Wo bleibt die Liebe? sprach der Bruder leise, dann schwieg er. Gunzo fühlte den Vorwurf.
Du hast Recht, Hucbald! sprach er, es soll geholfen werden. Die Liebe gebeut für unsere Feinde zu beten. Ich werd' noch ein Gebet für den armen Thoren an Schluß der Schrift setzen, das wird sich versöhnlich ausnehmen und weiche Gemüther bestechen. Wie?
Der Bruder schwieg. Es war spät in der Nacht geworden. Sie gingen auf den Zehen aus der Zelle.
Gunzo wollte den, der von der Liebe gesprochen, zurückhalten, es war ihm an seinem Urtheil gelegen, aber der wandte sich und folgte den Andern.
Matthäus dreiundzwanzig, fünfundzwanzig! sprach er vor sich hin, wie sein Fuß die Schwelle überschritten. Niemand hörte ihn.
Aber Gunzo den Vielgelehrten floh der Schlummer, wieder und wieder las er die Blätter seines Fleißes, er wußte bald, an welchem Fleck jedes einzelne Wort stand und doch kamen seine Augen nicht los von den bekannten Zügen. Dann griff er zur Feder: Einen fröm- mern Schluß! sprach er -- sei es denn! Er besann sich, dann durch- maß er die Stube mit bedachtsamem Schritt. Es sollen künstliche Hexameter werden; wer hat je würdiger eine Beleidigung vergelten sehen?
Jetzt setzte er sich hin und schrieb. Ein Gebet für seinen Feind wollte er schreiben. Aber wider seine Natur kann Niemand. Da las er seine Blätter noch einmal durch -- sie waren allzu gelungen. Dann schrieb er den Nachtrag. Der Hahn krähte in's Morgengrau, da war auch dieser vollendet; prasselnder Mönchsverse zwei Dutzend und ein halbes. Daß seine Gedanken vom Gebet für den Gegner auf ihn selbst und den Ruhm seiner Arbeit zu reden kamen, ist bei einem Mann von Selbstgefühl ein natürlicher Uebergang.
Mit Salbung schrieb er die fünf letzten Zeilen:
Zeuch nun hinaus in die Welt, mein Büchlein, und triffst du auf Leute, Die mit hämischem Zahn mein glorreich Leben benagen, Diesen zerschmettre das Haupt und wirf sie besiegt in den Staub hin, Bis dein Verfasser dereinst zur verheißenen Seligkeit eingeht, Die dem Manne gebührt, der sein Talent nicht verscharrt hat.
Das Pergament war rauh und sträubte sich, er mußte die Rohr- feder breit aufdrücken, daß es die Buchstaben annahm.
Wo bleibt die Liebe? ſprach der Bruder leiſe, dann ſchwieg er. Gunzo fühlte den Vorwurf.
Du haſt Recht, Hucbald! ſprach er, es ſoll geholfen werden. Die Liebe gebeut für unſere Feinde zu beten. Ich werd' noch ein Gebet für den armen Thoren an Schluß der Schrift ſetzen, das wird ſich verſöhnlich ausnehmen und weiche Gemüther beſtechen. Wie?
Der Bruder ſchwieg. Es war ſpät in der Nacht geworden. Sie gingen auf den Zehen aus der Zelle.
Gunzo wollte den, der von der Liebe geſprochen, zurückhalten, es war ihm an ſeinem Urtheil gelegen, aber der wandte ſich und folgte den Andern.
Matthäus dreiundzwanzig, fünfundzwanzig! ſprach er vor ſich hin, wie ſein Fuß die Schwelle überſchritten. Niemand hörte ihn.
Aber Gunzo den Vielgelehrten floh der Schlummer, wieder und wieder las er die Blätter ſeines Fleißes, er wußte bald, an welchem Fleck jedes einzelne Wort ſtand und doch kamen ſeine Augen nicht los von den bekannten Zügen. Dann griff er zur Feder: Einen fröm- mern Schluß! ſprach er — ſei es denn! Er beſann ſich, dann durch- maß er die Stube mit bedachtſamem Schritt. Es ſollen künſtliche Hexameter werden; wer hat je würdiger eine Beleidigung vergelten ſehen?
