Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
häufig wild antraf, verursachte mir große Freude; nach-
hero in der Mittagshitze, wobey ich vergeblich den Durst
mit der wohlschmeckenden Saramsakzwiebel zu stillen
suchte traf ich hoch am Gebirge die Lonicera alpigena
mit vielen reifen gelben Beeren an, ich kannte ihre böse
Wirkungen damals nicht, aß also ohnbekümmert etwa
20 -- 30 von den Beeren, die mir aber nicht schmecken
wollten. Kaum aber hatte ich sie eine Viertelstunde im
Leibe gehabt, als mir zu Muthe ward wie wenn ich Jpe-
cacuanna genommen hätte, und nun urplötzlich drauf
giengs Erbrechen an. Sechsmal während einer halben
Stunde mußte ich ihre Wirkungen aushalten und nun
wurde mir so wohl, daß ich mit der größten Leichtigkeit
einen sehr steilen und hohen Berg hinankletterte, wo ich,
auf dessen Gipfel, bey einem einzigen kirgisischen Grabe
mit einem hohen steinernen Pfeiler, mich ausruhete.
Die kühle Luft hier und eine schöne Aussicht machten mir
den Mund wiederum ganz wässericht. Bey Sonnenun-
tergang erreichte ich mein Zelt wieder, setzte mich nieder
und schrieb, wobey ich dreyerley Gäste hatte: Schaafe,
Ziegen und deren Lämmer, die mir ins Schreibbuch kuck-
ten, und die Mücken, die mir das Blut aussogen. Hier
am Bugaß findet sich dieses verwünschte Geschmeiß nur
des Abends und Nachts ein. Zum Glücke aber nicht in
großer Menge.

Den 18. Jul. Der heutige Sonntag war mir des-
wegen merkwürdig, weil ich bey einer recht großen kirgi-
sischen Gasterey zugegen war. Die Veranlassung dazu
gaben die drey nach dem Kalym hergekommenen Frem-

den.

aus Sibirien.
haͤufig wild antraf, verurſachte mir große Freude; nach-
hero in der Mittagshitze, wobey ich vergeblich den Durſt
mit der wohlſchmeckenden Saramſakzwiebel zu ſtillen
ſuchte traf ich hoch am Gebirge die Lonicera alpigena
mit vielen reifen gelben Beeren an, ich kannte ihre boͤſe
Wirkungen damals nicht, aß alſo ohnbekuͤmmert etwa
20 — 30 von den Beeren, die mir aber nicht ſchmecken
wollten. Kaum aber hatte ich ſie eine Viertelſtunde im
Leibe gehabt, als mir zu Muthe ward wie wenn ich Jpe-
cacuanna genommen haͤtte, und nun urploͤtzlich drauf
giengs Erbrechen an. Sechsmal waͤhrend einer halben
Stunde mußte ich ihre Wirkungen aushalten und nun
wurde mir ſo wohl, daß ich mit der groͤßten Leichtigkeit
einen ſehr ſteilen und hohen Berg hinankletterte, wo ich,
auf deſſen Gipfel, bey einem einzigen kirgiſiſchen Grabe
mit einem hohen ſteinernen Pfeiler, mich ausruhete.
Die kuͤhle Luft hier und eine ſchoͤne Ausſicht machten mir
den Mund wiederum ganz waͤſſericht. Bey Sonnenun-
tergang erreichte ich mein Zelt wieder, ſetzte mich nieder
und ſchrieb, wobey ich dreyerley Gaͤſte hatte: Schaafe,
Ziegen und deren Laͤmmer, die mir ins Schreibbuch kuck-
ten, und die Muͤcken, die mir das Blut ausſogen. Hier
am Bugaß findet ſich dieſes verwuͤnſchte Geſchmeiß nur
des Abends und Nachts ein. Zum Gluͤcke aber nicht in
großer Menge.

Den 18. Jul. Der heutige Sonntag war mir des-
wegen merkwuͤrdig, weil ich bey einer recht großen kirgi-
ſiſchen Gaſterey zugegen war. Die Veranlaſſung dazu
gaben die drey nach dem Kalym hergekommenen Frem-

