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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.

I. Die erste dieser Einschränkungen wird darin gesetzt,
daß der Kläger die streitige Sache, wenn sie ihm zu rechter
Zeit gewährt worden wäre, verkauft und eben dadurch
jeden Schaden für sein Vermögen abgewendet haben müßte.
Natürlich wird dabei hinzugedacht, daß der Kläger beweisen
müsse, er würde verkauft haben.

Betrachten wir zuerst diese Frage im Allgemeinen, nach
der inneren Natur des Rechtsverhältnisses, so muß uns
jene Behauptung sehr bedenklich erscheinen. Wer einem
Andern eine Sache zu geben schuldig ist, und dieses mit
wahrer Mora unterläßt, begeht dadurch ein Unrecht mit
Bewußtseyn, welches unter andern die Folge hat, daß dem
Creditor einstweilen der Verkauf der Sache unmöglich
gemacht wird (a). Für diesen Nachtheil kann er dem
Gegner im Fall eines zufälligen Untergangs nur dadurch
wahren, vollständigen Ersatz leisten, daß er ihm den Werth
der Sache bezahlt. Dabei erscheint also die entzogene
Möglichkeit des Verkaufs als Motiv der strengen Ver-
pflichtung. Durch die oben angegebene Behauptung soll
nun dieses Motiv in eine Bedingung verwandelt werden,
so daß der Kläger nur dann einen Ersatz fordern könnte,
wenn er bewiese, daß er von jener Möglichkeit Gebrauch
gemacht, also in der That verkauft haben würde. Dadurch
wird aber die ganze Regel so gut als völlig entkräftet.

(a) Nämlich factisch unmöglich
fast immer, so lange der Besitz
(vielleicht auch das zu verschaffende
Eigenthum) dem Kläger entzogen
ist; zuweilen auch juristisch un-
möglich, während des Rechtsstreits,
wegen der Vorschriften über das
litigiosum.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Die erſte dieſer Einſchränkungen wird darin geſetzt,
daß der Kläger die ſtreitige Sache, wenn ſie ihm zu rechter
Zeit gewährt worden wäre, verkauft und eben dadurch
jeden Schaden für ſein Vermögen abgewendet haben müßte.
Natürlich wird dabei hinzugedacht, daß der Kläger beweiſen
müſſe, er würde verkauft haben.

Betrachten wir zuerſt dieſe Frage im Allgemeinen, nach
der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes, ſo muß uns
jene Behauptung ſehr bedenklich erſcheinen. Wer einem
Andern eine Sache zu geben ſchuldig iſt, und dieſes mit
wahrer Mora unterläßt, begeht dadurch ein Unrecht mit
Bewußtſeyn, welches unter andern die Folge hat, daß dem
Creditor einſtweilen der Verkauf der Sache unmöglich
gemacht wird (a). Für dieſen Nachtheil kann er dem
Gegner im Fall eines zufälligen Untergangs nur dadurch
wahren, vollſtändigen Erſatz leiſten, daß er ihm den Werth
der Sache bezahlt. Dabei erſcheint alſo die entzogene
Möglichkeit des Verkaufs als Motiv der ſtrengen Ver-
pflichtung. Durch die oben angegebene Behauptung ſoll
nun dieſes Motiv in eine Bedingung verwandelt werden,
ſo daß der Kläger nur dann einen Erſatz fordern könnte,
wenn er bewieſe, daß er von jener Möglichkeit Gebrauch
gemacht, alſo in der That verkauft haben würde. Dadurch
wird aber die ganze Regel ſo gut als völlig entkräftet.

(a) Nämlich factiſch unmöglich
faſt immer, ſo lange der Beſitz
(vielleicht auch das zu verſchaffende
Eigenthum) dem Kläger entzogen
iſt; zuweilen auch juriſtiſch un-
möglich, während des Rechtsſtreits,
wegen der Vorſchriften über das
litigiosum.
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[184/0202] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. I. Die erſte dieſer Einſchränkungen wird darin geſetzt, daß der Kläger die ſtreitige Sache, wenn ſie ihm zu rechter Zeit gewährt worden wäre, verkauft und eben dadurch jeden Schaden für ſein Vermögen abgewendet haben müßte. Natürlich wird dabei hinzugedacht, daß der Kläger beweiſen müſſe, er würde verkauft haben. Betrachten wir zuerſt dieſe Frage im Allgemeinen, nach der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes, ſo muß uns jene Behauptung ſehr bedenklich erſcheinen. Wer einem Andern eine Sache zu geben ſchuldig iſt, und dieſes mit wahrer Mora unterläßt, begeht dadurch ein Unrecht mit Bewußtſeyn, welches unter andern die Folge hat, daß dem Creditor einſtweilen der Verkauf der Sache unmöglich gemacht wird (a). Für dieſen Nachtheil kann er dem Gegner im Fall eines zufälligen Untergangs nur dadurch wahren, vollſtändigen Erſatz leiſten, daß er ihm den Werth der Sache bezahlt. Dabei erſcheint alſo die entzogene Möglichkeit des Verkaufs als Motiv der ſtrengen Ver- pflichtung. Durch die oben angegebene Behauptung ſoll nun dieſes Motiv in eine Bedingung verwandelt werden, ſo daß der Kläger nur dann einen Erſatz fordern könnte, wenn er bewieſe, daß er von jener Möglichkeit Gebrauch gemacht, alſo in der That verkauft haben würde. Dadurch wird aber die ganze Regel ſo gut als völlig entkräftet. (a) Nämlich factiſch unmöglich faſt immer, ſo lange der Beſitz (vielleicht auch das zu verſchaffende Eigenthum) dem Kläger entzogen iſt; zuweilen auch juriſtiſch un- möglich, während des Rechtsſtreits, wegen der Vorſchriften über das litigiosum.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/202>, abgerufen am 26.04.2024.