Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodisch wie ein Klang aus
ferner Jugendzeit tönte die Weise, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in
der Linken schlug sie den Tact dazu. Sie war Meisterin in dieser
Kunst, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu sagen: es ist
Schade, sie verdiente Benedictus zu heißen, sie hätt' wahrlich einen
tollen Handbuben gegeben.

Wenn die Tonweise rhytmisch zu Ende ging, that sie einen schar-
fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann schallte von dort sanftkräf-
tiges Blasen des Alphorns herüber, ihr Liebster, der Senn auf der
Klus, stand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh-
reigen268) -- jenen seltsamen Naturlaut, der keiner Melodei ver-
gleichbar erst dumpfes Geräusch scheint, als säße eine Hummel oder
ein Käfer im Horn eingesperrt und suche summend den Ausweg, der
aber mälig und mälig das große Lied von Sehnsucht, Liebe und
Heimweh in alle Gänge des Menschenherzens hinein drommetet, daß
es aufjubelt oder zerbricht.

Ich glaube, Euch ist wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene-
dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch so vergnügt auf den Rücken
strecket. Gefällt's Euch?

Ja, sprach Ekkehard, pfeif' weiter.

Er konnte sich nicht satt schauen an all der Pracht. Zur Linken
stund in schweigender Größe der Säntis mit seiner Sippe, -- er
kannte schon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß sie
seine lieben Nachbarn; vor ihm breitete sich ein Gewimmel niedrigerer
Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl-
der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl-
bergs und fernen rhätischen Alpen umsäumt, -- ein dunstiger Streif
Nebel deutete das Becken des Bodensees an, das er umhüllte --
Alles war weit und groß und schön.

Wer das Geheimniß erlauscht hat, das auf luftiger Berghöhe
waltet, und des Menschen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt
in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid,
wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand
zum Bau neuer babylonischer Thürme beischleppen, und er stimmt
ein in jenes rechtschaffene Jauchzen, von dem die Hirten sagen, daß
es vor Gott gelte wie ein Vaterunser.

blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodiſch wie ein Klang aus
ferner Jugendzeit tönte die Weiſe, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in
der Linken ſchlug ſie den Tact dazu. Sie war Meiſterin in dieſer
Kunſt, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu ſagen: es iſt
Schade, ſie verdiente Benedictus zu heißen, ſie hätt' wahrlich einen
tollen Handbuben gegeben.

Wenn die Tonweiſe rhytmiſch zu Ende ging, that ſie einen ſchar-
fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann ſchallte von dort ſanftkräf-
tiges Blaſen des Alphorns herüber, ihr Liebſter, der Senn auf der
Klus, ſtand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh-
reigen268) — jenen ſeltſamen Naturlaut, der keiner Melodei ver-
gleichbar erſt dumpfes Geräuſch ſcheint, als ſäße eine Hummel oder
ein Käfer im Horn eingeſperrt und ſuche ſummend den Ausweg, der
aber mälig und mälig das große Lied von Sehnſucht, Liebe und
Heimweh in alle Gänge des Menſchenherzens hinein drommetet, daß
es aufjubelt oder zerbricht.

Ich glaube, Euch iſt wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene-
dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch ſo vergnügt auf den Rücken
ſtrecket. Gefällt's Euch?

Ja, ſprach Ekkehard, pfeif' weiter.

Er konnte ſich nicht ſatt ſchauen an all der Pracht. Zur Linken
ſtund in ſchweigender Größe der Säntis mit ſeiner Sippe, — er
kannte ſchon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß ſie
ſeine lieben Nachbarn; vor ihm breitete ſich ein Gewimmel niedrigerer
Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl-
der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl-
bergs und fernen rhätiſchen Alpen umſäumt, — ein dunſtiger Streif
Nebel deutete das Becken des Bodenſees an, das er umhüllte —
Alles war weit und groß und ſchön.