den.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="173"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
ha&#x0364;ufig wild antraf, verur&#x017F;achte mir große Freude; nach-<lb/>
hero in der Mittagshitze, wobey ich vergeblich den Dur&#x017F;t<lb/>
mit der wohl&#x017F;chmeckenden Saram&#x017F;akzwiebel zu &#x017F;tillen<lb/>
&#x017F;uchte traf ich hoch am Gebirge die <hi rendition="#aq">Lonicera alpigena</hi><lb/>
mit vielen reifen gelben Beeren an, ich kannte ihre bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
Wirkungen damals nicht, aß al&#x017F;o ohnbeku&#x0364;mmert etwa<lb/>
20 &#x2014; 30 von den Beeren, die mir aber nicht &#x017F;chmecken<lb/>
wollten. Kaum aber hatte ich &#x017F;ie eine Viertel&#x017F;tunde im<lb/>
Leibe gehabt, als mir zu Muthe ward wie wenn ich Jpe-<lb/>
cacuanna genommen ha&#x0364;tte, und nun urplo&#x0364;tzlich drauf<lb/>
giengs Erbrechen an. Sechsmal wa&#x0364;hrend einer halben<lb/>
Stunde mußte ich ihre Wirkungen aushalten und nun<lb/>
wurde mir &#x017F;o wohl, daß ich mit der gro&#x0364;ßten Leichtigkeit<lb/>
einen &#x017F;ehr &#x017F;teilen und hohen Berg hinankletterte, wo ich,<lb/>
auf de&#x017F;&#x017F;en Gipfel, bey einem einzigen kirgi&#x017F;i&#x017F;chen Grabe<lb/>
mit einem hohen &#x017F;teinernen Pfeiler, mich ausruhete.<lb/>
Die ku&#x0364;hle Luft hier und eine &#x017F;cho&#x0364;ne Aus&#x017F;icht machten mir<lb/>
den Mund wiederum ganz wa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ericht. Bey Sonnenun-<lb/>
tergang erreichte ich mein Zelt wieder, &#x017F;etzte mich nieder<lb/>
und &#x017F;chrieb, wobey ich dreyerley Ga&#x0364;&#x017F;te hatte: Schaafe,<lb/>
Ziegen und deren La&#x0364;mmer, die mir ins Schreibbuch kuck-<lb/>
ten, und die Mu&#x0364;cken, die mir das Blut aus&#x017F;ogen. Hier<lb/>
am <hi rendition="#fr">Bugaß</hi> findet &#x017F;ich die&#x017F;es verwu&#x0364;n&#x017F;chte Ge&#x017F;chmeiß nur<lb/>
des Abends und Nachts ein. Zum Glu&#x0364;cke aber nicht in<lb/>
großer Menge.</p><lb/>
          <p>Den 18. Jul. Der heutige Sonntag war mir des-<lb/>
wegen merkwu&#x0364;rdig, weil ich bey einer recht großen kirgi-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Ga&#x017F;terey zugegen war. Die Veranla&#x017F;&#x017F;ung dazu<lb/>
gaben die drey nach dem Kalym hergekommenen Frem-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0181] aus Sibirien. haͤufig wild antraf, verurſachte mir große Freude; nach- hero in der Mittagshitze, wobey ich vergeblich den Durſt mit der wohlſchmeckenden Saramſakzwiebel zu ſtillen ſuchte traf ich hoch am Gebirge die Lonicera alpigena mit vielen reifen gelben Beeren an, ich kannte ihre boͤſe Wirkungen damals nicht, aß alſo ohnbekuͤmmert etwa 20 — 30 von den Beeren, die mir aber nicht ſchmecken wollten. Kaum aber hatte ich ſie eine Viertelſtunde im Leibe gehabt, als mir zu Muthe ward wie wenn ich Jpe- cacuanna genommen haͤtte, und nun urploͤtzlich drauf giengs Erbrechen an. Sechsmal waͤhrend einer halben Stunde mußte ich ihre Wirkungen aushalten und nun wurde mir ſo wohl, daß ich mit der groͤßten Leichtigkeit einen ſehr ſteilen und hohen Berg hinankletterte, wo ich, auf deſſen Gipfel, bey einem einzigen kirgiſiſchen Grabe mit einem hohen ſteinernen Pfeiler, mich ausruhete. Die kuͤhle Luft hier und eine ſchoͤne Ausſicht machten mir den Mund wiederum ganz waͤſſericht. Bey Sonnenun- tergang erreichte ich mein Zelt wieder, ſetzte mich nieder und ſchrieb, wobey ich dreyerley Gaͤſte hatte: Schaafe, Ziegen und deren Laͤmmer, die mir ins Schreibbuch kuck- ten, und die Muͤcken, die mir das Blut ausſogen. Hier am Bugaß findet ſich dieſes verwuͤnſchte Geſchmeiß nur des Abends und Nachts ein. Zum Gluͤcke aber nicht in großer Menge. Den 18. Jul. Der heutige Sonntag war mir des- wegen merkwuͤrdig, weil ich bey einer recht großen kirgi- ſiſchen Gaſterey zugegen war. Die Veranlaſſung dazu gaben die drey nach dem Kalym hergekommenen Frem- den.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/181
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/181>, abgerufen am 29.04.2024.