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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Anderen Tages verpackte Gunzo seine geharnischte Epistel in eine
Kapsel von Blech, und diese in einen leinenen Umschlag. Ein Dienst-
mann des Klosters, der seinen Bruder erschlagen, hatte das Gelübde
gethan, zu den Gräbern von zwölf Heiligen zu wallen, den rechten
Arm an die rechte Hüfte gekettet, und dort zu beten, bis ihm ein
himmlisch Gnadenzeichen werde.210) Er pilgerte rheinaufwärts. Dem
hing Gunzo die Kapsel um; nach wenig Wochen ward sie richtig und
unversehrt an der Klosterpforte der Reichenau dem Pörtner einge-
händigt. Gunzo kannte seine Leute dort. Darum hatte er ihnen die
Schrift gewidmet.

Der alte Moengal hatte dazumal auch Geschäfte im Kloster. Im
Gaststüblein saß der belgische Pilgersmann, sie hatten ihm ein Fisch-
süpplein gereicht, mühsam arbeitete er sich dran ab, seine Ketten
klirrten, wenn er den Arm hob.

Geh' du wieder heim, Mordbüßer, sprach Moengal zu ihm, und
heirath' die Wittib des Erschlagenen, das wird eine bessere Sühne
sein, als mit klirrendem Eisen einen Narrengang durch die weite
Welt thun.

Der Pilger schüttelte schweigend das Haupt, als dächte er, das
schüfe ihm noch schwerere Ketten als die der Schmied geschmiedet.

Moengal ließ sich beim Abt melden. Er ist im Lesen vertieft,
hieß es. Doch ließ man ihn eintreten.

Setzt Euch, Leutpriester, sprach der Abt gnädig, Ihr seid ein
Freund von Gebeiztem und Gesalzenem -- ich hab' was für Euch.

Er las ihm die frisch angekommene Schrift Gunzo's vor. Der
Alte horchte; seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe, die Nasen-
flügel traten weit und weiter auf.

Den Abt schüttelte ein Lachen, wie er an die Schilderung von
Ekkehard's krausem Haar und feinem Schuhwerk kam. Moengal saß
ernst, es zogen drei Falten auf der Stirn auf wie Wolken vor dem
Gewitter.

Nun? sprach der Abt, dem Bürschlein wird der Hochmuth aus
der Kutte geklopft! Sublim! ganz sublim! Und eine Fülle von
Wissenschaft, das trifft. Darauf gibt's gar keine Antwort.

Doch! sprach der Leutpriester finster.

Welche? fragte der Abt gespannt.

16*

Anderen Tages verpackte Gunzo ſeine geharniſchte Epiſtel in eine
Kapſel von Blech, und dieſe in einen leinenen Umſchlag. Ein Dienſt-
mann des Kloſters, der ſeinen Bruder erſchlagen, hatte das Gelübde
gethan, zu den Gräbern von zwölf Heiligen zu wallen, den rechten
Arm an die rechte Hüfte gekettet, und dort zu beten, bis ihm ein
himmliſch Gnadenzeichen werde.210) Er pilgerte rheinaufwärts. Dem
hing Gunzo die Kapſel um; nach wenig Wochen ward ſie richtig und
unverſehrt an der Kloſterpforte der Reichenau dem Pörtner einge-
händigt. Gunzo kannte ſeine Leute dort. Darum hatte er ihnen die
Schrift gewidmet.

Der alte Moengal hatte dazumal auch Geſchäfte im Kloſter. Im
Gaſtſtüblein ſaß der belgiſche Pilgersmann, ſie hatten ihm ein Fiſch-
ſüpplein gereicht, mühſam arbeitete er ſich dran ab, ſeine Ketten
klirrten, wenn er den Arm hob.

Geh' du wieder heim, Mordbüßer, ſprach Moengal zu ihm, und
heirath' die Wittib des Erſchlagenen, das wird eine beſſere Sühne
ſein, als mit klirrendem Eiſen einen Narrengang durch die weite
Welt thun.

