Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-
nähren, darf sie nicht Hungers sterben sehen!
Bester Herr, folgen sie meinem Rathe, es ist
noch nicht aller Tage Abend, sammeln sie bei
Zeiten, sonst werden sie einst schreckliche Dinge
erleben!
M. Freund. Was tragt ihr denn so schwer
auf euerm Rücken?
Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald
wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-
de ich redlich mit den Armen theilen, damit sie
ihre Weiber und Kinder ernähren können. (mit
Thränen
)
O Herr, es ist schrecklich, wenn
man diese muß verhungern sehen, und nicht hel-
fen kann! Schrecklich, schrecklich ist's! Ach,
ich muß eilen, muß die gute Zeit nützen, ehe
die böse erscheint.

Der Unglückliche eilte nun unter der schweren
Last keuchend weiter; da mein Freund ihm ins
nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts
traf, so erkundigte er sich bei diesem nach dem
merkwürdigen Manne. Er erfuhr durch ihn seine
ganze Lebensgeschichte, welche er ihm, als Wil-
helmine noch lebte, einst erzählt und vertraut
hatte. Das Elend der unglücklichen Familie,
fügte der Pfarrer hinzu, wäre nicht zu einem so
schrecklichen Grade gestiegen, wenn ich damals
nicht selbst dem Tode nahe gewesen wäre, ich
konnte nicht mehr für sie sorgen, und erfuhr erst
nach meiner langsamen Genesung ihren Tod.


man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-
naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen!
Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt
noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei
Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge
erleben!
M. Freund. Was tragt ihr denn ſo ſchwer
auf euerm Ruͤcken?
Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald
wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-
de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie
ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. (mit
Thraͤnen
)
O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn
man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel-
fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach,
ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe
die boͤſe erſcheint.

Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren
Laſt keuchend weiter; da mein Freund ihm ins
nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts
traf, ſo erkundigte er ſich bei dieſem nach dem
merkwuͤrdigen Manne. Er erfuhr durch ihn ſeine
ganze Lebensgeſchichte, welche er ihm, als Wil-
helmine noch lebte, einſt erzaͤhlt und vertraut
hatte. Das Elend der ungluͤcklichen Familie,
fuͤgte der Pfarrer hinzu, waͤre nicht zu einem ſo
ſchrecklichen Grade geſtiegen, wenn ich damals
nicht ſelbſt dem Tode nahe geweſen waͤre, ich
konnte nicht mehr fuͤr ſie ſorgen, und erfuhr erſt
nach meiner langſamen Geneſung ihren Tod.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#FRANZ">
          <p><pb facs="#f0101" n="93"/>
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-<lb/>
na&#x0364;hren, darf &#x017F;ie nicht Hungers &#x017F;terben &#x017F;ehen!<lb/>
Be&#x017F;ter Herr, folgen &#x017F;ie meinem Rathe, es i&#x017F;t<lb/>
noch nicht aller Tage Abend, &#x017F;ammeln &#x017F;ie bei<lb/>
Zeiten, &#x017F;on&#x017F;t werden &#x017F;ie ein&#x017F;t &#x017F;chreckliche Dinge<lb/>
erleben!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FREUN">
          <speaker>M. <hi rendition="#g">Freund</hi>.</speaker>
          <p>Was tragt ihr denn &#x017F;o &#x017F;chwer<lb/>
auf euerm Ru&#x0364;cken?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FRANZ">
          <speaker><hi rendition="#g">Franz</hi>.</speaker>
          <p>Vorrath! Vorrath! Es wird bald<lb/>
wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-<lb/>
de ich redlich mit den Armen theilen, damit &#x017F;ie<lb/>
ihre Weiber und Kinder erna&#x0364;hren ko&#x0364;nnen. <stage>(<hi rendition="#g">mit<lb/>
Thra&#x0364;nen</hi>)</stage> O Herr, es i&#x017F;t &#x017F;chrecklich, wenn<lb/>
man die&#x017F;e muß verhungern &#x017F;ehen, und nicht hel-<lb/>
fen kann! Schrecklich, &#x017F;chrecklich i&#x017F;t's! Ach,<lb/>
ich muß eilen, muß die gute Zeit nu&#x0364;tzen, ehe<lb/>
die bo&#x0364;&#x017F;e er&#x017F;cheint.</p>
        </sp><lb/>
        <p>Der Unglu&#x0364;ckliche eilte nun unter der &#x017F;chweren<lb/>
La&#x017F;t keuchend weiter; da mein Freund ihm ins<lb/>
nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts<lb/>
traf, &#x017F;o erkundigte er &#x017F;ich bei die&#x017F;em nach dem<lb/>
merkwu&#x0364;rdigen Manne. Er erfuhr durch ihn &#x017F;eine<lb/>
ganze Lebensge&#x017F;chichte, welche er ihm, als Wil-<lb/>
helmine noch lebte, ein&#x017F;t erza&#x0364;hlt und vertraut<lb/>
hatte. Das Elend der unglu&#x0364;cklichen Familie,<lb/>
fu&#x0364;gte der Pfarrer hinzu, wa&#x0364;re nicht zu einem &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chrecklichen Grade ge&#x017F;tiegen, wenn ich damals<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t dem Tode nahe gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, ich<lb/>
konnte nicht mehr fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x017F;orgen, und erfuhr er&#x017F;t<lb/>
nach meiner lang&#x017F;amen Gene&#x017F;ung ihren Tod.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0101] man etwas hat, man kann Weib und Kinder er- naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen! Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge erleben! M. Freund. Was tragt ihr denn ſo ſchwer auf euerm Ruͤcken? Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer- de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. (mit Thraͤnen) O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel- fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach, ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe die boͤſe erſcheint. Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren Laſt keuchend weiter; da mein Freund ihm ins nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts traf, ſo erkundigte er ſich bei dieſem nach dem merkwuͤrdigen Manne. Er erfuhr durch ihn ſeine ganze Lebensgeſchichte, welche er ihm, als Wil- helmine noch lebte, einſt erzaͤhlt und vertraut hatte. Das Elend der ungluͤcklichen Familie, fuͤgte der Pfarrer hinzu, waͤre nicht zu einem ſo ſchrecklichen Grade geſtiegen, wenn ich damals nicht ſelbſt dem Tode nahe geweſen waͤre, ich konnte nicht mehr fuͤr ſie ſorgen, und erfuhr erſt nach meiner langſamen Geneſung ihren Tod.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/101
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/101>, abgerufen am 11.05.2024.