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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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bildet, ließ den Gedanken entstehen, so weit thunlich diejenigen Verehe-
lichungen zu hindern, bei denen die Verarmung als fast unbedingte
Folge erscheinen müßte. Manche Staaten stellten sich daher die Auf-
gabe, dergleichen Ehen amtlich zu verhindern; wie z. B. Württemberg
schon im 17. Jahrhundert (1663) die niederen Klassen durch seine Be-
amteten von "unzeitigen Heirathen" abmahnen läßt (Roscher I. 402).
In Oesterreich wurden die Ehen unter ganz armen Leuten direkt ver-
boten. (Verordnung vom 3. März 1766.) Allein diese ganze Seite des
amtlichen Eingreifens kam einfach deßhalb nicht zur rechten Entwicklung,
weil, wie wir gleich sehen werden, die Gemeinden ohnehin schon,
namentlich in den Städten, die Ehe aus naheliegenden Gründen bereits
nur zu viel erschwerten. Der richtige Takt, der, wie man gestehen
muß, die amtliche innere Verwaltung in Deutschland von jeher ausge-
zeichnet hat, ließ dieselbe bald erkennen, daß es unter solchen Verhält-
nissen nicht so sehr darauf ankomme, die Ehen zu beschränken, als
vielmehr darauf, diese Beschränkungen, die sich durch die engherzigen
Interessen der Gemeinden fast von selbst ergaben, nicht zu weit greifen,
und aus einem Schutze der Volkswohlfahrt zu einem Hinderniß derselben
werden zu lassen. Anstatt daher die rein administrativen Ehehindernisse
weiter zu treiben, hat sich aus dem Zusammenwirken dieses Gesichts-
punktes mit dem Folgenden vielmehr der Grundsatz, der noch gegen-
wärtig gilt
, ergeben, daß die amtliche Verwaltung sich die oberste
Entscheidung
über die Ehebewilligung und Verweigerung der Ge-
meinden im Beschwerdewege vorbehielt; und so wiederholt sich auch hier
die alte Erscheinung, daß diese amtliche Verwaltung gerade durch die
Unterordnung der Selbstverwaltung die freiere Entwicklung vielmehr
gefördert, als gehemmt hat. Dieß nun wird sogleich näher begründet
werden.

Etwas anders gestaltet sich dagegen die zweite Seite des amtlichen
Verhältnisses zur Ehe, die vom Sanitätsstandpunkte ausgeht. Die
amtliche Ehepolizei, wie man sie wohl nennen kann, hat hier zwei Ge-
sichtspunkte ins Auge gefaßt, das Alter und die Gesundheit.

Was zunächst das Alter betrifft, so hat die Verwaltung durch die
Gesetzgebung sich zum Organ des natürlichen Verhältnisses gemacht,
indem sie die Altersgränze der Ehe in allen Staaten feststellte, wobei
die wirthschaftlichen Gesichtspunkte eben so wohl als die sanitären ein-
greifen und mit der Mündigkeit zusammenhangen. Dieß nun fällt
wesentlich ins bürgerliche Recht. Der specifische Gedanke der Bevölke-
rungspolitik hat sich dagegen schon seit dem vorigen Jahrhundert der
Frage zugewendet, ob die Ehe zwischen kranken Personen nicht ver-
boten werden solle, und zwar damit die "Erbkrankheiten" nicht auf die

bildet, ließ den Gedanken entſtehen, ſo weit thunlich diejenigen Verehe-
lichungen zu hindern, bei denen die Verarmung als faſt unbedingte
Folge erſcheinen müßte. Manche Staaten ſtellten ſich daher die Auf-
gabe, dergleichen Ehen amtlich zu verhindern; wie z. B. Württemberg
ſchon im 17. Jahrhundert (1663) die niederen Klaſſen durch ſeine Be-
amteten von „unzeitigen Heirathen“ abmahnen läßt (Roſcher I. 402).
In Oeſterreich wurden die Ehen unter ganz armen Leuten direkt ver-
boten. (Verordnung vom 3. März 1766.) Allein dieſe ganze Seite des
amtlichen Eingreifens kam einfach deßhalb nicht zur rechten Entwicklung,
weil, wie wir gleich ſehen werden, die Gemeinden ohnehin ſchon,
namentlich in den Städten, die Ehe aus naheliegenden Gründen bereits
nur zu viel erſchwerten. Der richtige Takt, der, wie man geſtehen
muß, die amtliche innere Verwaltung in Deutſchland von jeher ausge-
zeichnet hat, ließ dieſelbe bald erkennen, daß es unter ſolchen Verhält-
niſſen nicht ſo ſehr darauf ankomme, die Ehen zu beſchränken, als
vielmehr darauf, dieſe Beſchränkungen, die ſich durch die engherzigen
Intereſſen der Gemeinden faſt von ſelbſt ergaben, nicht zu weit greifen,
und aus einem Schutze der Volkswohlfahrt zu einem Hinderniß derſelben
werden zu laſſen. Anſtatt daher die rein adminiſtrativen Ehehinderniſſe
weiter zu treiben, hat ſich aus dem Zuſammenwirken dieſes Geſichts-
punktes mit dem Folgenden vielmehr der Grundſatz, der noch gegen-
wärtig gilt
, ergeben, daß die amtliche Verwaltung ſich die oberſte
Entſcheidung
über die Ehebewilligung und Verweigerung der Ge-
meinden im Beſchwerdewege vorbehielt; und ſo wiederholt ſich auch hier
die alte Erſcheinung, daß dieſe amtliche Verwaltung gerade durch die
Unterordnung der Selbſtverwaltung die freiere Entwicklung vielmehr
gefördert, als gehemmt hat. Dieß nun wird ſogleich näher begründet
werden.