Der Pilger ſchüttelte ſchweigend das Haupt, als dächte er, das
ſchüfe ihm noch ſchwerere Ketten als die der Schmied geſchmiedet.

Moengal ließ ſich beim Abt melden. Er iſt im Leſen vertieft,
hieß es. Doch ließ man ihn eintreten.

Setzt Euch, Leutprieſter, ſprach der Abt gnädig, Ihr ſeid ein
Freund von Gebeiztem und Geſalzenem — ich hab' was für Euch.

Er las ihm die friſch angekommene Schrift Gunzo's vor. Der
Alte horchte; ſeine Augenbrauen zogen ſich in die Höhe, die Naſen-
flügel traten weit und weiter auf.

Den Abt ſchüttelte ein Lachen, wie er an die Schilderung von
Ekkehard's krauſem Haar und feinem Schuhwerk kam. Moengal ſaß
ernſt, es zogen drei Falten auf der Stirn auf wie Wolken vor dem
Gewitter.

Nun? ſprach der Abt, dem Bürſchlein wird der Hochmuth aus
der Kutte geklopft! Sublim! ganz ſublim! Und eine Fülle von
Wiſſenſchaft, das trifft. Darauf gibt's gar keine Antwort.

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[243/0265] Anderen Tages verpackte Gunzo ſeine geharniſchte Epiſtel in eine Kapſel von Blech, und dieſe in einen leinenen Umſchlag. Ein Dienſt- mann des Kloſters, der ſeinen Bruder erſchlagen, hatte das Gelübde gethan, zu den Gräbern von zwölf Heiligen zu wallen, den rechten Arm an die rechte Hüfte gekettet, und dort zu beten, bis ihm ein himmliſch Gnadenzeichen werde. ²¹⁰⁾ Er pilgerte rheinaufwärts. Dem hing Gunzo die Kapſel um; nach wenig Wochen ward ſie richtig und unverſehrt an der Kloſterpforte der Reichenau dem Pörtner einge- händigt. Gunzo kannte ſeine Leute dort. Darum hatte er ihnen die Schrift gewidmet. Der alte Moengal hatte dazumal auch Geſchäfte im Kloſter. Im Gaſtſtüblein ſaß der belgiſche Pilgersmann, ſie hatten ihm ein Fiſch- ſüpplein gereicht, mühſam arbeitete er ſich dran ab, ſeine Ketten klirrten, wenn er den Arm hob. Geh' du wieder heim, Mordbüßer, ſprach Moengal zu ihm, und heirath' die Wittib des Erſchlagenen, das wird eine beſſere Sühne ſein, als mit klirrendem Eiſen einen Narrengang durch die weite Welt thun. Der Pilger ſchüttelte ſchweigend das Haupt, als dächte er, das ſchüfe ihm noch ſchwerere Ketten als die der Schmied geſchmiedet. Moengal ließ ſich beim Abt melden. Er iſt im Leſen vertieft, hieß es. Doch ließ man ihn eintreten. Setzt Euch, Leutprieſter, ſprach der Abt gnädig, Ihr ſeid ein Freund von Gebeiztem und Geſalzenem — ich hab' was für Euch. Er las ihm die friſch angekommene Schrift Gunzo's vor. Der Alte horchte; ſeine Augenbrauen zogen ſich in die Höhe, die Naſen- flügel traten weit und weiter auf. Den Abt ſchüttelte ein Lachen, wie er an die Schilderung von Ekkehard's krauſem Haar und feinem Schuhwerk kam. Moengal ſaß ernſt, es zogen drei Falten auf der Stirn auf wie Wolken vor dem Gewitter. Nun? ſprach der Abt, dem Bürſchlein wird der Hochmuth aus der Kutte geklopft! Sublim! ganz ſublim! Und eine Fülle von Wiſſenſchaft, das trifft. Darauf gibt's gar keine Antwort. Doch! ſprach der Leutprieſter finſter. Welche? fragte der Abt geſpannt. 16*

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/265>, abgerufen am 15.05.2024.