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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Galanthus.
Wenn das Insekt sich auf die Blume gesetzt, und, um in die
Röhre hineinzukriechen, sich umgekehrt hat, so erscheint demsel-
ben die Blume so, wie in Fig. 39. vorgestellt worden ist. Es er-
blickt alsdenn verschiedene Linien, welche insgesamt nach der Mitte
zu laufen, und ihm zeigen, daß der Saft in der Mitte befindlich
ist. Die äußeren Kronenblätter sind mit Linien geziert, welche
zwar nicht von anderer Farbe, aber durchsichtiger und heller sind.
Diese Linien bemerkt man nicht, wenn man die Blume von oben
besieht, sondern bloß, wenn man sie über die Augen erhebt, und
sie von unten besieht. Und die inneren Kronenblätter sind auf
der Stelle, wo sie den Saft enthalten, mit grünen Streifen ge-
ziert. Warum aber der weiße Griffel an einer Stelle, Fig. 38.,
grün ist, sehe ich um so viel weniger ein, da derselbe sehr dünne,
und diese Farbe sehr schwach ist. Bey der folgenden Gattung
hingegen wird ein ähnlicher Fleck am Griffel sich leicht erklären
lassen.

Warum diese Blume kein Perianthium hat, sondern, bevor
sie zu blühen anfängt, in einer Scheide eingeschlossen ist, welche
sie hernach zerreißt, und von welcher sie sich, nachdem sie aus
derselben zum Vorschein gekommen ist, ziemlich weit entfernt, ist
leicht einzusehen. Da sie auf einem kurzen Stengel oder Schaft
sitzt, und herabhängt, so mußte sie, wenn sie von den Insekten
leicht sollte bemerkt werden, denselben von oben gesehen stark in
die Augen fallen. Denn die Insekten fliegen nicht unterhalb,
sondern oberhalb derselben umher. Hätte sie nun ein Perianthium,
z. B. wie die Rose, so würde dasselbe entweder grün, oder ge-
färbt seyn. Wäre es grün, so würde es verursachen, daß die
Krone den Insekten weniger in die Augen fiele; es würde folglich
nachtheilig seyn. Wäre es gefärbt, wie die Krone, so würde es
nicht verursachen, daß die Blume stärker in die Augen fiele; folg-
lich würde es unnütz seyn. Da im Gegentheil, was den ersten
Fall betrifft, die ungefärbte Scheide sehr schmal, und überdies
von der Blume ziemlich weit entfernt ist, folglich nicht verursa-
chen kann, daß die Blume weniger in die Augen falle. Wenn
sie hingegen zwar auf einem eben so kurzen Stengel säße, aber
aufrecht stünde: so könnte sie ihrer Bemerkbarkeit unbeschadet ein
Perianthium haben. Denn alsdenn würde nicht die Krone vom
Kelch, sondern der Kelch von der Krone den Insekten verdeckt,
und die Krone fiele mit ihrer inneren Seite denselben völlig in die
Augen. Wenn sie endlich zwar herabhinge, aber auf einem hohen
Baum säße: so könnte sie auch ein Perianthium haben, wie die
Lindenblume, weil sie durch dasselbe nicht verhindert werden wür-
de, den um die Krone des Baums und unter derselben umherflie
genden Insekten in die Augen zu fallen. Wenn in beiden Fällen,
besonders aber im ersten, das Perianthium von der Krone ganz
[Spaltenumbruch]

Galanthus.
verdeckt würde, so würde es grün seyn, wie bey der Anemone
Hepatica,
wenn es aber nicht ganz von der Krone verdeckt wür-
de, so würde es auf der inneren Seite gefärbt seyn, wie wir bey
der Passiflora coerulea gesehen haben.

5. Die Bienen besuchen die Blume, indem sie sich zuerst auf
eines von den äußeren Kronenblättern setzen, und von da in die
Röhre, welche die inneren Kronenblätter bilden, hineinkriechen,
da sie denn die letzteren ein wenig auseinander drücken. Sie be-
suchen sie aber, wenn es die Witterung erlaubt, um so viel lie-
ber, da sie, als eine von den ersten Saftblumen des Frühjahrs,
ihnen die angenehme Nachricht bringt, daß der öde Winter vor-
über ist, ihnen eine erfreuliche Aussicht in die von nun an immer
milder werdende Jahreszeit eröffnet, bey ihnen die Hoffnung
hervorbringt, daß sie nun bald wieder ihrem Lieblingsgeschäft wer-
den nachgehen können, und diese Hoffnung an sich selbst schon
erfüllet. Eben so erfreuliche Aussichten, obgleich von höherer
Art, eröffnet sie dem Blumenforscher, welcher sich den Winter
hindurch mit seinem Herbarium und mit Büchern hat durchstüm-
pern müssen. Daher ist sie ihm, so oft er sie auch schon gesehen
und untersucht hat, jedesmal willkommen.

