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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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schlagen: "Am Geburtsfest des Herodes aber tanzte der Herodias
Tochter vor der Gesellschaft, und sie gefiel dem Herodes, daß er ihr
mit einem Eidschwur verhieß zu geben um was sie bitten wollte, und
sie sprach: Gib mir auf einer Schüssel den Kopf Johannes des Täufers!.."

Die priesterliche Stola, Ekkehard's Weihnachtgeschenk von der
Herzogin, lag daneben, die goldgewirkten Fransen hingen über das
Fläschlein mit Jordanwasser, das ihm der alte Thieto einst mitgegeben.

Da schob Praxedis Alles zurück und legte Gunzo's Epistel auf
den Tisch; es that ihr leid, wie sie Alles geordnet. Beim Fortgehen
wandte sie sich, that das Fenster auf, riß ein Zweiglein von dem
üppig am Thurm sich emporschlingenden Epheugerank und warf's
drüber hin.

Ekkehard war spät heimgekommen. Er hatte den wunden Cappan
gepflegt; noch größere Arbeit war es ihm, des Hunnen langes Ehge-
mahl zu trösten. Nachdem das erste Wehgeheul verstummt und ihre
Thränen getrocknet, war bis nach Sonnenuntergang ihre Rede nur
ein einziger großer Fluch auf den Klostermaier, und wenn sie ihren
starken Arm gen Himmel hob und von Augauskratzen und Bilsen-
kraut in die Ohren gießen und Zähneeinschlagen sprach, und ihre brau-
nen Zöpfe wildbedrohlich im Winde flatterten, so bedurfte es ein-
dringlichen Zuspruchs, sie zu beruhigen. Doch war's gelungen.

In der Stille der Nacht las Ekkehard die Blätter, die ihm die
Griechin in seine Stube gelegt. Seine Hand spielte mit einer wilden
Rose, die er heimgehend im Tannwald gepflückt, während sein Auge
die geharnischten Angriffe des welschen Gelehrten aufnahm.

Woher mag es kommen, dachte er und sog den Duft der Blume
ein, daß so Vieles der Tinte Entsprossenes seinen Ursprung nicht ver-
läugnen kann? Alle Tinte kommt vom Gallapfel und aller Gall-
apfel von bösem Wespenstich ...

Mit heiterem Antlitz legte er schließlich die gelben Pergament-
blätter weg: Eine gute Arbeit -- eine recht fleißige gute Arbeit --
o der Wiedehopf ist auch eine wichtige Person unter dem fliegenden
Gethier. Aber die Nachtigall hat kein Ohr für seinen Gesang ...
Er schlief ausgezeichnet gut nach seiner Lesung.

Wie er des andern Morgens von der Burgcapelle zurückschritt
über den Hof, traf er auf Praxedis.

ſchlagen: „Am Geburtsfeſt des Herodes aber tanzte der Herodias
Tochter vor der Geſellſchaft, und ſie gefiel dem Herodes, daß er ihr
mit einem Eidſchwur verhieß zu geben um was ſie bitten wollte, und
ſie ſprach: Gib mir auf einer Schüſſel den Kopf Johannes des Täufers!..“

Die prieſterliche Stola, Ekkehard's Weihnachtgeſchenk von der
Herzogin, lag daneben, die goldgewirkten Franſen hingen über das
Fläſchlein mit Jordanwaſſer, das ihm der alte Thieto einſt mitgegeben.

Da ſchob Praxedis Alles zurück und legte Gunzo's Epiſtel auf
den Tiſch; es that ihr leid, wie ſie Alles geordnet. Beim Fortgehen
wandte ſie ſich, that das Fenſter auf, riß ein Zweiglein von dem
üppig am Thurm ſich emporſchlingenden Epheugerank und warf's
drüber hin.

Ekkehard war ſpät heimgekommen. Er hatte den wunden Cappan
gepflegt; noch größere Arbeit war es ihm, des Hunnen langes Ehge-
mahl zu tröſten. Nachdem das erſte Wehgeheul verſtummt und ihre
Thränen getrocknet, war bis nach Sonnenuntergang ihre Rede nur
ein einziger großer Fluch auf den Kloſtermaier, und wenn ſie ihren
ſtarken Arm gen Himmel hob und von Augauskratzen und Bilſen-
kraut in die Ohren gießen und Zähneeinſchlagen ſprach, und ihre brau-
nen Zöpfe wildbedrohlich im Winde flatterten, ſo bedurfte es ein-
dringlichen Zuſpruchs, ſie zu beruhigen. Doch war's gelungen.

In der Stille der Nacht las Ekkehard die Blätter, die ihm die
Griechin in ſeine Stube gelegt. Seine Hand ſpielte mit einer wilden
Roſe, die er heimgehend im Tannwald gepflückt, während ſein Auge
die geharniſchten Angriffe des welſchen Gelehrten aufnahm.

Woher mag es kommen, dachte er und ſog den Duft der Blume
ein, daß ſo Vieles der Tinte Entſproſſenes ſeinen Urſprung nicht ver-
läugnen kann? Alle Tinte kommt vom Gallapfel und aller Gall-
apfel von böſem Wespenſtich ...

Mit heiterem Antlitz legte er ſchließlich die gelben Pergament-
blätter weg: Eine gute Arbeit — eine recht fleißige gute Arbeit —
o der Wiedehopf iſt auch eine wichtige Perſon unter dem fliegenden
Gethier. Aber die Nachtigall hat kein Ohr für ſeinen Geſang ...
Er ſchlief ausgezeichnet gut nach ſeiner Leſung.

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über den Hof, traf er auf Praxedis.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/290>, abgerufen am 15.05.2024.