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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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die Ueberschrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn
zwar einstens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünstigen
Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es
auch in jungen Tagen studirt, unangefochten von den Gazellenaugen
und taubenweichen Wangen und palmbaumschlanken Hüften der Sula-
mitin; jetzt las er's mit anderem Sinne. Ein süßes Träumen um-
fing ihn.

"Wer ist die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröthe,
schön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und schrecklich wie eine
wohlgeordnete Schlachtordnung?" Er schaute hinauf zu den Zinnen
des hohen Twiel, die im Frühroth glänzten, und wußte die Antwort.

Und wieder las er: "Ich schlafe, aber mein Herz wachet. Da ist
die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: thue mir auf, meine
Schwester, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn ist voll
Thaues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen." Ein Luft-
zug schüttelte ihm die weißen Fliederblüthen auf's Büchlein, Ekkehard
schüttelte sie nicht ab, er neigte sein Haupt und saß regungslos ...

Unterdeß hatte Cappan wohlgemuth sein Tagewerk begonnen. Es
war ein Grundstück drunten in der Ebene an der Grenze des hohen-
twieler Bannes; dort hatten die Feldmäuse ihr Heerlager aufgeschlagen,
die Hamster schleppten ganze Wintervorräthe des guten Korns in ihren
Backentaschen von dannen und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in
den kiesigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staats-
mann in aufruhrdurchwühlter Provinz sollte er ein geordnet Verhältniß
herstellen und das Land säubern vom Gesindel. Die Fluthen des
Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgespült; leise grub er
nach und schlug manch eine Feldmaus im Frührothscheine tod, ehe sie
sich dessen versah, dann stellte er sorgsam seine Schlingen und Weiden-
ruthen, an andere Orte streute er ein giftig Lockspeislein, das er aus
Aaronswurz und Einbeer zusammen gekocht, und pfiff fröhlich zu
seinem Mordwerk und ahnte nicht, was für schwere Wolken sich über
seinem Haupte zusammenzogen.

Das Grundstück, wo er handthierte, stieß an Reichenauer Feldmark.
Wo der alte Eichwald seine Wipfel reckte, ragten etliche Strohdächer
ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte
dem Kloster zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme

die Ueberſchrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn
zwar einſtens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünſtigen
Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es
auch in jungen Tagen ſtudirt, unangefochten von den Gazellenaugen
und taubenweichen Wangen und palmbaumſchlanken Hüften der Sula-
mitin; jetzt las er's mit anderem Sinne. Ein ſüßes Träumen um-
fing ihn.

„Wer iſt die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröthe,
ſchön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und ſchrecklich wie eine
wohlgeordnete Schlachtordnung?“ Er ſchaute hinauf zu den Zinnen
des hohen Twiel, die im Frühroth glänzten, und wußte die Antwort.

Und wieder las er: „Ich ſchlafe, aber mein Herz wachet. Da iſt
die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: thue mir auf, meine
Schweſter, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn iſt voll
Thaues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen.“ Ein Luft-
zug ſchüttelte ihm die weißen Fliederblüthen auf's Büchlein, Ekkehard
ſchüttelte ſie nicht ab, er neigte ſein Haupt und ſaß regungslos ...

Unterdeß hatte Cappan wohlgemuth ſein Tagewerk begonnen. Es
war ein Grundſtück drunten in der Ebene an der Grenze des hohen-
twieler Bannes; dort hatten die Feldmäuſe ihr Heerlager aufgeſchlagen,
die Hamſter ſchleppten ganze Wintervorräthe des guten Korns in ihren
Backentaſchen von dannen und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in
den kieſigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staats-
mann in aufruhrdurchwühlter Provinz ſollte er ein geordnet Verhältniß
herſtellen und das Land ſäubern vom Geſindel. Die Fluthen des
Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgeſpült; leiſe grub er
nach und ſchlug manch eine Feldmaus im Frührothſcheine tod, ehe ſie
ſich deſſen verſah, dann ſtellte er ſorgſam ſeine Schlingen und Weiden-
ruthen, an andere Orte ſtreute er ein giftig Lockſpeislein, das er aus
Aaronswurz und Einbeer zuſammen gekocht, und pfiff fröhlich zu
ſeinem Mordwerk und ahnte nicht, was für ſchwere Wolken ſich über
ſeinem Haupte zuſammenzogen.

Das Grundſtück, wo er handthierte, ſtieß an Reichenauer Feldmark.
Wo der alte Eichwald ſeine Wipfel reckte, ragten etliche Strohdächer
ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte
dem Kloſter zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme

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[248/0270] die Ueberſchrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn zwar einſtens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünſtigen Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es auch in jungen Tagen ſtudirt, unangefochten von den Gazellenaugen und taubenweichen Wangen und palmbaumſchlanken Hüften der Sula- mitin; jetzt las er's mit anderem Sinne. Ein ſüßes Träumen um- fing ihn. „Wer iſt die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröthe, ſchön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und ſchrecklich wie eine wohlgeordnete Schlachtordnung?“ Er ſchaute hinauf zu den Zinnen des hohen Twiel, die im Frühroth glänzten, und wußte die Antwort. Und wieder las er: „Ich ſchlafe, aber mein Herz wachet. Da iſt die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: thue mir auf, meine Schweſter, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn iſt voll Thaues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen.“ Ein Luft- zug ſchüttelte ihm die weißen Fliederblüthen auf's Büchlein, Ekkehard ſchüttelte ſie nicht ab, er neigte ſein Haupt und ſaß regungslos ... Unterdeß hatte Cappan wohlgemuth ſein Tagewerk begonnen. Es war ein Grundſtück drunten in der Ebene an der Grenze des hohen- twieler Bannes; dort hatten die Feldmäuſe ihr Heerlager aufgeſchlagen, die Hamſter ſchleppten ganze Wintervorräthe des guten Korns in ihren Backentaſchen von dannen und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in den kieſigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staats- mann in aufruhrdurchwühlter Provinz ſollte er ein geordnet Verhältniß herſtellen und das Land ſäubern vom Geſindel. Die Fluthen des Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgeſpült; leiſe grub er nach und ſchlug manch eine Feldmaus im Frührothſcheine tod, ehe ſie ſich deſſen verſah, dann ſtellte er ſorgſam ſeine Schlingen und Weiden- ruthen, an andere Orte ſtreute er ein giftig Lockſpeislein, das er aus Aaronswurz und Einbeer zuſammen gekocht, und pfiff fröhlich zu ſeinem Mordwerk und ahnte nicht, was für ſchwere Wolken ſich über ſeinem Haupte zuſammenzogen. Das Grundſtück, wo er handthierte, ſtieß an Reichenauer Feldmark. Wo der alte Eichwald ſeine Wipfel reckte, ragten etliche Strohdächer ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte dem Kloſter zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/270>, abgerufen am 14.05.2024.