Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

rissen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig still stehen wollte, sprach
sie: Audifax! und hob ihn vorwärts.

Jetzt war sie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild-
wasser hatte sich Bahn durch sie gebrochen und stürzte in klarem Fall
drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Wasserduft, röthliches
Moos hatte sich dran fest genistet wie eine Vergoldung; die Fluth
leckte hinauf und brauste wechselnd drüber hin, bis sie wenig Schritte
davon in tiefgrün durchsichtigem Becken still hielt und ausruhte, wie
ein müder Mann, der sich und seines Lebens Tollheiten klar beschauen
will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern sprießten auf; der
Wasserschaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte
Libellen flogen auf und ab, als wären sie die Geister verstorbener Elfen.

Träumerisch hallte das einsame Stürzen des Bachs in's Herz des
hungernden Kindes. Mit dem Bach sollte sie weiter gehen, hinab
zum Rhein. Alles war verwachsen, wie wenn nie ein Mensch seinen
Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha-
dumoth herüber, sie legte sich nieder. Es rauschte so kühl und lang,
es rauschte sie in Schlummer. Den rechten Arm ausgestreckt, daß das
Haupt drauf ruhte, lag sie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie
träumte. Von wem? -- Die blauen Wasserjungfern haben Nichts
verplaudert ...

Ein leichter Wasserguß aus hohler Hand scheuchte sie aus ihrem
Traum. Wie sie langsam die Augen aufschlug, stund ein Mann vor
ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem Tschoben, die Füße nackt
bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau-
getupfte Forellen schwammen, lagen im Grase bei ihm. Er hatte die
Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob sie ein Menschenkind, ging
er, Wasser zu schöpfen und weckte sie.

Wo bin ich? fragte Hadumoth sonder Furcht.

Am Wieladinger Strahl! sprach der Fischer. Das Wasser ist die
Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie kommst aber
du auf den Wald, Mägdlein? bist vom Himmel heruntergefallen?

Ich komm' weither; bei uns sind die Berge anders und wachsen
einzeln und steil aus der Ebene auf und steht ein Jeder für sich, --
und die Forellen schwimmen im See und sind größer: Hegau heißen's
die Leute.

riſſen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig ſtill ſtehen wollte, ſprach
ſie: Audifax! und hob ihn vorwärts.

Jetzt war ſie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild-
waſſer hatte ſich Bahn durch ſie gebrochen und ſtürzte in klarem Fall
drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Waſſerduft, röthliches
Moos hatte ſich dran feſt geniſtet wie eine Vergoldung; die Fluth
leckte hinauf und brauste wechſelnd drüber hin, bis ſie wenig Schritte
davon in tiefgrün durchſichtigem Becken ſtill hielt und ausruhte, wie
ein müder Mann, der ſich und ſeines Lebens Tollheiten klar beſchauen
will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern ſprießten auf; der
Waſſerſchaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte
Libellen flogen auf und ab, als wären ſie die Geiſter verſtorbener Elfen.

Träumeriſch hallte das einſame Stürzen des Bachs in's Herz des
hungernden Kindes. Mit dem Bach ſollte ſie weiter gehen, hinab
zum Rhein. Alles war verwachſen, wie wenn nie ein Menſch ſeinen
Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha-
dumoth herüber, ſie legte ſich nieder. Es rauſchte ſo kühl und lang,
es rauſchte ſie in Schlummer. Den rechten Arm ausgeſtreckt, daß das
Haupt drauf ruhte, lag ſie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie
träumte. Von wem? — Die blauen Waſſerjungfern haben Nichts
verplaudert ...

Ein leichter Waſſerguß aus hohler Hand ſcheuchte ſie aus ihrem
Traum. Wie ſie langſam die Augen aufſchlug, ſtund ein Mann vor
ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem Tſchoben, die Füße nackt
bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau-
getupfte Forellen ſchwammen, lagen im Graſe bei ihm. Er hatte die
Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob ſie ein Menſchenkind, ging
er, Waſſer zu ſchöpfen und weckte ſie.

Wo bin ich? fragte Hadumoth ſonder Furcht.

Am Wieladinger Strahl! ſprach der Fiſcher. Das Waſſer iſt die
Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie kommſt aber
du auf den Wald, Mägdlein? biſt vom Himmel heruntergefallen?

