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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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blossen arbeitenden Kapitalien gewählt, so dass schon Anfangs des
15. Jahrhunderts die offene Handelsgesellschaft gebräuchlich wird. Zu
einer reinen Vermögensgenossenschaft, d. h. einer solchen, in der das
gemeinsam besessene Vermögen sich zu einer selbständigen, jenseits
der Einzelanteile stehenden Einheit und Rechtspersönlichkeit objekti-
viert hat und der Teilhaber nur mit einem bestimmten Teile seines
Vermögens und sonst absolut nicht mit seiner Person beteiligt ist --
ist es erst seit dem Durchdringen der Geldwirtschaft gekommen. Das
Geld allein konnte solche Gemeinsamkeiten zu stande bringen, die das
einzelne Mitglied absolut nicht präjudizieren: es hat den Zweck-
verband zu seinen reinen Formen entwickelt, jene Organisationsart, die
sozusagen das Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion ver-
einigt und uns die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich
Personen unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen
vereinigen können. -- Die zersetzende und isolierende Wirkung des
Geldes ist nicht nur ganz im allgemeinen Bedingung und Korrelat
dieser versöhnenden und verbindenden; sondern in einzelnen histo-
rischen Verhältnissen übt das Geld zugleich die auflösende und die
vereinigende Wirkung. So z. B. im Familienleben, dessen organische
Einheit und Enge einerseits durch die Folgen der Geldwirtschaft zer-
stört worden ist, während man andrerseits grade unter Anerkennung
hiervon hervorgehoben hat, dass die Familie fast nichts mehr sei als
eine Organisation der Erbfolge. Wenn unter mehreren Interessen,
die die Vereinigung eines Kreises ausmachen, das eine auf alle
anderen zerstörend wirkt, so wird natürlich dieses selbst die anderen
überleben und schliesslich noch die einzige Verbindung zwischen den
Elementen darstellen, deren sonstige Zusammenhänge es zernagt hat.
Nicht nur auf Grund seines immanenten Charakters, sondern grade weil
es auf so viele andere Verbindungsarten der Menschen destruktiv wirkt,
sehen wir das Geld den Zusammenhang zwischen sonst ganz zusammen-
hangslosen Elementen herstellen. Und es giebt heute vielleicht keine
Assoziation von Menschen mehr, die nicht, als Ganzes, irgend ein Geld-
interesse einschlösse, und sei es nur die Saalmiete einer religiösen
Korporation.

Durch den Charakter des Zweckverbandes aber, den das Einungs-
leben deshalb mehr und mehr annimmt, wird es mehr und mehr ent-
seelt; die ganze Herzlosigkeit des Geldes spiegelt sich so in der sozialen
Kultur, die von ihm bestimmt wird. Vielleicht, dass die Kraft des
sozialistischen Ideals zum Teil einer Reaktion auf diese entstammt;
denn indem es dem Geldwesen den Krieg erklärt, will es die Iso-
lierung des Individuums seiner Gruppe gegenüber, wie sie in der Form

bloſsen arbeitenden Kapitalien gewählt, so daſs schon Anfangs des
15. Jahrhunderts die offene Handelsgesellschaft gebräuchlich wird. Zu
einer reinen Vermögensgenossenschaft, d. h. einer solchen, in der das
gemeinsam besessene Vermögen sich zu einer selbständigen, jenseits
der Einzelanteile stehenden Einheit und Rechtspersönlichkeit objekti-
viert hat und der Teilhaber nur mit einem bestimmten Teile seines
Vermögens und sonst absolut nicht mit seiner Person beteiligt ist —
ist es erst seit dem Durchdringen der Geldwirtschaft gekommen. Das
Geld allein konnte solche Gemeinsamkeiten zu stande bringen, die das
einzelne Mitglied absolut nicht präjudizieren: es hat den Zweck-
verband zu seinen reinen Formen entwickelt, jene Organisationsart, die
sozusagen das Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion ver-
einigt und uns die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich
Personen unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen
vereinigen können. — Die zersetzende und isolierende Wirkung des
Geldes ist nicht nur ganz im allgemeinen Bedingung und Korrelat
dieser versöhnenden und verbindenden; sondern in einzelnen histo-
rischen Verhältnissen übt das Geld zugleich die auflösende und die
vereinigende Wirkung. So z. B. im Familienleben, dessen organische
Einheit und Enge einerseits durch die Folgen der Geldwirtschaft zer-
stört worden ist, während man andrerseits grade unter Anerkennung
hiervon hervorgehoben hat, daſs die Familie fast nichts mehr sei als
eine Organisation der Erbfolge. Wenn unter mehreren Interessen,
die die Vereinigung eines Kreises ausmachen, das eine auf alle
anderen zerstörend wirkt, so wird natürlich dieses selbst die anderen
überleben und schlieſslich noch die einzige Verbindung zwischen den
Elementen darstellen, deren sonstige Zusammenhänge es zernagt hat.
Nicht nur auf Grund seines immanenten Charakters, sondern grade weil
es auf so viele andere Verbindungsarten der Menschen destruktiv wirkt,
sehen wir das Geld den Zusammenhang zwischen sonst ganz zusammen-
hangslosen Elementen herstellen. Und es giebt heute vielleicht keine
Assoziation von Menschen mehr, die nicht, als Ganzes, irgend ein Geld-
interesse einschlösse, und sei es nur die Saalmiete einer religiösen
Korporation.

