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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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ein Grundsatz, der nicht weiter bewiesen zu werden
brauchte.

Sie hätte ihre Tochter so gern unter die allge¬
meine Regel gebracht, von der sie selbst eine Aus¬
nahme zu machen keineswegs beanspruchte, aber es
war unmöglich. Eine geheime Stimme, die sie nicht
zum Schweigen bringen konnte, sagte ihr: Helenen ist
ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht
um eben so viele Millionen, um keinen Preis der
Welt. Eine andere Mutter würde dieser Gedanke
mit Entzücken erfüllt, sie würde in ihrer Tochter ihr
besseres Selbst verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬
lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von
einer solchen Schwärmerei. Der Genius, der auf
der stolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren
dunkeln Augen so groß, so edel hervorschaute -- er
war ihr fremd, unheimlich, feindlich -- sie hatte nichts
mit ihm zu schaffen. Helene war das Kind ihres
Geistes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das
weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬
ters geerbt, -- dieselben Eigenschaften, welche die
Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend
bekämpfte. -- Daß sie nun außerdem noch den scharfen
Verstand der Mutter hatte, daß sie die Heiligthümer
ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geistes

ein Grundſatz, der nicht weiter bewieſen zu werden
brauchte.

Sie hätte ihre Tochter ſo gern unter die allge¬
meine Regel gebracht, von der ſie ſelbſt eine Aus¬
nahme zu machen keineswegs beanſpruchte, aber es
war unmöglich. Eine geheime Stimme, die ſie nicht
zum Schweigen bringen konnte, ſagte ihr: Helenen iſt
ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht
um eben ſo viele Millionen, um keinen Preis der
Welt. Eine andere Mutter würde dieſer Gedanke
mit Entzücken erfüllt, ſie würde in ihrer Tochter ihr
beſſeres Selbſt verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬
lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von
einer ſolchen Schwärmerei. Der Genius, der auf
der ſtolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren
dunkeln Augen ſo groß, ſo edel hervorſchaute — er
war ihr fremd, unheimlich, feindlich — ſie hatte nichts
mit ihm zu ſchaffen. Helene war das Kind ihres
Geiſtes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das
weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬
ters geerbt, — dieſelben Eigenſchaften, welche die
Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend
bekämpfte. — Daß ſie nun außerdem noch den ſcharfen
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[207/0217] ein Grundſatz, der nicht weiter bewieſen zu werden brauchte. Sie hätte ihre Tochter ſo gern unter die allge¬ meine Regel gebracht, von der ſie ſelbſt eine Aus¬ nahme zu machen keineswegs beanſpruchte, aber es war unmöglich. Eine geheime Stimme, die ſie nicht zum Schweigen bringen konnte, ſagte ihr: Helenen iſt ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht um eben ſo viele Millionen, um keinen Preis der Welt. Eine andere Mutter würde dieſer Gedanke mit Entzücken erfüllt, ſie würde in ihrer Tochter ihr beſſeres Selbſt verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬ lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von einer ſolchen Schwärmerei. Der Genius, der auf der ſtolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren dunkeln Augen ſo groß, ſo edel hervorſchaute — er war ihr fremd, unheimlich, feindlich — ſie hatte nichts mit ihm zu ſchaffen. Helene war das Kind ihres Geiſtes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬ ters geerbt, — dieſelben Eigenſchaften, welche die Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend bekämpfte. — Daß ſie nun außerdem noch den ſcharfen Verſtand der Mutter hatte, daß ſie die Heiligthümer ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geiſtes

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/217>, abgerufen am 29.04.2024.