Am 17. Januar 1790 ragten die Blumenknospen und Blät-
ter beynahe einen halben Zoll über die Oberfläche der Erde her-
vor. Den Stengel einer Pflanze aber fand ich so lang, als er
zu seyn pflegt, wann er sein völliges Wachsthum erreicht hat;
die Blumenknospe aber sah wie verbrannt oder verfault aus.
Diese Erscheinung leite ich aus eben der Ursache her, welcher Ei-
nige die Entstehung des Mutterkorns zuschreiben, nemlich von
einem auf den Stengel gefallenen Regentropfen, welcher, von
der Sonne beschienen, wie ein Brennglas gewirket, und zwar in
dem Stengel ein überaus schnelles Wachsthum hervorgebracht,
die innere Struktur der Blumenknospe aber zerstört hatte. Es
hatte nemlich an den vorhergehenden Tagen theils geregnet, theils
zuweilen die Sonne geschienen; so wie auch damals, als ich diese
Beobachtung machte, welches in der Mittagsstunde geschahe,
die Sonne schön schien, auf den Pflanzen aber noch Regentropfen
saßen. Nun konnte die Sonne wegen ihres niedrigen Standes
nur in der Mittagsstunde diese Wirkung hervorgebracht haben.
Und hiermit stimmte die Stellung der Pflanze, von welcher die
Rede ist, vollkommen überein. Denn ihre beide Blätter waren
mit dem einem Rande, und nicht mit ihrer Fläche, grade nach
Mittag gerichtet, so daß also ein Regentropfen, welcher zwischen
denselben und der Blumenknospe gesessen hatte, den Strahlen
der Mittagssonne ausgesetzt gewesen war.

[Spaltenumbruch]

Galanthus.
Wenn das Inſekt ſich auf die Blume geſetzt, und, um in die
Roͤhre hineinzukriechen, ſich umgekehrt hat, ſo erſcheint demſel-
ben die Blume ſo, wie in Fig. 39. vorgeſtellt worden iſt. Es er-
blickt alsdenn verſchiedene Linien, welche insgeſamt nach der Mitte
zu laufen, und ihm zeigen, daß der Saft in der Mitte befindlich
iſt. Die aͤußeren Kronenblaͤtter ſind mit Linien geziert, welche
zwar nicht von anderer Farbe, aber durchſichtiger und heller ſind.
Dieſe Linien bemerkt man nicht, wenn man die Blume von oben
beſieht, ſondern bloß, wenn man ſie uͤber die Augen erhebt, und
ſie von unten beſieht. Und die inneren Kronenblaͤtter ſind auf
der Stelle, wo ſie den Saft enthalten, mit gruͤnen Streifen ge-
ziert. Warum aber der weiße Griffel an einer Stelle, Fig. 38.,
gruͤn iſt, ſehe ich um ſo viel weniger ein, da derſelbe ſehr duͤnne,
und dieſe Farbe ſehr ſchwach iſt. Bey der folgenden Gattung
hingegen wird ein aͤhnlicher Fleck am Griffel ſich leicht erklaͤren
laſſen.

