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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Zelle lag Stuhl und Schragen mit Pergamenten überdeckt, des Klo-
sters ganze Bücherei war zu ihm herabgewandert, er las und las und
las, als wollt' er den letzten Grund der Dinge ergründen; -- zur
Rechten die Psalmen und heiligen Schriften, zur Linken die Reste
heidnischer Weisheit, Alles ward durchwühlt; dann und wann machte
ein höhnisch Lächeln dem Ernst seiner Studien Platz, und er schrieb
sich auf schmale Streifen Pergamentes hastig etliche Zeilen heraus.
Waren es Goldkörner und Edelsteine, die er auf seiner Bergmanns-
arbeit aus den Schachten alten Wissens grub? Nein.

Was mag dem Bruder Gunzo widerfahren sein? sprachen seine
Genossen, ehedem ist seine Zunge gegangen wie ein Mühlrad und die
Bücher haben Ruhe vor ihm gehabt: sie können mir doch nur bieten,
was ich längst weiß, hat er sich oft gerühmt -- und jetzt? Jetzt
knarrt und scharrt seine Feder, daß bis im vorderen Kreuzgang der
Wiederhall ihres Kratzens gehört wird. Gedenkt er des Kaisers Proto-
Notar und Erzkanzler zu werden? sucht er den Stein der Weisen oder
schreibt er seine italische Reise?

Aber der Bruder Gunzo blieb an seinem Werk. Unverdrossen
trank er seinen Wasserkrug leer und las seine Classiker, -- die ersten
Gewitter kamen und mahnten, daß der Sommer mit seiner Schwüle
vor der Thür stehe; er ließ donnern und blitzen und saß fest wie
zuvor. Den Schlummer der Nacht brach er zuweilen und sprang auf
zu seinem Tintenfaß, als hätt' er im Traum Gedanken erhascht; oft
waren sie wieder verschwunden, bevor ihm das Niederschreiben gelang,
aber sein Sinn war fest auf's Ziel gerichtet. Kommen wird einstens
der Tag ... mit der homerischen Verheißung sich tröstend, schlich er
auf sein Lager zurück.

Gunzo war im kräftigen Mannesalter, eine mäßig große gedrun-
gene Gestalt, wohlbeleibt; wenn er des Morgens vor seinem fein ge-
schliffenen Metallspiegel stund und mehr als nothwendig die Augen
auf dem eigenen Abbild haften ließ, strich er oft seinen röthlichen
Bart, als woll' er zu Fehde und fährlichem Streithandel ausreiten.

Fränkisch Blut mit gallischem vermischt rollte in seinen Adern:
das schuf ihm ein Stück von jener Beweglichkeit und Immerlebendig-
keit, die dem Germanen reinen Stammes abgeht. Darum hatte er
auch in währender Schreibarbeit mehr Federn zerbissen und Schnipfel

Zelle lag Stuhl und Schragen mit Pergamenten überdeckt, des Klo-
ſters ganze Bücherei war zu ihm herabgewandert, er las und las und
las, als wollt' er den letzten Grund der Dinge ergründen; — zur
Rechten die Pſalmen und heiligen Schriften, zur Linken die Reſte
heidniſcher Weisheit, Alles ward durchwühlt; dann und wann machte
ein höhniſch Lächeln dem Ernſt ſeiner Studien Platz, und er ſchrieb
ſich auf ſchmale Streifen Pergamentes haſtig etliche Zeilen heraus.
Waren es Goldkörner und Edelſteine, die er auf ſeiner Bergmanns-
arbeit aus den Schachten alten Wiſſens grub? Nein.

Was mag dem Bruder Gunzo widerfahren ſein? ſprachen ſeine
Genoſſen, ehedem iſt ſeine Zunge gegangen wie ein Mühlrad und die
Bücher haben Ruhe vor ihm gehabt: ſie können mir doch nur bieten,
was ich längſt weiß, hat er ſich oft gerühmt — und jetzt? Jetzt
knarrt und ſcharrt ſeine Feder, daß bis im vorderen Kreuzgang der
Wiederhall ihres Kratzens gehört wird. Gedenkt er des Kaiſers Proto-
Notar und Erzkanzler zu werden? ſucht er den Stein der Weiſen oder
ſchreibt er ſeine italiſche Reiſe?

