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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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verkünden -- aber sie schwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt.
Sie zog sie zurück.

Seid fromm und tapfer! sprach sie aus dem Gemache schreitend.
Es klang wie Hohn ..

Kaum länger, als Einer braucht um das Vaterunser zu beten,
war die Herzogin bei Ekkehard gewesen, aber es war mehr geschehen
als er ahnen mochte.

Er schritt wieder in der Thurmstube auf und ab; "du sollst dich
selbst verläugnen und dem Herrn nachfolgen:" so war's in Benedict's
Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt -- er wollte schier
stolz sein auf den Sieg, den er über sich errungen, aber Frau Hadwig
war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgestiegen, und wo
ein hochfahrend Gemüth sich verschmäht glaubt, da sind böse Tage
im Anzug.

Es war die siebente Stunde des Morgens, da hielten sie im Hof
von Hohentwiel den Gottesdienst vor dem Auszug. Unter der Linde
war der Altar aufgeschlagen, die geflüchteten Heiligthümer standen
drauf zum Trost der Gläubigen. Der Hof erfüllte sich mit Gewaff-
neten, Mann an Mann standen die Rotten der Streiter, wie Simon
Bardo sie abgetheilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Gesang
der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das schwarze
Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrirte das Hochamt.

Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete
sein Auge über die Häupter der Versammelten, noch einmal zog's ihm
durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Frist im einsamen Gemach
der Herzogin gegenüber gestanden -- dann las er das Evangelium
von Leiden und Tod des Erlösers. Mälig ward seine Stimme klar
und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diacon, daß er's zurück-
lege auf das seidene Kissen; sein Blick flog gen Himmel -- dann
hub er die Predigt an.

Lautlos horchte die Menge.

Schier tausend Jahre sind vorüber, rief er, seit der Sohn Gottes
sein Haupt am Kreuzesstamm neigte und sprach: es ist vollbracht!
Aber wir haben der Erlösung keine Stätte bereitet in unsern Ge-
müthern, in Sünden sind wir gewandelt und die Aergernisse, die wir
gaben in unserer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geschrieen.

verkünden — aber ſie ſchwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt.
Sie zog ſie zurück.

Seid fromm und tapfer! ſprach ſie aus dem Gemache ſchreitend.
Es klang wie Hohn ..

Kaum länger, als Einer braucht um das Vaterunſer zu beten,
war die Herzogin bei Ekkehard geweſen, aber es war mehr geſchehen
als er ahnen mochte.

Er ſchritt wieder in der Thurmſtube auf und ab; „du ſollſt dich
ſelbſt verläugnen und dem Herrn nachfolgen:“ ſo war's in Benedict's
Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt — er wollte ſchier
ſtolz ſein auf den Sieg, den er über ſich errungen, aber Frau Hadwig
war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgeſtiegen, und wo
ein hochfahrend Gemüth ſich verſchmäht glaubt, da ſind böſe Tage
im Anzug.

Es war die ſiebente Stunde des Morgens, da hielten ſie im Hof
von Hohentwiel den Gottesdienſt vor dem Auszug. Unter der Linde
war der Altar aufgeſchlagen, die geflüchteten Heiligthümer ſtanden
drauf zum Troſt der Gläubigen. Der Hof erfüllte ſich mit Gewaff-
neten, Mann an Mann ſtanden die Rotten der Streiter, wie Simon
Bardo ſie abgetheilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Geſang
der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das ſchwarze
Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrirte das Hochamt.

Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete
ſein Auge über die Häupter der Verſammelten, noch einmal zog's ihm
durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Friſt im einſamen Gemach
der Herzogin gegenüber geſtanden — dann las er das Evangelium
von Leiden und Tod des Erlöſers. Mälig ward ſeine Stimme klar
und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diacon, daß er's zurück-
lege auf das ſeidene Kiſſen; ſein Blick flog gen Himmel — dann
hub er die Predigt an.

Lautlos horchte die Menge.

Schier tauſend Jahre ſind vorüber, rief er, ſeit der Sohn Gottes
ſein Haupt am Kreuzesſtamm neigte und ſprach: es iſt vollbracht!
Aber wir haben der Erlöſung keine Stätte bereitet in unſern Ge-
müthern, in Sünden ſind wir gewandelt und die Aergerniſſe, die wir
gaben in unſerer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geſchrieen.

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[182/0204] verkünden — aber ſie ſchwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt. Sie zog ſie zurück. Seid fromm und tapfer! ſprach ſie aus dem Gemache ſchreitend. Es klang wie Hohn .. Kaum länger, als Einer braucht um das Vaterunſer zu beten, war die Herzogin bei Ekkehard geweſen, aber es war mehr geſchehen als er ahnen mochte. Er ſchritt wieder in der Thurmſtube auf und ab; „du ſollſt dich ſelbſt verläugnen und dem Herrn nachfolgen:“ ſo war's in Benedict's Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt — er wollte ſchier ſtolz ſein auf den Sieg, den er über ſich errungen, aber Frau Hadwig war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgeſtiegen, und wo ein hochfahrend Gemüth ſich verſchmäht glaubt, da ſind böſe Tage im Anzug. Es war die ſiebente Stunde des Morgens, da hielten ſie im Hof von Hohentwiel den Gottesdienſt vor dem Auszug. Unter der Linde war der Altar aufgeſchlagen, die geflüchteten Heiligthümer ſtanden drauf zum Troſt der Gläubigen. Der Hof erfüllte ſich mit Gewaff- neten, Mann an Mann ſtanden die Rotten der Streiter, wie Simon Bardo ſie abgetheilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Geſang der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das ſchwarze Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrirte das Hochamt. Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete ſein Auge über die Häupter der Verſammelten, noch einmal zog's ihm durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Friſt im einſamen Gemach der Herzogin gegenüber geſtanden — dann las er das Evangelium von Leiden und Tod des Erlöſers. Mälig ward ſeine Stimme klar und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diacon, daß er's zurück- lege auf das ſeidene Kiſſen; ſein Blick flog gen Himmel — dann hub er die Predigt an. Lautlos horchte die Menge. Schier tauſend Jahre ſind vorüber, rief er, ſeit der Sohn Gottes ſein Haupt am Kreuzesſtamm neigte und ſprach: es iſt vollbracht! Aber wir haben der Erlöſung keine Stätte bereitet in unſern Ge- müthern, in Sünden ſind wir gewandelt und die Aergerniſſe, die wir gaben in unſerer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geſchrieen.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/204>, abgerufen am 29.04.2024.