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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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und vor meine Getreue, wird sich noch hinlängliches
Geld und Geldes werth in meinem Coffre finden.
Lebet wohl und gedencket zuweilen an eure getreue
Charlotte, die euch bis in den Tod vollkommen
keusch geliebet hat. Jch vermeinte bey diesen letz-
tern Worten gäntzlich in Verzweifelung zu fallen,
nahm auch Dinge vor, die man sonsten wohl bey
rasenden Personen, aber an keinem vernünfftigen
Christen wahrzunehmen pfleget. Da nun hierauf
Charlotte mich um GOttes, ihrer Seelen-Seligkeit
und getreuer Liebe wegen bat, dieses nnglückiche Ver-
hängniß mit besserer Standhafftigkeit zu ertragen,
ihre Schmertzen nicht zu vergrössern, sondern die
noch wenigen Augenblicke über, so sie noch zu leben
hätte, ihr einige Ruhe zu gönnen, damit sie sich
in ihrem Hertzen mit GOtt versöhnen und zum se-
ligen Sterben anschicken könte, wolte ich Anstalt
machen, sie an den nächsten Ort führen zu lassen,
allein sie verlangte, daß wir ihr aus dem Wagen,
unter einen fchattigen Baum verhelffen solten, all-
wo sie ein wenig ausgestreckt liegen könte, wie nun
dieses geschehen, und ich ihr Haupt auf meinen
Schoos gelegt, sie aber eine gute halbe Stunde in
stillen und eiffrigen Gebet zugebracht hatte, fing sie
aufs hefftigste an Blut auszubrechen, und gab bald
darauf mit fest zusammen gefaltenen Händen ihren
tugendhafften Geist auf.

Bis hieher hatte sich Mons. Litzberg bey Erzeh-
lung seines jämmerlichen Zufalls, ungemein stand-
hafft erzeigt, nunmehro aber traten die Thränen
auf einmahl plötzlich in seine Augen, so, daß er
ziemlich lange inne halten, und unser aller Weich-

hertzig-
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und vor meine Getreue, wird ſich noch hinlaͤngliches
Geld und Geldes werth in meinem Coffre finden.
Lebet wohl und gedencket zuweilen an eure getreue
Charlotte, die euch bis in den Tod vollkommen
keuſch geliebet hat. Jch vermeinte bey dieſen letz-
tern Worten gaͤntzlich in Verzweifelung zu fallen,
nahm auch Dinge vor, die man ſonſten wohl bey
raſenden Perſonen, aber an keinem vernuͤnfftigen
Chriſten wahrzunehmen pfleget. Da nun hierauf
Charlotte mich um GOttes, ihrer Seelen-Seligkeit
und getreuer Liebe wegen bat, dieſes nngluͤckiche Ver-
haͤngniß mit beſſerer Standhafftigkeit zu ertragen,
ihre Schmertzen nicht zu vergroͤſſern, ſondern die
noch wenigen Augenblicke uͤber, ſo ſie noch zu leben
haͤtte, ihr einige Ruhe zu goͤnnen, damit ſie ſich
in ihrem Hertzen mit GOtt verſoͤhnen und zum ſe-
ligen Sterben anſchicken koͤnte, wolte ich Anſtalt
machen, ſie an den naͤchſten Ort fuͤhren zu laſſen,
allein ſie verlangte, daß wir ihr aus dem Wagen,
unter einen fchattigen Baum verhelffen ſolten, all-
wo ſie ein wenig ausgeſtreckt liegen koͤnte, wie nun
dieſes geſchehen, und ich ihr Haupt auf meinen
Schoos gelegt, ſie aber eine gute halbe Stunde in
ſtillen und eiffrigen Gebet zugebracht hatte, fing ſie
aufs hefftigſte an Blut auszubrechen, und gab bald
darauf mit feſt zuſammen gefaltenen Haͤnden ihren
tugendhafften Geiſt auf.

Bis hieher hatte ſich Monſ. Litzberg bey Erzeh-
lung ſeines jaͤmmerlichen Zufalls, ungemein ſtand-
hafft erzeigt, nunmehro aber traten die Thraͤnen
auf einmahl ploͤtzlich in ſeine Augen, ſo, daß er
ziemlich lange inne halten, und unſer aller Weich-

hertzig-
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[153/0167] und vor meine Getreue, wird ſich noch hinlaͤngliches Geld und Geldes werth in meinem Coffre finden. Lebet wohl und gedencket zuweilen an eure getreue Charlotte, die euch bis in den Tod vollkommen keuſch geliebet hat. Jch vermeinte bey dieſen letz- tern Worten gaͤntzlich in Verzweifelung zu fallen, nahm auch Dinge vor, die man ſonſten wohl bey raſenden Perſonen, aber an keinem vernuͤnfftigen Chriſten wahrzunehmen pfleget. Da nun hierauf Charlotte mich um GOttes, ihrer Seelen-Seligkeit und getreuer Liebe wegen bat, dieſes nngluͤckiche Ver- haͤngniß mit beſſerer Standhafftigkeit zu ertragen, ihre Schmertzen nicht zu vergroͤſſern, ſondern die noch wenigen Augenblicke uͤber, ſo ſie noch zu leben haͤtte, ihr einige Ruhe zu goͤnnen, damit ſie ſich in ihrem Hertzen mit GOtt verſoͤhnen und zum ſe- ligen Sterben anſchicken koͤnte, wolte ich Anſtalt machen, ſie an den naͤchſten Ort fuͤhren zu laſſen, allein ſie verlangte, daß wir ihr aus dem Wagen, unter einen fchattigen Baum verhelffen ſolten, all- wo ſie ein wenig ausgeſtreckt liegen koͤnte, wie nun dieſes geſchehen, und ich ihr Haupt auf meinen Schoos gelegt, ſie aber eine gute halbe Stunde in ſtillen und eiffrigen Gebet zugebracht hatte, fing ſie aufs hefftigſte an Blut auszubrechen, und gab bald darauf mit feſt zuſammen gefaltenen Haͤnden ihren tugendhafften Geiſt auf. Bis hieher hatte ſich Monſ. Litzberg bey Erzeh- lung ſeines jaͤmmerlichen Zufalls, ungemein ſtand- hafft erzeigt, nunmehro aber traten die Thraͤnen auf einmahl ploͤtzlich in ſeine Augen, ſo, daß er ziemlich lange inne halten, und unſer aller Weich- hertzig- k 5

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/167>, abgerufen am 01.05.2024.