Warum dieſe Blume kein Perianthium hat, ſondern, bevor
ſie zu bluͤhen anfaͤngt, in einer Scheide eingeſchloſſen iſt, welche
ſie hernach zerreißt, und von welcher ſie ſich, nachdem ſie aus
derſelben zum Vorſchein gekommen iſt, ziemlich weit entfernt, iſt
leicht einzuſehen. Da ſie auf einem kurzen Stengel oder Schaft
ſitzt, und herabhaͤngt, ſo mußte ſie, wenn ſie von den Inſekten
leicht ſollte bemerkt werden, denſelben von oben geſehen ſtark in
die Augen fallen. Denn die Inſekten fliegen nicht unterhalb,
ſondern oberhalb derſelben umher. Haͤtte ſie nun ein Perianthium,
z. B. wie die Roſe, ſo wuͤrde daſſelbe entweder gruͤn, oder ge-
faͤrbt ſeyn. Waͤre es gruͤn, ſo wuͤrde es verurſachen, daß die
Krone den Inſekten weniger in die Augen fiele; es wuͤrde folglich
nachtheilig ſeyn. Waͤre es gefaͤrbt, wie die Krone, ſo wuͤrde es
nicht verurſachen, daß die Blume ſtaͤrker in die Augen fiele; folg-
lich wuͤrde es unnuͤtz ſeyn. Da im Gegentheil, was den erſten
Fall betrifft, die ungefaͤrbte Scheide ſehr ſchmal, und uͤberdies
von der Blume ziemlich weit entfernt iſt, folglich nicht verurſa-
chen kann, daß die Blume weniger in die Augen falle. Wenn
ſie hingegen zwar auf einem eben ſo kurzen Stengel ſaͤße, aber
aufrecht ſtuͤnde: ſo koͤnnte ſie ihrer Bemerkbarkeit unbeſchadet ein
Perianthium haben. Denn alsdenn wuͤrde nicht die Krone vom
Kelch, ſondern der Kelch von der Krone den Inſekten verdeckt,
und die Krone fiele mit ihrer inneren Seite denſelben voͤllig in die
Augen. Wenn ſie endlich zwar herabhinge, aber auf einem hohen
Baum ſaͤße: ſo koͤnnte ſie auch ein Perianthium haben, wie die
Lindenblume, weil ſie durch daſſelbe nicht verhindert werden wuͤr-
de, den um die Krone des Baums und unter derſelben umherflie
genden Inſekten in die Augen zu fallen. Wenn in beiden Faͤllen,
beſonders aber im erſten, das Perianthium von der Krone ganz
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Galanthus.
verdeckt wuͤrde, ſo wuͤrde es gruͤn ſeyn, wie bey der Anemone
Hepatica,
wenn es aber nicht ganz von der Krone verdeckt wuͤr-
de, ſo wuͤrde es auf der inneren Seite gefaͤrbt ſeyn, wie wir bey
der Paſſiflora coerulea geſehen haben.

5. Die Bienen beſuchen die Blume, indem ſie ſich zuerſt auf
eines von den aͤußeren Kronenblaͤttern ſetzen, und von da in die
Roͤhre, welche die inneren Kronenblaͤtter bilden, hineinkriechen,
da ſie denn die letzteren ein wenig auseinander druͤcken. Sie be-
ſuchen ſie aber, wenn es die Witterung erlaubt, um ſo viel lie-
ber, da ſie, als eine von den erſten Saftblumen des Fruͤhjahrs,
ihnen die angenehme Nachricht bringt, daß der oͤde Winter vor-
uͤber iſt, ihnen eine erfreuliche Ausſicht in die von nun an immer
milder werdende Jahreszeit eroͤffnet, bey ihnen die Hoffnung
hervorbringt, daß ſie nun bald wieder ihrem Lieblingsgeſchaͤft wer-
den nachgehen koͤnnen, und dieſe Hoffnung an ſich ſelbſt ſchon
erfuͤllet. Eben ſo erfreuliche Ausſichten, obgleich von hoͤherer
Art, eroͤffnet ſie dem Blumenforſcher, welcher ſich den Winter
hindurch mit ſeinem Herbarium und mit Buͤchern hat durchſtuͤm-
pern muͤſſen. Daher iſt ſie ihm, ſo oft er ſie auch ſchon geſehen
und unterſucht hat, jedesmal willkommen.

