oval angelegt, auf jeder
ſind in 2. Reihen uͤbereinander 140. Seidenſpulen. Ue-
ber dieſen iſt ein groſſer Balken, an dem werden die Ha-
ſpel eingeſteckt, uͤber dieſe Haſpel haͤngt man die Seiden-
ſtraͤnge, und dieſe werden durch das Umwaͤlzen des Bal-
kens auf die unten ſtehenden Spulen abgewickelt. Zu-
gleich drehen ſich unten die Spulen herum, wickeln die

Seide
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[598/0622] gleich, — mehr liege, als ein Menſch faſſen koͤnnte, daß jede Seele es auf ſich zu ziehen wuͤnſche, aber unge- wis ſei, ob ſie’s auch thun duͤrfe ꝛc. Das alles ward mit einer lieblichen, zarten, freundlichen Stimme vorge- tragen. Ich konnte leider nicht viel mehr davon hoͤren, weil ich noch nach Utrecht zuruͤcklaufen muſte, eh das Thor geſchloſſen wurde, aber man ſage, was man will, waͤr ich nahe bei dieſem gluͤcklichen Ort, ich kaͤme oft zu dieſen Verſammlungen. Auf dem Ruͤckwege kam ich erſt ins Regenwetter, hernach ſah ich etlichemahl das ſogenannte Sternſchieſ- ſen. So geſchwind wechſelt die Witterung in dieſem Lande ab. Den 23ſten Aug. Heute beſah ich Van Molls Seidenhaſpel. — Dieſer Mann, der nun ſchon 30. Jahre todt iſt, hat in ſeinem praͤchtigen Garten hauſſen vor der Stadt eine groſſe ſehenswuͤrdige Maſchine, die Seide abzuhaſpeln, zuerſt angelegt. Der Platz fuͤhrt noch ſeinen Namen, die Fabrik aber und der Garten dabei gehoͤrt ſeiner Wittwe, die nachher einen Ciderveldt geheirathet hat, von dem ſie auch wieder Wittwe iſt. In einem groſſen Saal a plein pied ſind 9. Schuh hohe Stellagen in Oval angelegt, auf jeder ſind in 2. Reihen uͤbereinander 140. Seidenſpulen. Ue- ber dieſen iſt ein groſſer Balken, an dem werden die Ha- ſpel eingeſteckt, uͤber dieſe Haſpel haͤngt man die Seiden- ſtraͤnge, und dieſe werden durch das Umwaͤlzen des Bal- kens auf die unten ſtehenden Spulen abgewickelt. Zu- gleich drehen ſich unten die Spulen herum, wickeln die Seide

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/622>, abgerufen am 30.04.2024.