Wer das Geheimniß erlauſcht hat, das auf luftiger Berghöhe
waltet, und des Menſchen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt
in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid,
wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand
zum Bau neuer babyloniſcher Thürme beiſchleppen, und er ſtimmt
ein in jenes rechtſchaffene Jauchzen, von dem die Hirten ſagen, daß
es vor Gott gelte wie ein Vaterunſer.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="338"/>
blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodi&#x017F;ch wie ein Klang aus<lb/>
ferner Jugendzeit tönte die Wei&#x017F;e, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in<lb/>
der Linken &#x017F;chlug &#x017F;ie den Tact dazu. Sie war Mei&#x017F;terin in die&#x017F;er<lb/>
Kun&#x017F;t, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu &#x017F;agen: es i&#x017F;t<lb/>
Schade, &#x017F;ie verdiente Benedictus zu heißen, &#x017F;ie hätt' wahrlich einen<lb/>
tollen Handbuben gegeben.</p><lb/>
        <p>Wenn die Tonwei&#x017F;e rhytmi&#x017F;ch zu Ende ging, that &#x017F;ie einen &#x017F;char-<lb/>
fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann &#x017F;challte von dort &#x017F;anftkräf-<lb/>
tiges Bla&#x017F;en des Alphorns herüber, ihr Lieb&#x017F;ter, der Senn auf der<lb/>
Klus, &#x017F;tand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh-<lb/>
reigen<note xml:id="ed268" next="#edt268" place="end" n="268)"/> &#x2014; jenen &#x017F;elt&#x017F;amen Naturlaut, der keiner Melodei ver-<lb/>
gleichbar er&#x017F;t dumpfes Geräu&#x017F;ch &#x017F;cheint, als &#x017F;äße eine Hummel oder<lb/>
ein Käfer im Horn einge&#x017F;perrt und &#x017F;uche &#x017F;ummend den Ausweg, der<lb/>
aber mälig und mälig das große Lied von Sehn&#x017F;ucht, Liebe und<lb/>
Heimweh in alle Gänge des Men&#x017F;chenherzens hinein drommetet, daß<lb/>
es aufjubelt oder zerbricht.</p><lb/>
        <p>Ich glaube, Euch i&#x017F;t wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene-<lb/>
dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch &#x017F;o vergnügt auf den Rücken<lb/>
&#x017F;trecket. Gefällt's Euch?</p><lb/>
        <p>Ja, &#x017F;prach Ekkehard, pfeif' weiter.</p><lb/>
        <p>Er konnte &#x017F;ich nicht &#x017F;att &#x017F;chauen an all der Pracht. Zur Linken<lb/>
&#x017F;tund in &#x017F;chweigender Größe der Säntis mit &#x017F;einer Sippe, &#x2014; er<lb/>
kannte &#x017F;chon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;eine lieben Nachbarn; vor ihm breitete &#x017F;ich ein Gewimmel niedrigerer<lb/>
Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl-<lb/>
der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl-<lb/>
bergs und fernen rhäti&#x017F;chen Alpen um&#x017F;äumt, &#x2014; ein dun&#x017F;tiger Streif<lb/>
Nebel deutete das Becken des Boden&#x017F;ees an, das er umhüllte &#x2014;<lb/>
Alles war weit und groß und &#x017F;chön.</p><lb/>
        <p>Wer das Geheimniß erlau&#x017F;cht hat, das auf luftiger Berghöhe<lb/>
waltet, und des Men&#x017F;chen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt<lb/>
in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid,<lb/>
wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand<lb/>
zum Bau neuer babyloni&#x017F;cher Thürme bei&#x017F;chleppen, und er &#x017F;timmt<lb/>
ein in jenes recht&#x017F;chaffene Jauchzen, von dem die Hirten &#x017F;agen, daß<lb/>
es vor Gott gelte wie ein Vaterun&#x017F;er.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0360] blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodiſch wie ein Klang aus ferner Jugendzeit tönte die Weiſe, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in der Linken ſchlug ſie den Tact dazu. Sie war Meiſterin in dieſer Kunſt, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu ſagen: es iſt Schade, ſie verdiente Benedictus zu heißen, ſie hätt' wahrlich einen tollen Handbuben gegeben. Wenn die Tonweiſe rhytmiſch zu Ende ging, that ſie einen ſchar- fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann ſchallte von dort ſanftkräf- tiges Blaſen des Alphorns herüber, ihr Liebſter, der Senn auf der Klus, ſtand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh- reigen ²⁶⁸⁾ — jenen ſeltſamen Naturlaut, der keiner Melodei ver- gleichbar erſt dumpfes Geräuſch ſcheint, als ſäße eine Hummel oder ein Käfer im Horn eingeſperrt und ſuche ſummend den Ausweg, der aber mälig und mälig das große Lied von Sehnſucht, Liebe und Heimweh in alle Gänge des Menſchenherzens hinein drommetet, daß es aufjubelt oder zerbricht. Ich glaube, Euch iſt wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene- dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch ſo vergnügt auf den Rücken ſtrecket. Gefällt's Euch? Ja, ſprach Ekkehard, pfeif' weiter. Er konnte ſich nicht ſatt ſchauen an all der Pracht. Zur Linken ſtund in ſchweigender Größe der Säntis mit ſeiner Sippe, — er kannte ſchon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß ſie ſeine lieben Nachbarn; vor ihm breitete ſich ein Gewimmel niedrigerer Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl- der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl- bergs und fernen rhätiſchen Alpen umſäumt, — ein dunſtiger Streif Nebel deutete das Becken des Bodenſees an, das er umhüllte — Alles war weit und groß und ſchön. Wer das Geheimniß erlauſcht hat, das auf luftiger Berghöhe waltet, und des Menſchen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid, wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand zum Bau neuer babyloniſcher Thürme beiſchleppen, und er ſtimmt ein in jenes rechtſchaffene Jauchzen, von dem die Hirten ſagen, daß es vor Gott gelte wie ein Vaterunſer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/360
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/360>, abgerufen am 15.05.2024.