Aber der Bruder Gunzo blieb an ſeinem Werk. Unverdroſſen
trank er ſeinen Waſſerkrug leer und las ſeine Claſſiker, — die erſten
Gewitter kamen und mahnten, daß der Sommer mit ſeiner Schwüle
vor der Thür ſtehe; er ließ donnern und blitzen und ſaß feſt wie
zuvor. Den Schlummer der Nacht brach er zuweilen und ſprang auf
zu ſeinem Tintenfaß, als hätt' er im Traum Gedanken erhaſcht; oft
waren ſie wieder verſchwunden, bevor ihm das Niederſchreiben gelang,
aber ſein Sinn war feſt auf's Ziel gerichtet. Kommen wird einſtens
der Tag ... mit der homeriſchen Verheißung ſich tröſtend, ſchlich er
auf ſein Lager zurück.

Gunzo war im kräftigen Mannesalter, eine mäßig große gedrun-
gene Geſtalt, wohlbeleibt; wenn er des Morgens vor ſeinem fein ge-
ſchliffenen Metallſpiegel ſtund und mehr als nothwendig die Augen
auf dem eigenen Abbild haften ließ, ſtrich er oft ſeinen röthlichen
Bart, als woll' er zu Fehde und fährlichem Streithandel ausreiten.

Fränkiſch Blut mit galliſchem vermiſcht rollte in ſeinen Adern:
das ſchuf ihm ein Stück von jener Beweglichkeit und Immerlebendig-
keit, die dem Germanen reinen Stammes abgeht. Darum hatte er
auch in währender Schreibarbeit mehr Federn zerbiſſen und Schnipfel

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[232/0254] Zelle lag Stuhl und Schragen mit Pergamenten überdeckt, des Klo- ſters ganze Bücherei war zu ihm herabgewandert, er las und las und las, als wollt' er den letzten Grund der Dinge ergründen; — zur Rechten die Pſalmen und heiligen Schriften, zur Linken die Reſte heidniſcher Weisheit, Alles ward durchwühlt; dann und wann machte ein höhniſch Lächeln dem Ernſt ſeiner Studien Platz, und er ſchrieb ſich auf ſchmale Streifen Pergamentes haſtig etliche Zeilen heraus. Waren es Goldkörner und Edelſteine, die er auf ſeiner Bergmanns- arbeit aus den Schachten alten Wiſſens grub? Nein. Was mag dem Bruder Gunzo widerfahren ſein? ſprachen ſeine Genoſſen, ehedem iſt ſeine Zunge gegangen wie ein Mühlrad und die Bücher haben Ruhe vor ihm gehabt: ſie können mir doch nur bieten, was ich längſt weiß, hat er ſich oft gerühmt — und jetzt? Jetzt knarrt und ſcharrt ſeine Feder, daß bis im vorderen Kreuzgang der Wiederhall ihres Kratzens gehört wird. Gedenkt er des Kaiſers Proto- Notar und Erzkanzler zu werden? ſucht er den Stein der Weiſen oder ſchreibt er ſeine italiſche Reiſe? Aber der Bruder Gunzo blieb an ſeinem Werk. Unverdroſſen trank er ſeinen Waſſerkrug leer und las ſeine Claſſiker, — die erſten Gewitter kamen und mahnten, daß der Sommer mit ſeiner Schwüle vor der Thür ſtehe; er ließ donnern und blitzen und ſaß feſt wie zuvor. Den Schlummer der Nacht brach er zuweilen und ſprang auf zu ſeinem Tintenfaß, als hätt' er im Traum Gedanken erhaſcht; oft waren ſie wieder verſchwunden, bevor ihm das Niederſchreiben gelang, aber ſein Sinn war feſt auf's Ziel gerichtet. Kommen wird einſtens der Tag ... mit der homeriſchen Verheißung ſich tröſtend, ſchlich er auf ſein Lager zurück. Gunzo war im kräftigen Mannesalter, eine mäßig große gedrun- gene Geſtalt, wohlbeleibt; wenn er des Morgens vor ſeinem fein ge- ſchliffenen Metallſpiegel ſtund und mehr als nothwendig die Augen auf dem eigenen Abbild haften ließ, ſtrich er oft ſeinen röthlichen Bart, als woll' er zu Fehde und fährlichem Streithandel ausreiten. Fränkiſch Blut mit galliſchem vermiſcht rollte in ſeinen Adern: das ſchuf ihm ein Stück von jener Beweglichkeit und Immerlebendig- keit, die dem Germanen reinen Stammes abgeht. Darum hatte er auch in währender Schreibarbeit mehr Federn zerbiſſen und Schnipfel

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/254>, abgerufen am 30.04.2024.