Dann schritt er zu seinem Metallspiegel, und beschaute sich lange, als wär' es ihm von äußerster Wichtigkeit, das Antlitz dessen kennen zu lernen, der den Ekkehard von Sanct Gallen vernichtet. Er ver- neigte sich achtungsvoll vor seinem Spiegelbild.
Die Glocke im Refectorium hatte längst zur Abendmahlzeit ge- rufen, Psalm und Tischgebet waren gebetet, schon saßen die Brüder beim sanften Hirsebrei, da erst trat Gunzo in den Saal. Sein Antlitz strahlte. Der Decan deutete ihm schweigend vom gewohnten Platz hinüber in Winkel, denn wer allzuoft versäumte sich rechtzeitig einzu- finden, der ward zur Buße von der Speisenden Gemeinschaft gesondert und sein Wein den Armen verabreicht.209) Aber ohne Murren setzte sich Gunzo hinüber und trank sein belgisch Brunnenwasser, sein Büch- lein lag ja vollendet oben, das tröstete.
Nach aufgehobenem Mahl zog er seiner Freunde einige zu sich auf die Zelle, geheimnißvoll als gält' es verborgenen Schatz zu heben, er las ihnen das Werk vor.
Des heiligen Gallus Kloster mit seinen Büchern, Schulen, Gottes- gelehrten, war in damaliger Christenheit viel zu gut beleumdet, als daß die Jünger des heiligen Amandus nicht mit leiser Freude das Zischen von Gunzo's Geschossen vernommen. Tüchtigkeit und vor- ragender Wandel beleidigt die Welt oft noch tiefer, als Frevel und Sünde.
Darum nickten sie beifällig mit den grauen Häuptern, wie Gunzo die Kernstellen vortrug.
Es wär' schon lang an der Zeit gewesen, den Bären im Helvetier- land einen Tanz aufzuspielen, sprach der Eine, Uebermuth mit Grob- heit gepaart, verdient keine andere Musik.
Gunzo las weiter. Bene, optime, aristotelicissime! murmelten die Versammelten als er geendet. Vergnügte Mahlzeit, Bruder Ak- har! sprach ein Anderer, belgisch Gewürz zum helvetischen Käse der Alpen!
Der Bruder Küchenmeister umarmte den Gunzo und weinte vor Rührung: So gelehrt und so tief und so schön sei noch nichts aus den Mauern des heiligen Amandus in die Welt hinausgegangen. Nur ein Einziger der Brüder stund unbeweglich an der Mauer.
Nun? fragte Gunzo.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 16
Dann ſchritt er zu ſeinem Metallſpiegel, und beſchaute ſich lange, als wär' es ihm von äußerſter Wichtigkeit, das Antlitz deſſen kennen zu lernen, der den Ekkehard von Sanct Gallen vernichtet. Er ver- neigte ſich achtungsvoll vor ſeinem Spiegelbild.
Die Glocke im Refectorium hatte längſt zur Abendmahlzeit ge- rufen, Pſalm und Tiſchgebet waren gebetet, ſchon ſaßen die Brüder beim ſanften Hirſebrei, da erſt trat Gunzo in den Saal. Sein Antlitz ſtrahlte. Der Decan deutete ihm ſchweigend vom gewohnten Platz hinüber in Winkel, denn wer allzuoft verſäumte ſich rechtzeitig einzu- finden, der ward zur Buße von der Speiſenden Gemeinſchaft geſondert und ſein Wein den Armen verabreicht.209) Aber ohne Murren ſetzte ſich Gunzo hinüber und trank ſein belgiſch Brunnenwaſſer, ſein Büch- lein lag ja vollendet oben, das tröſtete.
Nach aufgehobenem Mahl zog er ſeiner Freunde einige zu ſich auf die Zelle, geheimnißvoll als gält' es verborgenen Schatz zu heben, er las ihnen das Werk vor.
