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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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er ohne Wahl zu, kommt es ihm auf Maß und Auswahl nicht psc_229.002
an, stört ihn das Unangenehme und Crasse, die stärksten psc_229.003
Ausbrüche der Thierheit am Menschen nicht, schwelgt er gar in psc_229.004
Lastern und ekelerregenden Dingen, so pflegt man ihn einen psc_229.005
Naturalisten zu nennen.

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Von diesen Unterschieden sehe ich hier ab; nicht den Dichter psc_229.007
im Verhältniß zur gesammten Stoffwelt fasse ich hier ins psc_229.008
Auge -- das gehört in das dritte Kapitel, so gut wie der psc_229.009
Unterschied ernster und komischer Stoffe: wählt jemand ausschließlich psc_229.010
komische Stoffe, so ist seine poetische Weltanschauung, psc_229.011
wie sie sich in seiner generalisirenden Stoffwahl kund giebt, psc_229.012
eine andere, als wenn ein Dichter ausschließlich ernste Stoffe psc_229.013
wählt.

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Auch das ist noch zuzugeben, daß mit einer gewissen psc_229.015
Stoffwahl eine gewisse Behandlungsart verbunden zu sein psc_229.016
pflegt. Der Jdealist pflegt nicht so ins Detail zu gehen psc_229.017
wie der Naturalist u. s. w. Aber in der Poetik müssen wir psc_229.018
diese Dinge sondern. Es kommt hier darauf an, die verschiedenen psc_229.019
möglichen Auffassungen eines und desselben Gegenstandes psc_229.020
zu ermessen.

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Jenes ist nur Wahl des Gegenstandes, hier handelt psc_229.022
es sich um die Behandlung des schon Gewählten. Und diese, psc_229.023
wie gesagt, ist entweder

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I. objectiv -- oder

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II. subjectiv.

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Hierbei ist jedoch zu bemerken, daß die vollendete Objectivität psc_229.027
nur eine Richtung, ein Ziel sein kann, aber schwerlich je psc_229.028
vollständig erreicht wird. Alles was über objective Auffassung

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er ohne Wahl zu, kommt es ihm auf Maß und Auswahl nicht psc_229.002
an, stört ihn das Unangenehme und Crasse, die stärksten psc_229.003
Ausbrüche der Thierheit am Menschen nicht, schwelgt er gar in psc_229.004
Lastern und ekelerregenden Dingen, so pflegt man ihn einen psc_229.005
Naturalisten zu nennen.

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  Von diesen Unterschieden sehe ich hier ab; nicht den Dichter psc_229.007
im Verhältniß zur gesammten Stoffwelt fasse ich hier ins psc_229.008
Auge — das gehört in das dritte Kapitel, so gut wie der psc_229.009
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komische Stoffe, so ist seine poetische Weltanschauung, psc_229.011
wie sie sich in seiner generalisirenden Stoffwahl kund giebt, psc_229.012
eine andere, als wenn ein Dichter ausschließlich ernste Stoffe psc_229.013
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  Auch das ist noch zuzugeben, daß mit einer gewissen psc_229.015
Stoffwahl eine gewisse Behandlungsart verbunden zu sein psc_229.016
pflegt. Der Jdealist pflegt nicht so ins Detail zu gehen psc_229.017
wie der Naturalist u. s. w. Aber in der Poetik müssen wir psc_229.018
diese Dinge sondern. Es kommt hier darauf an, die verschiedenen psc_229.019
möglichen Auffassungen eines und desselben Gegenstandes psc_229.020
zu ermessen.

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  Jenes ist nur Wahl des Gegenstandes, hier handelt psc_229.022
es sich um die Behandlung des schon Gewählten. Und diese, psc_229.023
wie gesagt, ist entweder

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I. objectiv — oder

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II. subjectiv.

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  Hierbei ist jedoch zu bemerken, daß die vollendete Objectivität psc_229.027
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/245>, abgerufen am 26.04.2024.