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Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.

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18 W. SCHULZE:


Hibernicae (1881) zurückreichen. Durch systematische Verfolgung und
scharfsinnige Verknüpfung aller Spuren, die die Benutzung dieses Kommen-
tars in irischen Handschriften der Insel und des Kontinents, auch in alten
Handschriftenkatalogen der von irischen Mönchen besuchten Klöster hinter-
lassen hat, ist es Zimmer nicht nur gelungen, ganz neue Materialien für
die Rekonstruktion des ursprünglichen Werkes zu erschließen, er hat auch
in seinem Buche 'Pelagius in Irland. Texte und Untersuchungen zur pa-
tristischen Literatur' (1901) die Rekonstruktion selbst in Angriff genommen
und die Geschichte der Überlieferung aufgehellt. Voller klang nun der Dank
der Theologen als je die Zustimmung oder Anerkennung der nächsten Mit-
arbeiter. 'Die Kirchengeschichte, schrieb damals Jülicher, die neutestament-
liche Wissenschaft, die Geschichte der Kultur im Ausgange des Altertums
haben wahrlich Grund zu freudiger Dankbarkeit, und bewunderungswürdig
erscheint der Sprachforscher, den die Menge und Schwierigkeit der Arbeiten
in seinen Spezialfächern nicht abhält, die Patristiker beinahe zu beschämen
durch eine Monographie, die ebenso durch die Masse neuen Stoffs wie
durch die Exaktheit der Methode und durch die Vertrautheit mit allem
Handwerkszeug imponiert' (Göttingische Gelehrte Anzeigen 1902, 281).
Es war der letzte große und unumstrittene Erfolg, der Zimmers wissen-
schaftlicher Arbeit beschieden sein sollte. Mit rücksichtsloser Anspannung
aller Kräfte hatte er den Abschluß der Untersuchung beschleunigt, da schon
die Übersiedlung nach Berlin (Herbst 1901) unmittelbar bevorstand, in die
eigens für ihn geschaffene erste deutsche Professur für keltische Philologie,
in eine Stellung von neuen, wie alle Beteiligten hofften, reicheren Wirkungs-
möglichkeiten. Doch die Summe körperlicher Leistungsfähigkeit, die die
Natur dem Einzelnen zuzumessen scheint, war durch die Leidenschaft der
Arbeit, die von früher Jugend her sein ganzes Leben beherrscht hatte, vor-
zeitig erschöpft worden. Die alte Kraft und Frische eines schier unver-
wüstlichen Wesens schien von ihm gewichen zu sein. Der Tod Johannes
Schmidts und Albrecht Webers, die, einst seine Lehrer, jetzt seine
nächsten Fakultätsgenossen hätten werden sollen, warf seine Schatten gleich
auf den Beginn der Berliner Wirksamkeit. Nach kurzem Anlauf mußte
Zimmer jeder Tätigkeit auf Jahre entsagen. Die Feuersbrunst, der im
Sommer 1903 seine Bibliothek zum Raube wurde, zerstörte zugleich die
Frucht fünfundzwanzigjähriger Mühen, die Fülle der daheim oder in der
Fremde zusammengebrachten Kollationen, die reichen grammatischen und