Am 17. Januar 1790 ragten die Blumenknospen und Blaͤt-
ter beynahe einen halben Zoll uͤber die Oberflaͤche der Erde her-
vor. Den Stengel einer Pflanze aber fand ich ſo lang, als er
zu ſeyn pflegt, wann er ſein voͤlliges Wachsthum erreicht hat;
die Blumenknospe aber ſah wie verbrannt oder verfault aus.
Dieſe Erſcheinung leite ich aus eben der Urſache her, welcher Ei-
nige die Entſtehung des Mutterkorns zuſchreiben, nemlich von
einem auf den Stengel gefallenen Regentropfen, welcher, von
der Sonne beſchienen, wie ein Brennglas gewirket, und zwar in
dem Stengel ein uͤberaus ſchnelles Wachsthum hervorgebracht,
die innere Struktur der Blumenknospe aber zerſtoͤrt hatte. Es
hatte nemlich an den vorhergehenden Tagen theils geregnet, theils
zuweilen die Sonne geſchienen; ſo wie auch damals, als ich dieſe
Beobachtung machte, welches in der Mittagsſtunde geſchahe,
die Sonne ſchoͤn ſchien, auf den Pflanzen aber noch Regentropfen
ſaßen. Nun konnte die Sonne wegen ihres niedrigen Standes
nur in der Mittagsſtunde dieſe Wirkung hervorgebracht haben.
Und hiermit ſtimmte die Stellung der Pflanze, von welcher die
Rede iſt, vollkommen uͤberein. Denn ihre beide Blaͤtter waren
mit dem einem Rande, und nicht mit ihrer Flaͤche, grade nach
Mittag gerichtet, ſo daß alſo ein Regentropfen, welcher zwiſchen
denſelben und der Blumenknospe geſeſſen hatte, den Strahlen
der Mittagsſonne ausgeſetzt geweſen war.