Des heiligen Gallus Kloſter mit ſeinen Büchern, Schulen, Gottes- gelehrten, war in damaliger Chriſtenheit viel zu gut beleumdet, als daß die Jünger des heiligen Amandus nicht mit leiſer Freude das Ziſchen von Gunzo's Geſchoſſen vernommen. Tüchtigkeit und vor- ragender Wandel beleidigt die Welt oft noch tiefer, als Frevel und Sünde.
Darum nickten ſie beifällig mit den grauen Häuptern, wie Gunzo die Kernſtellen vortrug.
Es wär' ſchon lang an der Zeit geweſen, den Bären im Helvetier- land einen Tanz aufzuſpielen, ſprach der Eine, Uebermuth mit Grob- heit gepaart, verdient keine andere Muſik.
Gunzo las weiter. Bene, optime, aristotelicissime! murmelten die Verſammelten als er geendet. Vergnügte Mahlzeit, Bruder Ak- har! ſprach ein Anderer, belgiſch Gewürz zum helvetiſchen Käſe der Alpen!
Der Bruder Küchenmeiſter umarmte den Gunzo und weinte vor Rührung: So gelehrt und ſo tief und ſo ſchön ſei noch nichts aus den Mauern des heiligen Amandus in die Welt hinausgegangen. Nur ein Einziger der Brüder ſtund unbeweglich an der Mauer.
Nun? fragte Gunzo.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 16
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Dann ſchritt er zu ſeinem Metallſpiegel, und beſchaute ſich lange,
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zu lernen, der den Ekkehard von Sanct Gallen vernichtet. Er ver-
neigte ſich achtungsvoll vor ſeinem Spiegelbild.
Die Glocke im Refectorium hatte längſt zur Abendmahlzeit ge-
rufen, Pſalm und Tiſchgebet waren gebetet, ſchon ſaßen die Brüder
beim ſanften Hirſebrei, da erſt trat Gunzo in den Saal. Sein Antlitz
ſtrahlte. Der Decan deutete ihm ſchweigend vom gewohnten Platz
hinüber in Winkel, denn wer allzuoft verſäumte ſich rechtzeitig einzu-
finden, der ward zur Buße von der Speiſenden Gemeinſchaft geſondert
und ſein Wein den Armen verabreicht.
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Aber ohne Murren ſetzte
ſich Gunzo hinüber und trank ſein belgiſch Brunnenwaſſer, ſein Büch-
lein lag ja vollendet oben, das tröſtete.
Nach aufgehobenem Mahl zog er ſeiner Freunde einige zu ſich
auf die Zelle, geheimnißvoll als gält' es verborgenen Schatz zu heben,
er las ihnen das Werk vor.
Des heiligen Gallus Kloſter mit ſeinen Büchern, Schulen, Gottes-
gelehrten, war in damaliger Chriſtenheit viel zu gut beleumdet, als
daß die Jünger des heiligen Amandus nicht mit leiſer Freude das
Ziſchen von Gunzo's Geſchoſſen vernommen. Tüchtigkeit und vor-
ragender Wandel beleidigt die Welt oft noch tiefer, als Frevel und
Sünde.
Darum nickten ſie beifällig mit den grauen Häuptern, wie Gunzo
die Kernſtellen vortrug.
Es wär' ſchon lang an der Zeit geweſen, den Bären im Helvetier-
land einen Tanz aufzuſpielen, ſprach der Eine, Uebermuth mit Grob-
heit gepaart, verdient keine andere Muſik.
Gunzo las weiter. Bene, optime, aristotelicissime! murmelten
die Verſammelten als er geendet. Vergnügte Mahlzeit, Bruder Ak-
har! ſprach ein Anderer, belgiſch Gewürz zum helvetiſchen Käſe
der Alpen!
Der Bruder Küchenmeiſter umarmte den Gunzo und weinte vor
Rührung: So gelehrt und ſo tief und ſo ſchön ſei noch nichts aus
den Mauern des heiligen Amandus in die Welt hinausgegangen. Nur
ein Einziger der Brüder ſtund unbeweglich an der Mauer.
Nun? fragte Gunzo.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 16
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/263>, abgerufen am 15.02.2025.
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