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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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viduum und der dämonischen Macht, welche wir Unglück nennen. Das Sprichwort deutet seine Ahnung davon mit den Worten an: Ein Unglück kommt nie allein. Die Praxis des Lebens scheint diese Ahnung in noch stärkerem Maße zu besitzen. Man erbarmt sich nur des Unglücklichen, der in Sack und Asche einhergeht. Wer das Unglück verbirgt und stolzer Stirne, lächelnden Mundes duldet, den meidet man, und die Menschen schmähen ihn. Man scheint zu ahnen, daß ihm tiefere Demüthigungen noch bevorstehen, daß er sie selbst auf sich herabbeschwört! Oder zürnen wir ihm, daß er uns einen stillen pharisäischen Triumph, den wir hofften, nicht gönnen will?

Der zweite Schlag, der Leonoren traf, als es ihr kaum gelungen, von dem ersten sich zu erholen und ihr gekränktes Selbstbewußtsein auszuheilen war in einem Briefe ihres Vaters enthalten. Er schrieb ihr, daß er gefangen, schrieb aus seinem Gefängnisse -- der Brief enthielt sonst nicht viel Anderes als Schmähungen auf den tyrannischen Fürsten, der ihn gefangen halten lasse und sich seiner Güter bemächtigt habe -- Baron Windschrot, schien es, war überzeugt, er sei das unglückliche Opfer eines teuflischen Complotts, das ihn um seine Habe und seine Freiheit gebracht. Zum Schlusse verlangte er von Leonoren eine Menge Sachen und Gegenstände, von denen sie nicht ein Zehntel ihm zu verschaffen im Stande war.

Die dritte, vollständig überwältigende Nachricht,

viduum und der dämonischen Macht, welche wir Unglück nennen. Das Sprichwort deutet seine Ahnung davon mit den Worten an: Ein Unglück kommt nie allein. Die Praxis des Lebens scheint diese Ahnung in noch stärkerem Maße zu besitzen. Man erbarmt sich nur des Unglücklichen, der in Sack und Asche einhergeht. Wer das Unglück verbirgt und stolzer Stirne, lächelnden Mundes duldet, den meidet man, und die Menschen schmähen ihn. Man scheint zu ahnen, daß ihm tiefere Demüthigungen noch bevorstehen, daß er sie selbst auf sich herabbeschwört! Oder zürnen wir ihm, daß er uns einen stillen pharisäischen Triumph, den wir hofften, nicht gönnen will?

Der zweite Schlag, der Leonoren traf, als es ihr kaum gelungen, von dem ersten sich zu erholen und ihr gekränktes Selbstbewußtsein auszuheilen war in einem Briefe ihres Vaters enthalten. Er schrieb ihr, daß er gefangen, schrieb aus seinem Gefängnisse — der Brief enthielt sonst nicht viel Anderes als Schmähungen auf den tyrannischen Fürsten, der ihn gefangen halten lasse und sich seiner Güter bemächtigt habe — Baron Windschrot, schien es, war überzeugt, er sei das unglückliche Opfer eines teuflischen Complotts, das ihn um seine Habe und seine Freiheit gebracht. Zum Schlusse verlangte er von Leonoren eine Menge Sachen und Gegenstände, von denen sie nicht ein Zehntel ihm zu verschaffen im Stande war.

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[0033] viduum und der dämonischen Macht, welche wir Unglück nennen. Das Sprichwort deutet seine Ahnung davon mit den Worten an: Ein Unglück kommt nie allein. Die Praxis des Lebens scheint diese Ahnung in noch stärkerem Maße zu besitzen. Man erbarmt sich nur des Unglücklichen, der in Sack und Asche einhergeht. Wer das Unglück verbirgt und stolzer Stirne, lächelnden Mundes duldet, den meidet man, und die Menschen schmähen ihn. Man scheint zu ahnen, daß ihm tiefere Demüthigungen noch bevorstehen, daß er sie selbst auf sich herabbeschwört! Oder zürnen wir ihm, daß er uns einen stillen pharisäischen Triumph, den wir hofften, nicht gönnen will? Der zweite Schlag, der Leonoren traf, als es ihr kaum gelungen, von dem ersten sich zu erholen und ihr gekränktes Selbstbewußtsein auszuheilen war in einem Briefe ihres Vaters enthalten. Er schrieb ihr, daß er gefangen, schrieb aus seinem Gefängnisse — der Brief enthielt sonst nicht viel Anderes als Schmähungen auf den tyrannischen Fürsten, der ihn gefangen halten lasse und sich seiner Güter bemächtigt habe — Baron Windschrot, schien es, war überzeugt, er sei das unglückliche Opfer eines teuflischen Complotts, das ihn um seine Habe und seine Freiheit gebracht. Zum Schlusse verlangte er von Leonoren eine Menge Sachen und Gegenstände, von denen sie nicht ein Zehntel ihm zu verschaffen im Stande war. Die dritte, vollständig überwältigende Nachricht,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/33>, abgerufen am 26.04.2024.