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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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zwischen doppelter Strömung trug eine Insel viel stattliche Mauern
wie von Kirche und Kloster, der Hirtin scharfes Aug' sah daß das
Mauerwerk geschwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug.
Eine blaue Rauchwolke stand unbeweglich drüber.

Wie ist's hier geheißen? fragte sie einen Mann, der aus dem
Walde kam.

Schwarzwald! sagte der Mann.

Und drüben?

Rheinau.

Die Hunnen sind drüben gewesen?

Vorgestern.

Wo jetzt?

Der Mann hatte sich auf seinen Stab gestemmt und schaute das
Kind scharf an. Er deutete rheinabwärts. Warum? fragte er.

Ich will zu ihnen. -- Er hob seinen Stab und ging seines Weges
weiter. Heiliger Fintan, bitt' für uns! murmelte er im Fortgeh'n.

Und wiederum schritt Hadumoth unverdrossen weiter. Sie hatte
von der Höhe erschaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts
strömte; da ging sie queer über das Gebirg, den Hunnen einen Vor-
sprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im
Walde auf Moos gebettet und schier keinem Menschen begegnet. Aber
viel wilde Thalschluchten traf sie und rinnend Gewässer und alte
Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo sie sonst ihre
Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten sie und leuchteten grauweiß
unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Muth nicht.

Das Gebirg ward minder steil und flachte sich zu einer Hochebene
ab, da strich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den
Thalmulden: sie ging weiter.

Das letzte Stück Brod war verzehrt, da kam sie auf einen Berg-
rücken und sah wieder den Rhein in der Ferne. Itzt wollte sie dem
entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich that sich eine enge Kluft
diesseits des Berges auf, ein Waldstrom schäumte in der Tiefe. Junger
Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Gestrüpp hielt den
Abhang dicht besetzt; sie bahnte sich einen Weg durch. Es kostete
Mühe und Schweiß, die Sonne stand hoch am Himmel, die Dornen

zwiſchen doppelter Strömung trug eine Inſel viel ſtattliche Mauern
wie von Kirche und Kloſter, der Hirtin ſcharfes Aug' ſah daß das
Mauerwerk geſchwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug.
Eine blaue Rauchwolke ſtand unbeweglich drüber.

Wie iſt's hier geheißen? fragte ſie einen Mann, der aus dem
Walde kam.

Schwarzwald! ſagte der Mann.

Und drüben?

Rheinau.

Die Hunnen ſind drüben geweſen?

Vorgeſtern.

Wo jetzt?

Der Mann hatte ſich auf ſeinen Stab geſtemmt und ſchaute das
Kind ſcharf an. Er deutete rheinabwärts. Warum? fragte er.

Ich will zu ihnen. — Er hob ſeinen Stab und ging ſeines Weges
weiter. Heiliger Fintan, bitt' für uns! murmelte er im Fortgeh'n.

Und wiederum ſchritt Hadumoth unverdroſſen weiter. Sie hatte
von der Höhe erſchaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts
ſtrömte; da ging ſie queer über das Gebirg, den Hunnen einen Vor-
ſprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im
Walde auf Moos gebettet und ſchier keinem Menſchen begegnet. Aber
viel wilde Thalſchluchten traf ſie und rinnend Gewäſſer und alte
Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo ſie ſonſt ihre
Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten ſie und leuchteten grauweiß
unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Muth nicht.

Das Gebirg ward minder ſteil und flachte ſich zu einer Hochebene
ab, da ſtrich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den
Thalmulden: ſie ging weiter.

Das letzte Stück Brod war verzehrt, da kam ſie auf einen Berg-
rücken und ſah wieder den Rhein in der Ferne. Itzt wollte ſie dem
entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich that ſich eine enge Kluft
dieſſeits des Berges auf, ein Waldſtrom ſchäumte in der Tiefe. Junger
Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Geſtrüpp hielt den
Abhang dicht beſetzt; ſie bahnte ſich einen Weg durch. Es koſtete
Mühe und Schweiß, die Sonne ſtand hoch am Himmel, die Dornen

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[204/0226] zwiſchen doppelter Strömung trug eine Inſel viel ſtattliche Mauern wie von Kirche und Kloſter, der Hirtin ſcharfes Aug' ſah daß das Mauerwerk geſchwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug. Eine blaue Rauchwolke ſtand unbeweglich drüber. Wie iſt's hier geheißen? fragte ſie einen Mann, der aus dem Walde kam. Schwarzwald! ſagte der Mann. Und drüben? Rheinau. Die Hunnen ſind drüben geweſen? Vorgeſtern. Wo jetzt? Der Mann hatte ſich auf ſeinen Stab geſtemmt und ſchaute das Kind ſcharf an. Er deutete rheinabwärts. Warum? fragte er. Ich will zu ihnen. — Er hob ſeinen Stab und ging ſeines Weges weiter. Heiliger Fintan, bitt' für uns! murmelte er im Fortgeh'n. Und wiederum ſchritt Hadumoth unverdroſſen weiter. Sie hatte von der Höhe erſchaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts ſtrömte; da ging ſie queer über das Gebirg, den Hunnen einen Vor- ſprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im Walde auf Moos gebettet und ſchier keinem Menſchen begegnet. Aber viel wilde Thalſchluchten traf ſie und rinnend Gewäſſer und alte Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo ſie ſonſt ihre Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten ſie und leuchteten grauweiß unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Muth nicht. Das Gebirg ward minder ſteil und flachte ſich zu einer Hochebene ab, da ſtrich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den Thalmulden: ſie ging weiter. Das letzte Stück Brod war verzehrt, da kam ſie auf einen Berg- rücken und ſah wieder den Rhein in der Ferne. Itzt wollte ſie dem entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich that ſich eine enge Kluft dieſſeits des Berges auf, ein Waldſtrom ſchäumte in der Tiefe. Junger Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Geſtrüpp hielt den Abhang dicht beſetzt; ſie bahnte ſich einen Weg durch. Es koſtete Mühe und Schweiß, die Sonne ſtand hoch am Himmel, die Dornen

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/226>, abgerufen am 29.04.2024.