Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Tradition (d). Sie stehen also gleich Anfangs zu dem
Erwerber in demselben Verhältniß, wie die organischen
Früchte nach der Veräußerung, d. h. sie haben von Anfang
an die Natur der fructus consumti.

Mit der erwähnten besonders wichtigen Eigenschaft aller
Früchte, nach welcher auf sie eine regelmäßige Erwartung,
eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, steht noch
folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das
fruchttragende Vermögensstück in der Lage ist, Früchte zu
erwerben, kann diese Fähigkeit entweder gebrauchen, oder
auch (absichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt lassen.
Diese Unterlassung ist an sich eben so gleichgültig, wie jede
andere verständige oder unverständige Behandlung des Ei-
genthums. Sie kann aber eine juristische Bedeutung
bekommen, wenn der Unterlassende in einem besonderen
Rechtsverhältniß steht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet.
Diesen Fall bezeichnen neuere Schriftsteller durch den Aus-
druck fructus percipiendi, welcher weder römisch noch an
sich zweckmäßig ist (e). Ich werde dafür den Ausdruck:
versäumte Früchte gebrauchen.


(d) Das Product der Sclaven-
arbeit wurde bei den Römern er-
worben in Folge des allgemeinen
Grundsatzes, nach welchem alle zum
Erwerb geeignete Handlungen eines
Sclaven dem Herrn zu gut kom-
men konnten und mußten; also
nicht eigentlich durch ein Rechts-
geschäft, aber doch vermöge einer
positiven Rechtsregel.
(e) Ich will nicht sagen, daß
an sich die Zusammensetzung dieser
beiden Ausdrücke unlateinisch sey,
allein als technische Bezeichnung
des oben angegebenen Verhältnisses
kommt sie bei den Römern nie-
mals vor, welche stets Umschrei-
bungen dafür gebrauchen. Der
Ausdruck ist auch unpassend, weil
er an sich auch auf die nur noch nicht

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Tradition (d). Sie ſtehen alſo gleich Anfangs zu dem
Erwerber in demſelben Verhältniß, wie die organiſchen
Früchte nach der Veräußerung, d. h. ſie haben von Anfang
an die Natur der fructus consumti.

Mit der erwähnten beſonders wichtigen Eigenſchaft aller
Früchte, nach welcher auf ſie eine regelmäßige Erwartung,
eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, ſteht noch
folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das
fruchttragende Vermögensſtück in der Lage iſt, Früchte zu
erwerben, kann dieſe Fähigkeit entweder gebrauchen, oder
auch (abſichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt laſſen.
Dieſe Unterlaſſung iſt an ſich eben ſo gleichgültig, wie jede
andere verſtändige oder unverſtändige Behandlung des Ei-
genthums. Sie kann aber eine juriſtiſche Bedeutung
bekommen, wenn der Unterlaſſende in einem beſonderen
Rechtsverhältniß ſteht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet.
Dieſen Fall bezeichnen neuere Schriftſteller durch den Aus-
druck fructus percipiendi, welcher weder römiſch noch an
ſich zweckmäßig iſt (e). Ich werde dafür den Ausdruck:
verſäumte Früchte gebrauchen.