Durch den Charakter des Zweckverbandes aber, den das Einungs-
leben deshalb mehr und mehr annimmt, wird es mehr und mehr ent-
seelt; die ganze Herzlosigkeit des Geldes spiegelt sich so in der sozialen
Kultur, die von ihm bestimmt wird. Vielleicht, daſs die Kraft des
sozialistischen Ideals zum Teil einer Reaktion auf diese entstammt;
denn indem es dem Geldwesen den Krieg erklärt, will es die Iso-
lierung des Individuums seiner Gruppe gegenüber, wie sie in der Form

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[354/0378] bloſsen arbeitenden Kapitalien gewählt, so daſs schon Anfangs des 15. Jahrhunderts die offene Handelsgesellschaft gebräuchlich wird. Zu einer reinen Vermögensgenossenschaft, d. h. einer solchen, in der das gemeinsam besessene Vermögen sich zu einer selbständigen, jenseits der Einzelanteile stehenden Einheit und Rechtspersönlichkeit objekti- viert hat und der Teilhaber nur mit einem bestimmten Teile seines Vermögens und sonst absolut nicht mit seiner Person beteiligt ist — ist es erst seit dem Durchdringen der Geldwirtschaft gekommen. Das Geld allein konnte solche Gemeinsamkeiten zu stande bringen, die das einzelne Mitglied absolut nicht präjudizieren: es hat den Zweck- verband zu seinen reinen Formen entwickelt, jene Organisationsart, die sozusagen das Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion ver- einigt und uns die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich Personen unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen vereinigen können. — Die zersetzende und isolierende Wirkung des Geldes ist nicht nur ganz im allgemeinen Bedingung und Korrelat dieser versöhnenden und verbindenden; sondern in einzelnen histo- rischen Verhältnissen übt das Geld zugleich die auflösende und die vereinigende Wirkung. So z. B. im Familienleben, dessen organische Einheit und Enge einerseits durch die Folgen der Geldwirtschaft zer- stört worden ist, während man andrerseits grade unter Anerkennung hiervon hervorgehoben hat, daſs die Familie fast nichts mehr sei als eine Organisation der Erbfolge. Wenn unter mehreren Interessen, die die Vereinigung eines Kreises ausmachen, das eine auf alle anderen zerstörend wirkt, so wird natürlich dieses selbst die anderen überleben und schlieſslich noch die einzige Verbindung zwischen den Elementen darstellen, deren sonstige Zusammenhänge es zernagt hat. Nicht nur auf Grund seines immanenten Charakters, sondern grade weil es auf so viele andere Verbindungsarten der Menschen destruktiv wirkt, sehen wir das Geld den Zusammenhang zwischen sonst ganz zusammen- hangslosen Elementen herstellen. Und es giebt heute vielleicht keine Assoziation von Menschen mehr, die nicht, als Ganzes, irgend ein Geld- interesse einschlösse, und sei es nur die Saalmiete einer religiösen Korporation. Durch den Charakter des Zweckverbandes aber, den das Einungs- leben deshalb mehr und mehr annimmt, wird es mehr und mehr ent- seelt; die ganze Herzlosigkeit des Geldes spiegelt sich so in der sozialen Kultur, die von ihm bestimmt wird. Vielleicht, daſs die Kraft des sozialistischen Ideals zum Teil einer Reaktion auf diese entstammt; denn indem es dem Geldwesen den Krieg erklärt, will es die Iso- lierung des Individuums seiner Gruppe gegenüber, wie sie in der Form

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/378>, abgerufen am 15.05.2024.