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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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zerzaust und Selbstgespräche geführt, als ein Genosse in deutschem
Kloster in gleicher Frist gethan hätte. Aber er hielt seines Fleisches
natürliche Unruhe nieder und zwang seine Füße mannhaft, unter dem
bücherschweren Tisch Stand zu halten.

Es war ein linder Sommerabend; wiederum war seine Feder wie
ein Irrlicht über das geduldige Pergamen gehüpft, es knisterte vom
Ziehen der Buchstaben -- da hub sie an langsamer zu gehen, -- itzt
eine Pause, dann noch einige Züge -- und einen gewaltigen Schnirkel
zog er über den unbeschriebenen übrigen Raum, daß die Tinte unfrei-
willig einen Schwarm von Flecken gleich schwarzen Sternbildern drüber
schwirrte. Er hatte das Wort Finis! geschrieben; mit lang gedehntem
Athemzug erhob er sich vom Stuhl gleich einem Mann, dem ein
Centnerstein vom Herzen gefallen, er überschaute, was schwarz auf
weiß vor ihm lag: Gelobt sei der heilige Amandus! rief er feierlich,
wir sind gerächt!

Er hatte in diesem erhebenden Augenblick -- eine Schmähschrift
vollendet, eine Schmähschrift, zugeeignet der ehrwürdigen Bruderschaft
auf der Reichenau, gerichtet gegen -- Ekkehard den Pörtner zu Sanct
Gallen. Als der blonde Erklärer des Virgilius Abschied nahm von
seinem Kloster und zur Herzogin übersiedelte, konnte es ihm unmöglich
zu Sinne kommen -- und hätt' er sein Gedächtniß auch umgeschüttelt
bis in die verborgensten Falten, daß ein Mann auf der Welt sei,
dessen Dichten und Trachten darauf ausging, an ihm Rache zu neh-
men, denn er war harmlos und sanft und that keiner Mücke ein
Leides. Und doch war es so; denn zwischen Himmel und Erde und
im Gemüth eines Schriftgelehrten geh'n viele Dinge vor, davon sich
der Verstand der Verständigen nichts träumen läßt.

Die Geschichte hat ihre Launen im Erhalten wie im Zerstören.
Die deutschen Lieder und Heldensagen, die durch des großen Kaiser
Karl Fürsorge aufgezeichnet standen, mußten im Schutte der Zeiten
untergehen, Gunzo's Werk, das noch keinem der Wenigen, die es ge-
lesen, Freude bereitet, ist auf die Nachwelt gekommen.208) Mag denn
der ungeheuerliche Anlaß, der des welschen Gelehrten Rache aufrief,
mit seinen eigenen Worten erzählt sein:

"Schon lange, -- also schreibt er seinen reichenauer Freunden, --
betrieb es der verehrungswerthe theure König Otto bei den Fürsten

zerzaust und Selbſtgeſpräche geführt, als ein Genoſſe in deutſchem
Kloſter in gleicher Friſt gethan hätte. Aber er hielt ſeines Fleiſches
natürliche Unruhe nieder und zwang ſeine Füße mannhaft, unter dem
bücherſchweren Tiſch Stand zu halten.

Es war ein linder Sommerabend; wiederum war ſeine Feder wie
ein Irrlicht über das geduldige Pergamen gehüpft, es kniſterte vom
Ziehen der Buchſtaben — da hub ſie an langſamer zu gehen, — itzt
eine Pauſe, dann noch einige Züge — und einen gewaltigen Schnirkel
zog er über den unbeſchriebenen übrigen Raum, daß die Tinte unfrei-
willig einen Schwarm von Flecken gleich ſchwarzen Sternbildern drüber
ſchwirrte. Er hatte das Wort Finis! geſchrieben; mit lang gedehntem
Athemzug erhob er ſich vom Stuhl gleich einem Mann, dem ein
Centnerſtein vom Herzen gefallen, er überſchaute, was ſchwarz auf
weiß vor ihm lag: Gelobt ſei der heilige Amandus! rief er feierlich,
wir ſind gerächt!

