Gleichen. Ihr glaubt, ein ehrlicher Kerl, könne kein ernsthaftes Wort vorbringen, ohne eine Leichenbitter¬ miene dabei zu machen. Der Humor ist Euch ein unbekannter Luxus. Nun wohl, mein ernsthafter Freund, was hast Du?"
"Höre, Oldenburg --".
"Still! wir sind doch hier unbelauscht? Mir war, als hörte ich eine Ratte hinter den Tapeten?"
"Es war nichts."
"Eh bien, so verkünde mir in möglichst verständ¬ lichen Worten Deine Trauermähr."
Die Stimmen der Redenden wurden leiser, aber nicht so sehr, daß Oswald nicht jedes Wort deutlich hörte. Er verwünschte seine Situation, die ihm die Rolle des Lauschers aufzwang; aber er sah keine Mög¬ lichkeit zu entrinnen. Da Oldenburg Fräulein von Breesen erkannt hatte, würde er die Ehre dieser jungen Dame preisgegeben haben, wäre er jetzt aus seinem Versteck hervorgekommen. Er versuchte, ob er nicht geräuschlos das Fenster öffnen könne, um mit einem kühnen Sprunge über die Stachelbeerhecke fort, die sich unter demselben hinzog, in den Garten, und von dort durch die offene Thür des Ballsaales in diesen zurückzugelangen, aber er stand von diesem Vorhaben, als zu gewagt ab, und ergab sich, nicht
Gleichen. Ihr glaubt, ein ehrlicher Kerl, könne kein ernſthaftes Wort vorbringen, ohne eine Leichenbitter¬ miene dabei zu machen. Der Humor iſt Euch ein unbekannter Luxus. Nun wohl, mein ernſthafter Freund, was haſt Du?“
„Höre, Oldenburg —“.
„Still! wir ſind doch hier unbelauſcht? Mir war, als hörte ich eine Ratte hinter den Tapeten?“
„Es war nichts.“
„Eh bien, ſo verkünde mir in möglichſt verſtänd¬ lichen Worten Deine Trauermähr.“
Die Stimmen der Redenden wurden leiſer, aber nicht ſo ſehr, daß Oswald nicht jedes Wort deutlich hörte. Er verwünſchte ſeine Situation, die ihm die Rolle des Lauſchers aufzwang; aber er ſah keine Mög¬ lichkeit zu entrinnen. Da Oldenburg Fräulein von Breeſen erkannt hatte, würde er die Ehre dieſer jungen Dame preisgegeben haben, wäre er jetzt aus ſeinem Verſteck hervorgekommen. Er verſuchte, ob er nicht geräuſchlos das Fenſter öffnen könne, um mit einem kühnen Sprunge über die Stachelbeerhecke fort, die ſich unter demſelben hinzog, in den Garten, und von dort durch die offene Thür des Ballſaales in dieſen zurückzugelangen, aber er ſtand von dieſem Vorhaben, als zu gewagt ab, und ergab ſich, nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0100"n="90"/>
Gleichen. Ihr glaubt, ein ehrlicher Kerl, könne kein<lb/>
ernſthaftes Wort vorbringen, ohne eine Leichenbitter¬<lb/>
miene dabei zu machen. Der Humor iſt Euch ein<lb/>
unbekannter Luxus. Nun wohl, mein ernſthafter<lb/>
Freund, was haſt Du?“</p><lb/><p>„Höre, Oldenburg —“.</p><lb/><p>„Still! wir ſind doch hier unbelauſcht? Mir war,<lb/>
als hörte ich eine Ratte hinter den Tapeten?“</p><lb/><p>„Es war nichts.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Eh bien</hi>, ſo verkünde mir in möglichſt verſtänd¬<lb/>
lichen Worten Deine Trauermähr.“</p><lb/><p>Die Stimmen der Redenden wurden leiſer, aber<lb/>
nicht ſo ſehr, daß Oswald nicht jedes Wort deutlich<lb/>
hörte. Er verwünſchte ſeine Situation, die ihm die<lb/>
Rolle des Lauſchers aufzwang; aber er ſah keine Mög¬<lb/>
lichkeit zu entrinnen. Da Oldenburg Fräulein von<lb/>
Breeſen erkannt hatte, würde er die Ehre dieſer<lb/>
jungen Dame preisgegeben haben, wäre er jetzt aus<lb/>ſeinem Verſteck hervorgekommen. Er verſuchte, ob er<lb/>
nicht geräuſchlos das Fenſter öffnen könne, um mit<lb/>
einem kühnen Sprunge über die Stachelbeerhecke fort,<lb/>
die ſich unter demſelben hinzog, in den Garten, und<lb/>
von dort durch die offene Thür des Ballſaales in<lb/>
dieſen zurückzugelangen, aber er ſtand von dieſem<lb/>
Vorhaben, als zu gewagt ab, und ergab ſich, nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0100]
Gleichen. Ihr glaubt, ein ehrlicher Kerl, könne kein
ernſthaftes Wort vorbringen, ohne eine Leichenbitter¬
miene dabei zu machen. Der Humor iſt Euch ein
unbekannter Luxus. Nun wohl, mein ernſthafter
Freund, was haſt Du?“
„Höre, Oldenburg —“.
„Still! wir ſind doch hier unbelauſcht? Mir war,
als hörte ich eine Ratte hinter den Tapeten?“
„Es war nichts.“
„Eh bien, ſo verkünde mir in möglichſt verſtänd¬
lichen Worten Deine Trauermähr.“
Die Stimmen der Redenden wurden leiſer, aber
nicht ſo ſehr, daß Oswald nicht jedes Wort deutlich
hörte. Er verwünſchte ſeine Situation, die ihm die
Rolle des Lauſchers aufzwang; aber er ſah keine Mög¬
lichkeit zu entrinnen. Da Oldenburg Fräulein von
Breeſen erkannt hatte, würde er die Ehre dieſer
jungen Dame preisgegeben haben, wäre er jetzt aus
ſeinem Verſteck hervorgekommen. Er verſuchte, ob er
nicht geräuſchlos das Fenſter öffnen könne, um mit
einem kühnen Sprunge über die Stachelbeerhecke fort,
die ſich unter demſelben hinzog, in den Garten, und
von dort durch die offene Thür des Ballſaales in
dieſen zurückzugelangen, aber er ſtand von dieſem
Vorhaben, als zu gewagt ab, und ergab ſich, nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/100>, abgerufen am 15.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.