Etwas anders geſtaltet ſich dagegen die zweite Seite des amtlichen
Verhältniſſes zur Ehe, die vom Sanitätsſtandpunkte ausgeht. Die
amtliche Ehepolizei, wie man ſie wohl nennen kann, hat hier zwei Ge-
ſichtspunkte ins Auge gefaßt, das Alter und die Geſundheit.

Was zunächſt das Alter betrifft, ſo hat die Verwaltung durch die
Geſetzgebung ſich zum Organ des natürlichen Verhältniſſes gemacht,
indem ſie die Altersgränze der Ehe in allen Staaten feſtſtellte, wobei
die wirthſchaftlichen Geſichtspunkte eben ſo wohl als die ſanitären ein-
greifen und mit der Mündigkeit zuſammenhangen. Dieß nun fällt
weſentlich ins bürgerliche Recht. Der ſpecifiſche Gedanke der Bevölke-
rungspolitik hat ſich dagegen ſchon ſeit dem vorigen Jahrhundert der
Frage zugewendet, ob die Ehe zwiſchen kranken Perſonen nicht ver-
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[147/0169] bildet, ließ den Gedanken entſtehen, ſo weit thunlich diejenigen Verehe- lichungen zu hindern, bei denen die Verarmung als faſt unbedingte Folge erſcheinen müßte. Manche Staaten ſtellten ſich daher die Auf- gabe, dergleichen Ehen amtlich zu verhindern; wie z. B. Württemberg ſchon im 17. Jahrhundert (1663) die niederen Klaſſen durch ſeine Be- amteten von „unzeitigen Heirathen“ abmahnen läßt (Roſcher I. 402). In Oeſterreich wurden die Ehen unter ganz armen Leuten direkt ver- boten. (Verordnung vom 3. März 1766.) Allein dieſe ganze Seite des amtlichen Eingreifens kam einfach deßhalb nicht zur rechten Entwicklung, weil, wie wir gleich ſehen werden, die Gemeinden ohnehin ſchon, namentlich in den Städten, die Ehe aus naheliegenden Gründen bereits nur zu viel erſchwerten. Der richtige Takt, der, wie man geſtehen muß, die amtliche innere Verwaltung in Deutſchland von jeher ausge- zeichnet hat, ließ dieſelbe bald erkennen, daß es unter ſolchen Verhält- niſſen nicht ſo ſehr darauf ankomme, die Ehen zu beſchränken, als vielmehr darauf, dieſe Beſchränkungen, die ſich durch die engherzigen Intereſſen der Gemeinden faſt von ſelbſt ergaben, nicht zu weit greifen, und aus einem Schutze der Volkswohlfahrt zu einem Hinderniß derſelben werden zu laſſen. Anſtatt daher die rein adminiſtrativen Ehehinderniſſe weiter zu treiben, hat ſich aus dem Zuſammenwirken dieſes Geſichts- punktes mit dem Folgenden vielmehr der Grundſatz, der noch gegen- wärtig gilt, ergeben, daß die amtliche Verwaltung ſich die oberſte Entſcheidung über die Ehebewilligung und Verweigerung der Ge- meinden im Beſchwerdewege vorbehielt; und ſo wiederholt ſich auch hier die alte Erſcheinung, daß dieſe amtliche Verwaltung gerade durch die Unterordnung der Selbſtverwaltung die freiere Entwicklung vielmehr gefördert, als gehemmt hat. Dieß nun wird ſogleich näher begründet werden. Etwas anders geſtaltet ſich dagegen die zweite Seite des amtlichen Verhältniſſes zur Ehe, die vom Sanitätsſtandpunkte ausgeht. Die amtliche Ehepolizei, wie man ſie wohl nennen kann, hat hier zwei Ge- ſichtspunkte ins Auge gefaßt, das Alter und die Geſundheit. Was zunächſt das Alter betrifft, ſo hat die Verwaltung durch die Geſetzgebung ſich zum Organ des natürlichen Verhältniſſes gemacht, indem ſie die Altersgränze der Ehe in allen Staaten feſtſtellte, wobei die wirthſchaftlichen Geſichtspunkte eben ſo wohl als die ſanitären ein- greifen und mit der Mündigkeit zuſammenhangen. Dieß nun fällt weſentlich ins bürgerliche Recht. Der ſpecifiſche Gedanke der Bevölke- rungspolitik hat ſich dagegen ſchon ſeit dem vorigen Jahrhundert der Frage zugewendet, ob die Ehe zwiſchen kranken Perſonen nicht ver- boten werden ſolle, und zwar damit die „Erbkrankheiten“ nicht auf die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/169>, abgerufen am 26.04.2024.