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[[102]/0102] Galanthus. Galanthus. Wenn das Inſekt ſich auf die Blume geſetzt, und, um in die Roͤhre hineinzukriechen, ſich umgekehrt hat, ſo erſcheint demſel- ben die Blume ſo, wie in Fig. 39. vorgeſtellt worden iſt. Es er- blickt alsdenn verſchiedene Linien, welche insgeſamt nach der Mitte zu laufen, und ihm zeigen, daß der Saft in der Mitte befindlich iſt. Die aͤußeren Kronenblaͤtter ſind mit Linien geziert, welche zwar nicht von anderer Farbe, aber durchſichtiger und heller ſind. Dieſe Linien bemerkt man nicht, wenn man die Blume von oben beſieht, ſondern bloß, wenn man ſie uͤber die Augen erhebt, und ſie von unten beſieht. Und die inneren Kronenblaͤtter ſind auf der Stelle, wo ſie den Saft enthalten, mit gruͤnen Streifen ge- ziert. Warum aber der weiße Griffel an einer Stelle, Fig. 38., gruͤn iſt, ſehe ich um ſo viel weniger ein, da derſelbe ſehr duͤnne, und dieſe Farbe ſehr ſchwach iſt. Bey der folgenden Gattung hingegen wird ein aͤhnlicher Fleck am Griffel ſich leicht erklaͤren laſſen. Warum dieſe Blume kein Perianthium hat, ſondern, bevor ſie zu bluͤhen anfaͤngt, in einer Scheide eingeſchloſſen iſt, welche ſie hernach zerreißt, und von welcher ſie ſich, nachdem ſie aus derſelben zum Vorſchein gekommen iſt, ziemlich weit entfernt, iſt leicht einzuſehen. Da ſie auf einem kurzen Stengel oder Schaft ſitzt, und herabhaͤngt, ſo mußte ſie, wenn ſie von den Inſekten leicht ſollte bemerkt werden, denſelben von oben geſehen ſtark in die Augen fallen. Denn die Inſekten fliegen nicht unterhalb, ſondern oberhalb derſelben umher. Haͤtte ſie nun ein Perianthium, z. B. wie die Roſe, ſo wuͤrde daſſelbe entweder gruͤn, oder ge- faͤrbt ſeyn. Waͤre es gruͤn, ſo wuͤrde es verurſachen, daß die Krone den Inſekten weniger in die Augen fiele; es wuͤrde folglich nachtheilig ſeyn. Waͤre es gefaͤrbt, wie die Krone, ſo wuͤrde es nicht verurſachen, daß die Blume ſtaͤrker in die Augen fiele; folg- lich wuͤrde es unnuͤtz ſeyn. Da im Gegentheil, was den erſten Fall betrifft, die ungefaͤrbte Scheide ſehr ſchmal, und uͤberdies von der Blume ziemlich weit entfernt iſt, folglich nicht verurſa- chen kann, daß die Blume weniger in die Augen falle. Wenn ſie hingegen zwar auf einem eben ſo kurzen Stengel ſaͤße, aber aufrecht ſtuͤnde: ſo koͤnnte ſie ihrer Bemerkbarkeit unbeſchadet ein Perianthium haben. Denn alsdenn wuͤrde nicht die Krone vom Kelch, ſondern der Kelch von der Krone den Inſekten verdeckt, und die Krone fiele mit ihrer inneren Seite denſelben voͤllig in die Augen. Wenn ſie endlich zwar herabhinge, aber auf einem hohen Baum ſaͤße: ſo koͤnnte ſie auch ein Perianthium haben, wie die Lindenblume, weil ſie durch daſſelbe nicht verhindert werden wuͤr- de, den um die Krone des Baums und unter derſelben umherflie genden Inſekten in die Augen zu fallen. Wenn in beiden Faͤllen, beſonders aber im erſten, das Perianthium von der Krone ganz verdeckt wuͤrde, ſo wuͤrde es gruͤn ſeyn, wie bey der Anemone Hepatica, wenn es aber nicht ganz von der Krone verdeckt wuͤr- de, ſo wuͤrde es auf der inneren Seite gefaͤrbt ſeyn, wie wir bey der Paſſiflora coerulea geſehen haben. 5. Die Bienen beſuchen die Blume, indem ſie ſich zuerſt auf eines von den aͤußeren Kronenblaͤttern ſetzen, und von da in die Roͤhre, welche die inneren Kronenblaͤtter bilden, hineinkriechen, da ſie denn die letzteren ein wenig auseinander druͤcken. Sie be- ſuchen ſie aber, wenn es die Witterung erlaubt, um ſo viel lie- ber, da ſie, als eine von den erſten Saftblumen des Fruͤhjahrs, ihnen die angenehme Nachricht bringt, daß der oͤde Winter vor- uͤber iſt, ihnen eine erfreuliche Ausſicht in die von nun an immer milder werdende Jahreszeit eroͤffnet, bey ihnen die Hoffnung hervorbringt, daß ſie nun bald wieder ihrem Lieblingsgeſchaͤft wer- den nachgehen koͤnnen, und dieſe Hoffnung an ſich ſelbſt ſchon erfuͤllet. Eben ſo erfreuliche Ausſichten, obgleich von hoͤherer Art, eroͤffnet ſie dem Blumenforſcher, welcher ſich den Winter hindurch mit ſeinem Herbarium und mit Buͤchern hat durchſtuͤm- pern muͤſſen. Daher iſt ſie ihm, ſo oft er ſie auch ſchon geſehen und unterſucht hat, jedesmal willkommen. Am 17. Januar 1790 ragten die Blumenknospen und Blaͤt- ter beynahe einen halben Zoll uͤber die Oberflaͤche der Erde her- vor. Den Stengel einer Pflanze aber fand ich ſo lang, als er zu ſeyn pflegt, wann er ſein voͤlliges Wachsthum erreicht hat; die Blumenknospe aber ſah wie verbrannt oder verfault aus. Dieſe Erſcheinung leite ich aus eben der Urſache her, welcher Ei- nige die Entſtehung des Mutterkorns zuſchreiben, nemlich von einem auf den Stengel gefallenen Regentropfen, welcher, von der Sonne beſchienen, wie ein Brennglas gewirket, und zwar in dem Stengel ein uͤberaus ſchnelles Wachsthum hervorgebracht, die innere Struktur der Blumenknospe aber zerſtoͤrt hatte. Es hatte nemlich an den vorhergehenden Tagen theils geregnet, theils zuweilen die Sonne geſchienen; ſo wie auch damals, als ich dieſe Beobachtung machte, welches in der Mittagsſtunde geſchahe, die Sonne ſchoͤn ſchien, auf den Pflanzen aber noch Regentropfen ſaßen. Nun konnte die Sonne wegen ihres niedrigen Standes nur in der Mittagsſtunde dieſe Wirkung hervorgebracht haben. Und hiermit ſtimmte die Stellung der Pflanze, von welcher die Rede iſt, vollkommen uͤberein. Denn ihre beide Blaͤtter waren mit dem einem Rande, und nicht mit ihrer Flaͤche, grade nach Mittag gerichtet, ſo daß alſo ein Regentropfen, welcher zwiſchen denſelben und der Blumenknospe geſeſſen hatte, den Strahlen der Mittagsſonne ausgeſetzt geweſen war.

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [102]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/102>, abgerufen am 26.04.2024.