Er hatte in dieſem erhebenden Augenblick — eine Schmähſchrift
vollendet, eine Schmähſchrift, zugeeignet der ehrwürdigen Bruderſchaft
auf der Reichenau, gerichtet gegen — Ekkehard den Pörtner zu Sanct
Gallen. Als der blonde Erklärer des Virgilius Abſchied nahm von
ſeinem Kloſter und zur Herzogin überſiedelte, konnte es ihm unmöglich
zu Sinne kommen — und hätt' er ſein Gedächtniß auch umgeſchüttelt
bis in die verborgenſten Falten, daß ein Mann auf der Welt ſei,
deſſen Dichten und Trachten darauf ausging, an ihm Rache zu neh-
men, denn er war harmlos und ſanft und that keiner Mücke ein
Leides. Und doch war es ſo; denn zwiſchen Himmel und Erde und
im Gemüth eines Schriftgelehrten geh'n viele Dinge vor, davon ſich
der Verſtand der Verſtändigen nichts träumen läßt.

Die Geſchichte hat ihre Launen im Erhalten wie im Zerſtören.
Die deutſchen Lieder und Heldenſagen, die durch des großen Kaiſer
Karl Fürſorge aufgezeichnet ſtanden, mußten im Schutte der Zeiten
untergehen, Gunzo's Werk, das noch keinem der Wenigen, die es ge-
leſen, Freude bereitet, iſt auf die Nachwelt gekommen.208) Mag denn
der ungeheuerliche Anlaß, der des welſchen Gelehrten Rache aufrief,
mit ſeinen eigenen Worten erzählt ſein:

„Schon lange, — alſo ſchreibt er ſeinen reichenauer Freunden, —
betrieb es der verehrungswerthe theure König Otto bei den Fürſten

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[233/0255] zerzaust und Selbſtgeſpräche geführt, als ein Genoſſe in deutſchem Kloſter in gleicher Friſt gethan hätte. Aber er hielt ſeines Fleiſches natürliche Unruhe nieder und zwang ſeine Füße mannhaft, unter dem bücherſchweren Tiſch Stand zu halten. Es war ein linder Sommerabend; wiederum war ſeine Feder wie ein Irrlicht über das geduldige Pergamen gehüpft, es kniſterte vom Ziehen der Buchſtaben — da hub ſie an langſamer zu gehen, — itzt eine Pauſe, dann noch einige Züge — und einen gewaltigen Schnirkel zog er über den unbeſchriebenen übrigen Raum, daß die Tinte unfrei- willig einen Schwarm von Flecken gleich ſchwarzen Sternbildern drüber ſchwirrte. Er hatte das Wort Finis! geſchrieben; mit lang gedehntem Athemzug erhob er ſich vom Stuhl gleich einem Mann, dem ein Centnerſtein vom Herzen gefallen, er überſchaute, was ſchwarz auf weiß vor ihm lag: Gelobt ſei der heilige Amandus! rief er feierlich, wir ſind gerächt! Er hatte in dieſem erhebenden Augenblick — eine Schmähſchrift vollendet, eine Schmähſchrift, zugeeignet der ehrwürdigen Bruderſchaft auf der Reichenau, gerichtet gegen — Ekkehard den Pörtner zu Sanct Gallen. Als der blonde Erklärer des Virgilius Abſchied nahm von ſeinem Kloſter und zur Herzogin überſiedelte, konnte es ihm unmöglich zu Sinne kommen — und hätt' er ſein Gedächtniß auch umgeſchüttelt bis in die verborgenſten Falten, daß ein Mann auf der Welt ſei, deſſen Dichten und Trachten darauf ausging, an ihm Rache zu neh- men, denn er war harmlos und ſanft und that keiner Mücke ein Leides. Und doch war es ſo; denn zwiſchen Himmel und Erde und im Gemüth eines Schriftgelehrten geh'n viele Dinge vor, davon ſich der Verſtand der Verſtändigen nichts träumen läßt. Die Geſchichte hat ihre Launen im Erhalten wie im Zerſtören. Die deutſchen Lieder und Heldenſagen, die durch des großen Kaiſer Karl Fürſorge aufgezeichnet ſtanden, mußten im Schutte der Zeiten untergehen, Gunzo's Werk, das noch keinem der Wenigen, die es ge- leſen, Freude bereitet, iſt auf die Nachwelt gekommen. ²⁰⁸⁾ Mag denn der ungeheuerliche Anlaß, der des welſchen Gelehrten Rache aufrief, mit ſeinen eigenen Worten erzählt ſein: „Schon lange, — alſo ſchreibt er ſeinen reichenauer Freunden, — betrieb es der verehrungswerthe theure König Otto bei den Fürſten

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/255>, abgerufen am 15.05.2024.