18 W. SCHULZE:


Hibernicae (1881) zurückreichen. Durch systematische Verfolgung und
scharfsinnige Verknüpfung aller Spuren, die die Benutzung dieses Kommen-
tars in irischen Handschriften der Insel und des Kontinents, auch in alten
Handschriftenkatalogen der von irischen Mönchen besuchten Klöster hinter-
lassen hat, ist es Zimmer nicht nur gelungen, ganz neue Materialien für
die Rekonstruktion des ursprünglichen Werkes zu erschließen, er hat auch
in seinem Buche ‘Pelagius in Irland. Texte und Untersuchungen zur pa-
tristischen Literatur’ (1901) die Rekonstruktion selbst in Angriff genommen
und die Geschichte der Überlieferung aufgehellt. Voller klang nun der Dank
der Theologen als je die Zustimmung oder Anerkennung der nächsten Mit-
arbeiter. ‘Die Kirchengeschichte, schrieb damals Jülicher, die neutestament-
liche Wissenschaft, die Geschichte der Kultur im Ausgange des Altertums
haben wahrlich Grund zu freudiger Dankbarkeit, und bewunderungswürdig
erscheint der Sprachforscher, den die Menge und Schwierigkeit der Arbeiten
in seinen Spezialfächern nicht abhält, die Patristiker beinahe zu beschämen
durch eine Monographie, die ebenso durch die Masse neuen Stoffs wie
durch die Exaktheit der Methode und durch die Vertrautheit mit allem
Handwerkszeug imponiert’ (Göttingische Gelehrte Anzeigen 1902, 281).
Es war der letzte große und unumstrittene Erfolg, der Zimmers wissen-
schaftlicher Arbeit beschieden sein sollte. Mit rücksichtsloser Anspannung
aller Kräfte hatte er den Abschluß der Untersuchung beschleunigt, da schon
die Übersiedlung nach Berlin (Herbst 1901) unmittelbar bevorstand, in die
eigens für ihn geschaffene erste deutsche Professur für keltische Philologie,
in eine Stellung von neuen, wie alle Beteiligten hofften, reicheren Wirkungs-
möglichkeiten. Doch die Summe körperlicher Leistungsfähigkeit, die die
Natur dem Einzelnen zuzumessen scheint, war durch die Leidenschaft der
Arbeit, die von früher Jugend her sein ganzes Leben beherrscht hatte, vor-
zeitig erschöpft worden. Die alte Kraft und Frische eines schier unver-
wüstlichen Wesens schien von ihm gewichen zu sein. Der Tod Johannes
Schmidts und Albrecht Webers, die, einst seine Lehrer, jetzt seine
nächsten Fakultätsgenossen hätten werden sollen, warf seine Schatten gleich
auf den Beginn der Berliner Wirksamkeit. Nach kurzem Anlauf mußte
Zimmer jeder Tätigkeit auf Jahre entsagen. Die Feuersbrunst, der im
Sommer 1903 seine Bibliothek zum Raube wurde, zerstörte zugleich die
Frucht fünfundzwanzigjähriger Mühen, die Fülle der daheim oder in der
Fremde zusammengebrachten Kollationen, die reichen grammatischen und

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[20/0020] 18 W. SCHULZE: Hibernicae (1881) zurückreichen. Durch systematische Verfolgung und scharfsinnige Verknüpfung aller Spuren, die die Benutzung dieses Kommen- tars in irischen Handschriften der Insel und des Kontinents, auch in alten Handschriftenkatalogen der von irischen Mönchen besuchten Klöster hinter- lassen hat, ist es Zimmer nicht nur gelungen, ganz neue Materialien für die Rekonstruktion des ursprünglichen Werkes zu erschließen, er hat auch in seinem Buche ‘Pelagius in Irland. Texte und Untersuchungen zur pa- tristischen Literatur’ (1901) die Rekonstruktion selbst in Angriff genommen und die Geschichte der Überlieferung aufgehellt. Voller klang nun der Dank der Theologen als je die Zustimmung oder Anerkennung der nächsten Mit- arbeiter. ‘Die Kirchengeschichte, schrieb damals Jülicher, die neutestament- liche Wissenschaft, die Geschichte der Kultur im Ausgange des Altertums haben wahrlich Grund zu freudiger Dankbarkeit, und bewunderungswürdig erscheint der Sprachforscher, den die Menge und Schwierigkeit der Arbeiten in seinen Spezialfächern nicht abhält, die Patristiker beinahe zu beschämen durch eine Monographie, die ebenso durch die Masse neuen Stoffs wie durch die Exaktheit der Methode und durch die Vertrautheit mit allem Handwerkszeug imponiert’ (Göttingische Gelehrte Anzeigen 1902, 281). Es war der letzte große und unumstrittene Erfolg, der Zimmers wissen- schaftlicher Arbeit beschieden sein sollte. Mit rücksichtsloser Anspannung aller Kräfte hatte er den Abschluß der Untersuchung beschleunigt, da schon die Übersiedlung nach Berlin (Herbst 1901) unmittelbar bevorstand, in die eigens für ihn geschaffene erste deutsche Professur für keltische Philologie, in eine Stellung von neuen, wie alle Beteiligten hofften, reicheren Wirkungs- möglichkeiten. Doch die Summe körperlicher Leistungsfähigkeit, die die Natur dem Einzelnen zuzumessen scheint, war durch die Leidenschaft der Arbeit, die von früher Jugend her sein ganzes Leben beherrscht hatte, vor- zeitig erschöpft worden. Die alte Kraft und Frische eines schier unver- wüstlichen Wesens schien von ihm gewichen zu sein. Der Tod Johannes Schmidts und Albrecht Webers, die, einst seine Lehrer, jetzt seine nächsten Fakultätsgenossen hätten werden sollen, warf seine Schatten gleich auf den Beginn der Berliner Wirksamkeit. Nach kurzem Anlauf mußte Zimmer jeder Tätigkeit auf Jahre entsagen. Die Feuersbrunst, der im Sommer 1903 seine Bibliothek zum Raube wurde, zerstörte zugleich die Frucht fünfundzwanzigjähriger Mühen, die Fülle der daheim oder in der Fremde zusammengebrachten Kollationen, die reichen grammatischen und

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Zitationshilfe: Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulze_zimmer_1911/20>, abgerufen am 29.04.2024.