Ich komm' weither; bei uns ſind die Berge anders und wachſen
einzeln und ſteil aus der Ebene auf und ſteht ein Jeder für ſich, —
und die Forellen ſchwimmen im See und ſind größer: Hegau heißen's
die Leute.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="205"/>
ri&#x017F;&#x017F;en am Gewand. Wenn der Fuß unwillig &#x017F;till &#x017F;tehen wollte, &#x017F;prach<lb/>
&#x017F;ie: Audifax! und hob ihn vorwärts.</p><lb/>
        <p>Jetzt war &#x017F;ie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild-<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;er hatte &#x017F;ich Bahn durch &#x017F;ie gebrochen und &#x017F;türzte in klarem Fall<lb/>
drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Wa&#x017F;&#x017F;erduft, röthliches<lb/>
Moos hatte &#x017F;ich dran fe&#x017F;t geni&#x017F;tet wie eine Vergoldung; die Fluth<lb/>
leckte hinauf und brauste wech&#x017F;elnd drüber hin, bis &#x017F;ie wenig Schritte<lb/>
davon in tiefgrün durch&#x017F;ichtigem Becken &#x017F;till hielt und ausruhte, wie<lb/>
ein müder Mann, der &#x017F;ich und &#x017F;eines Lebens Tollheiten klar be&#x017F;chauen<lb/>
will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern &#x017F;prießten auf; der<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte<lb/>
Libellen flogen auf und ab, als wären &#x017F;ie die Gei&#x017F;ter ver&#x017F;torbener Elfen.</p><lb/>
        <p>Träumeri&#x017F;ch hallte das ein&#x017F;ame Stürzen des Bachs in's Herz des<lb/>
hungernden Kindes. Mit dem Bach &#x017F;ollte &#x017F;ie weiter gehen, hinab<lb/>
zum Rhein. Alles war verwach&#x017F;en, wie wenn nie ein Men&#x017F;ch &#x017F;einen<lb/>
Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha-<lb/>
dumoth herüber, &#x017F;ie legte &#x017F;ich nieder. Es rau&#x017F;chte &#x017F;o kühl und lang,<lb/>
es rau&#x017F;chte &#x017F;ie in Schlummer. Den rechten Arm ausge&#x017F;treckt, daß das<lb/>
Haupt drauf ruhte, lag &#x017F;ie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie<lb/>
träumte. Von wem? &#x2014; Die blauen Wa&#x017F;&#x017F;erjungfern haben Nichts<lb/>
verplaudert ...</p><lb/>
        <p>Ein leichter Wa&#x017F;&#x017F;erguß aus hohler Hand &#x017F;cheuchte &#x017F;ie aus ihrem<lb/>
Traum. Wie &#x017F;ie lang&#x017F;am die Augen auf&#x017F;chlug, &#x017F;tund ein Mann vor<lb/>
ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem T&#x017F;choben, die Füße nackt<lb/>
bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau-<lb/>
getupfte Forellen &#x017F;chwammen, lagen im Gra&#x017F;e bei ihm. Er hatte die<lb/>
Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob &#x017F;ie ein Men&#x017F;chenkind, ging<lb/>
er, Wa&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;chöpfen und weckte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>Wo bin ich? fragte Hadumoth &#x017F;onder Furcht.</p><lb/>
        <p>Am Wieladinger Strahl! &#x017F;prach der Fi&#x017F;cher. Das Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t die<lb/>
Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie komm&#x017F;t aber<lb/>
du auf den Wald, Mägdlein? bi&#x017F;t vom Himmel heruntergefallen?</p><lb/>
        <p>Ich komm' weither; bei uns &#x017F;ind die Berge anders und wach&#x017F;en<lb/>
einzeln und &#x017F;teil aus der Ebene auf und &#x017F;teht ein Jeder für &#x017F;ich, &#x2014;<lb/>
und die Forellen &#x017F;chwimmen im See und &#x017F;ind größer: Hegau heißen's<lb/>
die Leute.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0227] riſſen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig ſtill ſtehen wollte, ſprach ſie: Audifax! und hob ihn vorwärts. Jetzt war ſie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild- waſſer hatte ſich Bahn durch ſie gebrochen und ſtürzte in klarem Fall drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Waſſerduft, röthliches Moos hatte ſich dran feſt geniſtet wie eine Vergoldung; die Fluth leckte hinauf und brauste wechſelnd drüber hin, bis ſie wenig Schritte davon in tiefgrün durchſichtigem Becken ſtill hielt und ausruhte, wie ein müder Mann, der ſich und ſeines Lebens Tollheiten klar beſchauen will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern ſprießten auf; der Waſſerſchaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte Libellen flogen auf und ab, als wären ſie die Geiſter verſtorbener Elfen. Träumeriſch hallte das einſame Stürzen des Bachs in's Herz des hungernden Kindes. Mit dem Bach ſollte ſie weiter gehen, hinab zum Rhein. Alles war verwachſen, wie wenn nie ein Menſch ſeinen Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha- dumoth herüber, ſie legte ſich nieder. Es rauſchte ſo kühl und lang, es rauſchte ſie in Schlummer. Den rechten Arm ausgeſtreckt, daß das Haupt drauf ruhte, lag ſie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie träumte. Von wem? — Die blauen Waſſerjungfern haben Nichts verplaudert ... Ein leichter Waſſerguß aus hohler Hand ſcheuchte ſie aus ihrem Traum. Wie ſie langſam die Augen aufſchlug, ſtund ein Mann vor ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem Tſchoben, die Füße nackt bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau- getupfte Forellen ſchwammen, lagen im Graſe bei ihm. Er hatte die Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob ſie ein Menſchenkind, ging er, Waſſer zu ſchöpfen und weckte ſie. Wo bin ich? fragte Hadumoth ſonder Furcht. Am Wieladinger Strahl! ſprach der Fiſcher. Das Waſſer iſt die Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie kommſt aber du auf den Wald, Mägdlein? biſt vom Himmel heruntergefallen? Ich komm' weither; bei uns ſind die Berge anders und wachſen einzeln und ſteil aus der Ebene auf und ſteht ein Jeder für ſich, — und die Forellen ſchwimmen im See und ſind größer: Hegau heißen's die Leute.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/227
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/227>, abgerufen am 29.04.2024.