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Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839.

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schen Kräfte. Man könnte annehmen, dass die bildenden
Kräfte der Organismen in der anorganischen Natur gar
nicht vorkommen, weil diese oder jene bestimmte Kombi-
nation der Moleküle, wodurch die Kräfte zur Aeusserung
kommen, in der anorganischen Natur sich nicht findet, und
doch würden diese Kräfte von den physikalischen und
chemischen Kräften sich wesentlich gar nicht unterscheiden.
Die Zweckmässigkeit, selbst ein hoher Grad individueller
Zweckmässigkeit jedes Organismus lässt sich gar nicht läug-
nen; allein nach dieser Ansicht liegt der Grund dieser
Zweckmässigkeit nicht darin, dass jeder Organismus durch
eine individuelle, nach einem Zweck wirkende Kraft her-
vorgebracht wird, sondern er liegt darin, worin auch der
Grund der Zweckmässigkeit in der anorganischen Natur
liegt, in der Schöpfung der Materie mit ihren blinden
Kräften durch ein vernünftiges Wesen. Wir kennen z. B.
die Kräfte, welche in unserm Planetensystem wirken. Es
sind Kräfte, die nach blinden Gesetzen der Nothwen-
digkeit wirken, wie alle physikalischen Kräfte, und den-
noch ist das Planetensystem äusserst zweckmässig. Der
Grund dieser Zweckmässigkeit liegt nicht in diesen Kräf-
ten, sondern in Dem, der die Materie mit ihren Kräften
so geschaffen hat, dass sie ihren blinden Gesetzen folgend
dennoch ein zweckmässiges Ganze hervorbringen. Man
kann selbst eine individuelle Zweckmässigkeit des Plane-
tensystems behaupten. Eine äussere Einwirkung, etwa ein
Komet, kann Veränderungen der Bewegung veranlassen,
ohne dass desshalb das Ganze zusammenstürzt; auf den
einzelnen Planeten können Störungen, etwa eine hohe
Meeresfluth u. s. w. entstehen, die sich aber rein nach phy-
sikalischen Gesetzen wieder ausgleichen. Die Organismen
sind in Bezug auf ihre Zweckmässigkeit nur gradweise
hievon verschieden, und nach dieser zweiten Ansicht über
die organischen Grundkräfte ist man bei ihnen ebenso
wenig gezwungen auf eine nach den Gesetzen der Zweck-
mässigkeit wirkende Grundkraft zu schliessen, als diess
überhaupt in der anorganischen Natur nothwendig ist.

schen Kräfte. Man könnte annehmen, daſs die bildenden
Kräfte der Organismen in der anorganischen Natur gar
nicht vorkommen, weil diese oder jene bestimmte Kombi-
nation der Moleküle, wodurch die Kräfte zur Aeuſserung
kommen, in der anorganischen Natur sich nicht findet, und
doch würden diese Kräfte von den physikalischen und
chemischen Kräften sich wesentlich gar nicht unterscheiden.
Die Zweckmäſsigkeit, selbst ein hoher Grad individueller
Zweckmäſsigkeit jedes Organismus läſst sich gar nicht läug-
nen; allein nach dieser Ansicht liegt der Grund dieser
Zweckmäſsigkeit nicht darin, daſs jeder Organismus durch
eine individuelle, nach einem Zweck wirkende Kraft her-
vorgebracht wird, sondern er liegt darin, worin auch der
Grund der Zweckmäſsigkeit in der anorganischen Natur
liegt, in der Schöpfung der Materie mit ihren blinden
Kräften durch ein vernünftiges Wesen. Wir kennen z. B.
die Kräfte, welche in unserm Planetensystem wirken. Es
sind Kräfte, die nach blinden Gesetzen der Nothwen-
digkeit wirken, wie alle physikalischen Kräfte, und den-
noch ist das Planetensystem äuſserst zweckmäſsig. Der
Grund dieser Zweckmäſsigkeit liegt nicht in diesen Kräf-
ten, sondern in Dem, der die Materie mit ihren Kräften
so geschaffen hat, daſs sie ihren blinden Gesetzen folgend
dennoch ein zweckmäſsiges Ganze hervorbringen. Man
kann selbst eine individuelle Zweckmäſsigkeit des Plane-
tensystems behaupten. Eine äuſsere Einwirkung, etwa ein
Komet, kann Veränderungen der Bewegung veranlassen,
ohne daſs deſshalb das Ganze zusammenstürzt; auf den
einzelnen Planeten können Störungen, etwa eine hohe
Meeresfluth u. s. w. entstehen, die sich aber rein nach phy-
sikalischen Gesetzen wieder ausgleichen. Die Organismen
sind in Bezug auf ihre Zweckmäſsigkeit nur gradweise
hievon verschieden, und nach dieser zweiten Ansicht über
die organischen Grundkräfte ist man bei ihnen ebenso
wenig gezwungen auf eine nach den Gesetzen der Zweck-
mäſsigkeit wirkende Grundkraft zu schlieſsen, als dieſs
überhaupt in der anorganischen Natur nothwendig ist.

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[222/0246] schen Kräfte. Man könnte annehmen, daſs die bildenden Kräfte der Organismen in der anorganischen Natur gar nicht vorkommen, weil diese oder jene bestimmte Kombi- nation der Moleküle, wodurch die Kräfte zur Aeuſserung kommen, in der anorganischen Natur sich nicht findet, und doch würden diese Kräfte von den physikalischen und chemischen Kräften sich wesentlich gar nicht unterscheiden. Die Zweckmäſsigkeit, selbst ein hoher Grad individueller Zweckmäſsigkeit jedes Organismus läſst sich gar nicht läug- nen; allein nach dieser Ansicht liegt der Grund dieser Zweckmäſsigkeit nicht darin, daſs jeder Organismus durch eine individuelle, nach einem Zweck wirkende Kraft her- vorgebracht wird, sondern er liegt darin, worin auch der Grund der Zweckmäſsigkeit in der anorganischen Natur liegt, in der Schöpfung der Materie mit ihren blinden Kräften durch ein vernünftiges Wesen. Wir kennen z. B. die Kräfte, welche in unserm Planetensystem wirken. Es sind Kräfte, die nach blinden Gesetzen der Nothwen- digkeit wirken, wie alle physikalischen Kräfte, und den- noch ist das Planetensystem äuſserst zweckmäſsig. Der Grund dieser Zweckmäſsigkeit liegt nicht in diesen Kräf- ten, sondern in Dem, der die Materie mit ihren Kräften so geschaffen hat, daſs sie ihren blinden Gesetzen folgend dennoch ein zweckmäſsiges Ganze hervorbringen. Man kann selbst eine individuelle Zweckmäſsigkeit des Plane- tensystems behaupten. Eine äuſsere Einwirkung, etwa ein Komet, kann Veränderungen der Bewegung veranlassen, ohne daſs deſshalb das Ganze zusammenstürzt; auf den einzelnen Planeten können Störungen, etwa eine hohe Meeresfluth u. s. w. entstehen, die sich aber rein nach phy- sikalischen Gesetzen wieder ausgleichen. Die Organismen sind in Bezug auf ihre Zweckmäſsigkeit nur gradweise hievon verschieden, und nach dieser zweiten Ansicht über die organischen Grundkräfte ist man bei ihnen ebenso wenig gezwungen auf eine nach den Gesetzen der Zweck- mäſsigkeit wirkende Grundkraft zu schlieſsen, als dieſs überhaupt in der anorganischen Natur nothwendig ist.

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Zitationshilfe: Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/246>, abgerufen am 29.04.2024.