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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Gründliche Prüfung dieses Problems gab dann Anlaß, auf die
Harmonie der Sphären und damit auf die Musik, als letzte der sieben
Künste, einzugehen, und so konnte das Schifflein der Rache auf wo-
gendem Schwall der Gewässer endlich dem Ziele entgegen steuern.

"Wozu nun hab' ich All dies angeführt? frug er zum Schlusse.

"Nicht um die Elemente der freien Künste darzuthun, sondern um
die Thorheit eines Unwissenden bloß zu legen, der da vorzog gram-
matischen Schnitzern nachzujagen, statt wahre Wissenschaft von seinem
Gastfreund zu erlauschen. Wenn ihm auch innerlich die Kunst für
ewig versagt ist, hätt' er sich doch von außen einen Widerschein von
mir erwerben können. Aber ihn blähte allzugroßer Uebermuth, daß
er vorzog, unter den Seinigen für einen Weisen zu gelten, gleich dem
Frosche, der in seinem Sumpf zweifelsohne glaubt, daß er an Größe
den Stier übertreffe. Ach, niemals ist der Mitleidwerthe auf freien
Höhen des Wissens gestanden und hat die Stimme Gottes zu sich
reden gehört: in der Wildniß ist er geboren, unter blödem Murmeln
aufgewachsen und seine Seele bewahrt die Sitte der Thiere des Wal-
des; in thätigem Leben der Welt wollte er nicht beharren, zu inner-
licher Beschaulichkeit ist er verdorben, der Feind des Menschengeschlechts
hat ihm sein Zeichen aufgebrannt. Gern würde ich euch ermahnen,
ihm die Hilfe heilender Arzenei angedeihen zu lassen, aber ich fürchte,
ich fürchte, seine Krankheit ist zu tief eingewurzelt.

"Und auf verhärtetes Fell wirkt selber die Nießwurz vergeblich,"
sagt Persius.

"Möget ihr nun, ehrwürdige Brüder, aus Allem was ich mittheile,
ersehen, ob ich ein solcher bin, der die Behandlung und das Gelächter
jenes Thoren verdient hat. Euerem Urtheil stell' ich ihn und mich
anheim: im Urtheil der Gerechten schwindet der Thor in sein verdien-
tes Nichts. Finis!"

... Gelobt sei der heilige Amandus! sprach Gunzo nochmals,
als das letzte Wort seines Werkes geschrieben vor ihm stand. Die
alte Schlange hätte sicherlich ihre Freude an ihm gehabt, wenn sie
ihn in seiner Gottähnlichkeit hätte belauschen können, da er den letzten
Punkt anfügte. "Und Gott sah Alles was er gemacht hatte. Und
es war sehr gut." Und Gunzo? -- Er that deßgleichen.

Gründliche Prüfung dieſes Problems gab dann Anlaß, auf die
Harmonie der Sphären und damit auf die Muſik, als letzte der ſieben
Künſte, einzugehen, und ſo konnte das Schifflein der Rache auf wo-
gendem Schwall der Gewäſſer endlich dem Ziele entgegen ſteuern.

„Wozu nun hab' ich All dies angeführt? frug er zum Schluſſe.

„Nicht um die Elemente der freien Künſte darzuthun, ſondern um
die Thorheit eines Unwiſſenden bloß zu legen, der da vorzog gram-
matiſchen Schnitzern nachzujagen, ſtatt wahre Wiſſenſchaft von ſeinem
Gaſtfreund zu erlauſchen. Wenn ihm auch innerlich die Kunſt für
ewig verſagt iſt, hätt' er ſich doch von außen einen Widerſchein von
mir erwerben können. Aber ihn blähte allzugroßer Uebermuth, daß
er vorzog, unter den Seinigen für einen Weiſen zu gelten, gleich dem
Froſche, der in ſeinem Sumpf zweifelsohne glaubt, daß er an Größe
den Stier übertreffe. Ach, niemals iſt der Mitleidwerthe auf freien
Höhen des Wiſſens geſtanden und hat die Stimme Gottes zu ſich
reden gehört: in der Wildniß iſt er geboren, unter blödem Murmeln
aufgewachſen und ſeine Seele bewahrt die Sitte der Thiere des Wal-
des; in thätigem Leben der Welt wollte er nicht beharren, zu inner-
licher Beſchaulichkeit iſt er verdorben, der Feind des Menſchengeſchlechts
hat ihm ſein Zeichen aufgebrannt. Gern würde ich euch ermahnen,
ihm die Hilfe heilender Arzenei angedeihen zu laſſen, aber ich fürchte,
ich fürchte, ſeine Krankheit iſt zu tief eingewurzelt.