Jetzt ſetzte er ſich hin und ſchrieb. Ein Gebet für ſeinen Feind wollte er ſchreiben. Aber wider ſeine Natur kann Niemand. Da las er ſeine Blätter noch einmal durch — ſie waren allzu gelungen. Dann ſchrieb er den Nachtrag. Der Hahn krähte in's Morgengrau, da war auch dieſer vollendet; praſſelnder Mönchsverſe zwei Dutzend und ein halbes. Daß ſeine Gedanken vom Gebet für den Gegner auf ihn ſelbſt und den Ruhm ſeiner Arbeit zu reden kamen, iſt bei einem Mann von Selbſtgefühl ein natürlicher Uebergang.
Mit Salbung ſchrieb er die fünf letzten Zeilen:
Zeuch nun hinaus in die Welt, mein Büchlein, und triffſt du auf Leute, Die mit hämiſchem Zahn mein glorreich Leben benagen, Dieſen zerſchmettre das Haupt und wirf ſie beſiegt in den Staub hin, Bis dein Verfaſſer dereinſt zur verheißenen Seligkeit eingeht, Die dem Manne gebührt, der ſein Talent nicht verſcharrt hat.
Das Pergament war rauh und ſträubte ſich, er mußte die Rohr- feder breit aufdrücken, daß es die Buchſtaben annahm.
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Gunzo fühlte den Vorwurf.
Du haſt Recht, Hucbald! ſprach er, es ſoll geholfen werden. Die
Liebe gebeut für unſere Feinde zu beten. Ich werd' noch ein Gebet
für den armen Thoren an Schluß der Schrift ſetzen, das wird ſich
verſöhnlich ausnehmen und weiche Gemüther beſtechen. Wie?
Der Bruder ſchwieg. Es war ſpät in der Nacht geworden. Sie
gingen auf den Zehen aus der Zelle.
Gunzo wollte den, der von der Liebe geſprochen, zurückhalten, es
war ihm an ſeinem Urtheil gelegen, aber der wandte ſich und folgte
den Andern.
Matthäus dreiundzwanzig, fünfundzwanzig! ſprach er vor ſich hin,
wie ſein Fuß die Schwelle überſchritten. Niemand hörte ihn.
Aber Gunzo den Vielgelehrten floh der Schlummer, wieder und
wieder las er die Blätter ſeines Fleißes, er wußte bald, an welchem
Fleck jedes einzelne Wort ſtand und doch kamen ſeine Augen nicht los
von den bekannten Zügen. Dann griff er zur Feder: Einen fröm-
mern Schluß! ſprach er — ſei es denn! Er beſann ſich, dann durch-
maß er die Stube mit bedachtſamem Schritt. Es ſollen künſtliche
Hexameter werden; wer hat je würdiger eine Beleidigung vergelten ſehen?
Jetzt ſetzte er ſich hin und ſchrieb. Ein Gebet für ſeinen Feind
wollte er ſchreiben. Aber wider ſeine Natur kann Niemand. Da
las er ſeine Blätter noch einmal durch — ſie waren allzu gelungen.
Dann ſchrieb er den Nachtrag. Der Hahn krähte in's Morgengrau,
da war auch dieſer vollendet; praſſelnder Mönchsverſe zwei Dutzend
und ein halbes. Daß ſeine Gedanken vom Gebet für den Gegner
auf ihn ſelbſt und den Ruhm ſeiner Arbeit zu reden kamen, iſt bei
einem Mann von Selbſtgefühl ein natürlicher Uebergang.
Mit Salbung ſchrieb er die fünf letzten Zeilen:
Zeuch nun hinaus in die Welt, mein Büchlein, und triffſt du auf Leute,
Die mit hämiſchem Zahn mein glorreich Leben benagen,
Dieſen zerſchmettre das Haupt und wirf ſie beſiegt in den Staub hin,
Bis dein Verfaſſer dereinſt zur verheißenen Seligkeit eingeht,
Die dem Manne gebührt, der ſein Talent nicht verſcharrt hat.
Das Pergament war rauh und ſträubte ſich, er mußte die Rohr-
feder breit aufdrücken, daß es die Buchſtaben annahm.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/264>, abgerufen am 15.02.2025.
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