(d) Das Product der Sclaven-
arbeit wurde bei den Römern er-
worben in Folge des allgemeinen
Grundſatzes, nach welchem alle zum
Erwerb geeignete Handlungen eines
Sclaven dem Herrn zu gut kom-
men konnten und mußten; alſo
nicht eigentlich durch ein Rechts-
geſchäft, aber doch vermöge einer
poſitiven Rechtsregel.
(e) Ich will nicht ſagen, daß
an ſich die Zuſammenſetzung dieſer
beiden Ausdrücke unlateiniſch ſey,
allein als techniſche Bezeichnung
des oben angegebenen Verhältniſſes
kommt ſie bei den Römern nie-
mals vor, welche ſtets Umſchrei-
bungen dafür gebrauchen. Der
Ausdruck iſt auch unpaſſend, weil
er an ſich auch auf die nur noch nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0122" n="104"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/>
Tradition <note place="foot" n="(d)">Das Product der Sclaven-<lb/>
arbeit wurde bei den Römern er-<lb/>
worben in Folge des allgemeinen<lb/>
Grund&#x017F;atzes, nach welchem alle zum<lb/>
Erwerb geeignete Handlungen eines<lb/>
Sclaven dem Herrn zu gut kom-<lb/>
men konnten und mußten; al&#x017F;o<lb/>
nicht eigentlich durch ein Rechts-<lb/>
ge&#x017F;chäft, aber doch vermöge einer<lb/>
po&#x017F;itiven Rechtsregel.</note>. Sie &#x017F;tehen al&#x017F;o gleich Anfangs zu dem<lb/>
Erwerber in dem&#x017F;elben Verhältniß, wie die organi&#x017F;chen<lb/>
Früchte nach der Veräußerung, d. h. &#x017F;ie haben von Anfang<lb/>
an die Natur der <hi rendition="#aq">fructus consumti.</hi></p><lb/>
            <p>Mit der erwähnten be&#x017F;onders wichtigen Eigen&#x017F;chaft aller<lb/>
Früchte, nach welcher auf &#x017F;ie eine regelmäßige Erwartung,<lb/>
eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, &#x017F;teht noch<lb/>
folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das<lb/>
fruchttragende Vermögens&#x017F;tück in der Lage i&#x017F;t, Früchte zu<lb/>
erwerben, kann die&#x017F;e Fähigkeit entweder gebrauchen, oder<lb/>
auch (ab&#x017F;ichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die&#x017F;e Unterla&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t an &#x017F;ich eben &#x017F;o gleichgültig, wie jede<lb/>
andere ver&#x017F;tändige oder unver&#x017F;tändige Behandlung des Ei-<lb/>
genthums. Sie kann aber eine juri&#x017F;ti&#x017F;che Bedeutung<lb/>
bekommen, wenn der Unterla&#x017F;&#x017F;ende in einem be&#x017F;onderen<lb/>
Rechtsverhältniß &#x017F;teht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet.<lb/>
Die&#x017F;en Fall bezeichnen neuere Schrift&#x017F;teller durch den Aus-<lb/>
druck <hi rendition="#aq">fructus percipiendi,</hi> welcher weder römi&#x017F;ch noch an<lb/>
&#x017F;ich zweckmäßig i&#x017F;t <note xml:id="seg2pn_16_1" next="#seg2pn_16_2" place="foot" n="(e)">Ich will nicht &#x017F;agen, daß<lb/>
an &#x017F;ich die Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung die&#x017F;er<lb/>
beiden Ausdrücke unlateini&#x017F;ch &#x017F;ey,<lb/>
allein als techni&#x017F;che Bezeichnung<lb/>
des oben angegebenen Verhältni&#x017F;&#x017F;es<lb/>
kommt &#x017F;ie bei den Römern nie-<lb/>
mals vor, welche &#x017F;tets Um&#x017F;chrei-<lb/>
bungen dafür gebrauchen. Der<lb/>
Ausdruck i&#x017F;t auch unpa&#x017F;&#x017F;end, weil<lb/>
er an &#x017F;ich auch auf die nur noch nicht</note>. Ich werde dafür den Ausdruck:<lb/><hi rendition="#g">ver&#x017F;äumte Früchte</hi> gebrauchen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0122] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Tradition (d). Sie ſtehen alſo gleich Anfangs zu dem Erwerber in demſelben Verhältniß, wie die organiſchen Früchte nach der Veräußerung, d. h. ſie haben von Anfang an die Natur der fructus consumti. Mit der erwähnten beſonders wichtigen Eigenſchaft aller Früchte, nach welcher auf ſie eine regelmäßige Erwartung, eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, ſteht noch folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das fruchttragende Vermögensſtück in der Lage iſt, Früchte zu erwerben, kann dieſe Fähigkeit entweder gebrauchen, oder auch (abſichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt laſſen. Dieſe Unterlaſſung iſt an ſich eben ſo gleichgültig, wie jede andere verſtändige oder unverſtändige Behandlung des Ei- genthums. Sie kann aber eine juriſtiſche Bedeutung bekommen, wenn der Unterlaſſende in einem beſonderen Rechtsverhältniß ſteht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet. Dieſen Fall bezeichnen neuere Schriftſteller durch den Aus- druck fructus percipiendi, welcher weder römiſch noch an ſich zweckmäßig iſt (e). Ich werde dafür den Ausdruck: verſäumte Früchte gebrauchen. (d) Das Product der Sclaven- arbeit wurde bei den Römern er- worben in Folge des allgemeinen Grundſatzes, nach welchem alle zum Erwerb geeignete Handlungen eines Sclaven dem Herrn zu gut kom- men konnten und mußten; alſo nicht eigentlich durch ein Rechts- geſchäft, aber doch vermöge einer poſitiven Rechtsregel. (e) Ich will nicht ſagen, daß an ſich die Zuſammenſetzung dieſer beiden Ausdrücke unlateiniſch ſey, allein als techniſche Bezeichnung des oben angegebenen Verhältniſſes kommt ſie bei den Römern nie- mals vor, welche ſtets Umſchrei- bungen dafür gebrauchen. Der Ausdruck iſt auch unpaſſend, weil er an ſich auch auf die nur noch nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/122
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/122>, abgerufen am 03.05.2024.