„Und auf verhärtetes Fell wirkt ſelber die Nießwurz vergeblich,“
ſagt Perſius.

„Möget ihr nun, ehrwürdige Brüder, aus Allem was ich mittheile,
erſehen, ob ich ein ſolcher bin, der die Behandlung und das Gelächter
jenes Thoren verdient hat. Euerem Urtheil ſtell' ich ihn und mich
anheim: im Urtheil der Gerechten ſchwindet der Thor in ſein verdien-
tes Nichts. Finis!

... Gelobt ſei der heilige Amandus! ſprach Gunzo nochmals,
als das letzte Wort ſeines Werkes geſchrieben vor ihm ſtand. Die
alte Schlange hätte ſicherlich ihre Freude an ihm gehabt, wenn ſie
ihn in ſeiner Gottähnlichkeit hätte belauſchen können, da er den letzten
Punkt anfügte. „Und Gott ſah Alles was er gemacht hatte. Und
es war ſehr gut.“ Und Gunzo? — Er that deßgleichen.

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[240/0262] Gründliche Prüfung dieſes Problems gab dann Anlaß, auf die Harmonie der Sphären und damit auf die Muſik, als letzte der ſieben Künſte, einzugehen, und ſo konnte das Schifflein der Rache auf wo- gendem Schwall der Gewäſſer endlich dem Ziele entgegen ſteuern. „Wozu nun hab' ich All dies angeführt? frug er zum Schluſſe. „Nicht um die Elemente der freien Künſte darzuthun, ſondern um die Thorheit eines Unwiſſenden bloß zu legen, der da vorzog gram- matiſchen Schnitzern nachzujagen, ſtatt wahre Wiſſenſchaft von ſeinem Gaſtfreund zu erlauſchen. Wenn ihm auch innerlich die Kunſt für ewig verſagt iſt, hätt' er ſich doch von außen einen Widerſchein von mir erwerben können. Aber ihn blähte allzugroßer Uebermuth, daß er vorzog, unter den Seinigen für einen Weiſen zu gelten, gleich dem Froſche, der in ſeinem Sumpf zweifelsohne glaubt, daß er an Größe den Stier übertreffe. Ach, niemals iſt der Mitleidwerthe auf freien Höhen des Wiſſens geſtanden und hat die Stimme Gottes zu ſich reden gehört: in der Wildniß iſt er geboren, unter blödem Murmeln aufgewachſen und ſeine Seele bewahrt die Sitte der Thiere des Wal- des; in thätigem Leben der Welt wollte er nicht beharren, zu inner- licher Beſchaulichkeit iſt er verdorben, der Feind des Menſchengeſchlechts hat ihm ſein Zeichen aufgebrannt. Gern würde ich euch ermahnen, ihm die Hilfe heilender Arzenei angedeihen zu laſſen, aber ich fürchte, ich fürchte, ſeine Krankheit iſt zu tief eingewurzelt. „Und auf verhärtetes Fell wirkt ſelber die Nießwurz vergeblich,“ ſagt Perſius. „Möget ihr nun, ehrwürdige Brüder, aus Allem was ich mittheile, erſehen, ob ich ein ſolcher bin, der die Behandlung und das Gelächter jenes Thoren verdient hat. Euerem Urtheil ſtell' ich ihn und mich anheim: im Urtheil der Gerechten ſchwindet der Thor in ſein verdien- tes Nichts. Finis!“ ... Gelobt ſei der heilige Amandus! ſprach Gunzo nochmals, als das letzte Wort ſeines Werkes geſchrieben vor ihm ſtand. Die alte Schlange hätte ſicherlich ihre Freude an ihm gehabt, wenn ſie ihn in ſeiner Gottähnlichkeit hätte belauſchen können, da er den letzten Punkt anfügte. „Und Gott ſah Alles was er gemacht hatte. Und es war ſehr gut.“ Und Gunzo? — Er that deßgleichen.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/262>, abgerufen am 15.05.2024.