Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgesehen, denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erst jetzt, daß diese die Gesellschaft schon vor dem Abendessen ver¬ lassen hatten, und daß der Wagen wiederkommen würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da sie nicht in dem Ballsaal erschienen war, in einem der andern Zimmer vermuthet. Ein Diener, der mit einem Prä¬ sentirbrette voll Weingläsern an ihm vorübereilte, antwortete auf seine Frage, ob er Frau von Berkow nicht gesehen habe? "die gnädige Frau ist soeben fort¬ gefahren. Befehlen Limonade oder Champagner?" Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen Zug. "Fortgefahren -- ohne Abschied! Vortrefflich," murmelte er, indem er sich in den Ballsaal zurückbegab.
Und immer nächtiger wurde es in seiner Seele. Jetzt zürnte er nicht mit sich, daß er die Geliebte so schnöde gekränkt und sie so gekränkt hatte ziehen lassen, sondern ihr, daß sie fortgegangen war, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sie um Verzeihung zu bitten. Ihm war zu Muthe, wie einer Seele zu Muthe sein könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren ist, weil sie des Priesters Absolution verschmähte, und die nun gegen sich selbst und gegen den unschuldigen Priester wüthet. Tolle Gedanken wirbelten durch sein überreiztes Gehirn -- es wäre ihm eine Wollust
Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgeſehen, denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erſt jetzt, daß dieſe die Geſellſchaft ſchon vor dem Abendeſſen ver¬ laſſen hatten, und daß der Wagen wiederkommen würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da ſie nicht in dem Ballſaal erſchienen war, in einem der andern Zimmer vermuthet. Ein Diener, der mit einem Prä¬ ſentirbrette voll Weingläſern an ihm vorübereilte, antwortete auf ſeine Frage, ob er Frau von Berkow nicht geſehen habe? „die gnädige Frau iſt ſoeben fort¬ gefahren. Befehlen Limonade oder Champagner?“ Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen Zug. „Fortgefahren — ohne Abſchied! Vortrefflich,“ murmelte er, indem er ſich in den Ballſaal zurückbegab.
Und immer nächtiger wurde es in ſeiner Seele. Jetzt zürnte er nicht mit ſich, daß er die Geliebte ſo ſchnöde gekränkt und ſie ſo gekränkt hatte ziehen laſſen, ſondern ihr, daß ſie fortgegangen war, ohne ihm Gelegenheit zu geben, ſie um Verzeihung zu bitten. Ihm war zu Muthe, wie einer Seele zu Muthe ſein könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren iſt, weil ſie des Prieſters Abſolution verſchmähte, und die nun gegen ſich ſelbſt und gegen den unſchuldigen Prieſter wüthet. Tolle Gedanken wirbelten durch ſein überreiztes Gehirn — es wäre ihm eine Wolluſt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0092"n="82"/>
Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgeſehen,<lb/>
denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erſt jetzt, daß<lb/>
dieſe die Geſellſchaft ſchon vor dem Abendeſſen ver¬<lb/>
laſſen hatten, und daß der Wagen wiederkommen<lb/>
würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da ſie nicht<lb/>
in dem Ballſaal erſchienen war, in einem der andern<lb/>
Zimmer vermuthet. Ein Diener, der mit einem Prä¬<lb/>ſentirbrette voll Weingläſern an ihm vorübereilte,<lb/>
antwortete auf ſeine Frage, ob er Frau von Berkow<lb/>
nicht geſehen habe? „die gnädige Frau iſt ſoeben fort¬<lb/>
gefahren. Befehlen Limonade oder Champagner?“<lb/>
Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen<lb/>
Zug. „Fortgefahren — ohne Abſchied! Vortrefflich,“<lb/>
murmelte er, indem er ſich in den Ballſaal zurückbegab.</p><lb/><p>Und immer nächtiger wurde es in ſeiner Seele.<lb/>
Jetzt zürnte er nicht mit ſich, daß er die Geliebte ſo<lb/>ſchnöde gekränkt und ſie ſo gekränkt hatte ziehen laſſen,<lb/>ſondern ihr, daß ſie fortgegangen war, ohne ihm<lb/>
Gelegenheit zu geben, ſie um Verzeihung zu bitten.<lb/>
Ihm war zu Muthe, wie einer Seele zu Muthe ſein<lb/>
könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren iſt,<lb/>
weil ſie des Prieſters Abſolution verſchmähte, und die<lb/>
nun gegen ſich ſelbſt und gegen den unſchuldigen<lb/>
Prieſter wüthet. Tolle Gedanken wirbelten durch ſein<lb/>
überreiztes Gehirn — es wäre ihm eine Wolluſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[82/0092]
Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgeſehen,
denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erſt jetzt, daß
dieſe die Geſellſchaft ſchon vor dem Abendeſſen ver¬
laſſen hatten, und daß der Wagen wiederkommen
würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da ſie nicht
in dem Ballſaal erſchienen war, in einem der andern
Zimmer vermuthet. Ein Diener, der mit einem Prä¬
ſentirbrette voll Weingläſern an ihm vorübereilte,
antwortete auf ſeine Frage, ob er Frau von Berkow
nicht geſehen habe? „die gnädige Frau iſt ſoeben fort¬
gefahren. Befehlen Limonade oder Champagner?“
Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen
Zug. „Fortgefahren — ohne Abſchied! Vortrefflich,“
murmelte er, indem er ſich in den Ballſaal zurückbegab.
Und immer nächtiger wurde es in ſeiner Seele.
Jetzt zürnte er nicht mit ſich, daß er die Geliebte ſo
ſchnöde gekränkt und ſie ſo gekränkt hatte ziehen laſſen,
ſondern ihr, daß ſie fortgegangen war, ohne ihm
Gelegenheit zu geben, ſie um Verzeihung zu bitten.
Ihm war zu Muthe, wie einer Seele zu Muthe ſein
könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren iſt,
weil ſie des Prieſters Abſolution verſchmähte, und die
nun gegen ſich ſelbſt und gegen den unſchuldigen
Prieſter wüthet. Tolle Gedanken wirbelten durch ſein
überreiztes Gehirn — es wäre ihm eine Wolluſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/92>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.