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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Rechts bei allen über ein Recht Streitenden grundsätzlich voraus-
setzt, arbeitet daher der Idee der Rechtsgleichheit zwischen Grundherren
und Bauern vor, in ganz ähnlicher Weise wie das englische Common
law;
und dieser allgemeine, principielle Erfolg ist vielleicht viel wich-
tiger, als die einzelnen Uebelstände, die seine Anwendung mit sich
brachte. Am wenigsten ist es richtig, wenn man sich darauf beruft,
daß das römische Recht das deutsche Rechtsbewußtsein untergraben und
fremde Rechtsideen an deren Stelle gesetzt habe. Denn gerade dieß
deutsche Rechtsbewußtsein beruhte auf der traditionellen Unterscheidung
der Klassen und der Annahme von Vorrechten der höheren Stände für
die das römische Recht gar kein Verständniß hatte. Die rechtliche Per-
sönlichkeit des germanischen Rechtsbewußtseins war stets eine bevorrechtete
oder unterworfene; die des römischen Rechts dagegen die gleichberechtigte.
Das ist es, was der Ausdruck des gemeinen bürgerlichen Rechts
eigentlich bedeutet. Die künftige Rechtsgeschichte wird diese Wahrheiten
zu würdigen wissen. So hat die römische Jurisprudenz vielmehr im
Ganzen heilsam gewirkt; man sieht das am besten bei den Bannrechten,
für welche selbst die deutschen Juristen den römischen Begriff des Bila-
teral-Contracts (do ut des vel facias) und mithin das Princip der
Rechtsgleichheit für Herrn und Bauern anerkannten (vgl. Runde a. a. O.
§. 281 -- übrigens nicht klar gegenüber §. 276). Doch muß die ge-
nauere Darlegung dieser Verhältnisse einer besonderen Arbeit vorbe-
halten bleiben.

Faßt man nun aber das Gesammtergebniß dieser Bewegung des
18. Jahrhunderts auf dem Gebiete des Rechtsbegriffes der bäuerlichen
Unfreiheit zusammen, als das Resultat, mit welchem es in das 19. Jahr-
hundert hineintritt, so erscheint dasselbe als das folgende.

Allerdings hat die entstehende historische Bearbeitung der Frage es
festgestellt, daß die Unfreiheit nicht der allgemeine ursprüngliche Zustand
des Bauernthums gewesen. Allein die höchst fleißigen und umsichtigen
Bemühungen der Wissenschaft scheinen einerseits zu zeigen, daß bei
weitem der größte Theil des Bauernstandes zu der Zeit, wo die rechts-
geschichtlichen Aufzeichnungen beginnen und mit der daher auch das
damalige Studium anfängt, der Zeit des 13. Jahrhunderts, wirklich
schon in einer mehr oder weniger ausgesprochenen Unfreiheit gewesen;
andererseits steht es schon damals fest, daß die historische Entwicklung
der bäuerlichen Unfreiheit "nicht in allen Provinzen zu gleicher Zeit
und gleich stark gewirkt habe," so daß "kein sicherer Schluß von
einer Provinz auf die andere, ja oft nicht einmal von einem Amte und
von einem Dorfe auf das andere erlaubt" ist (Runde §. 480), obwohl
scharfe Beobachter schon damals den großen Unterschied zwischen den

Rechts bei allen über ein Recht Streitenden grundſätzlich voraus-
ſetzt, arbeitet daher der Idee der Rechtsgleichheit zwiſchen Grundherren
und Bauern vor, in ganz ähnlicher Weiſe wie das engliſche Common
law;
und dieſer allgemeine, principielle Erfolg iſt vielleicht viel wich-
tiger, als die einzelnen Uebelſtände, die ſeine Anwendung mit ſich
brachte. Am wenigſten iſt es richtig, wenn man ſich darauf beruft,
daß das römiſche Recht das deutſche Rechtsbewußtſein untergraben und
fremde Rechtsideen an deren Stelle geſetzt habe. Denn gerade dieß
deutſche Rechtsbewußtſein beruhte auf der traditionellen Unterſcheidung
der Klaſſen und der Annahme von Vorrechten der höheren Stände für
die das römiſche Recht gar kein Verſtändniß hatte. Die rechtliche Per-
ſönlichkeit des germaniſchen Rechtsbewußtſeins war ſtets eine bevorrechtete
oder unterworfene; die des römiſchen Rechts dagegen die gleichberechtigte.
Das iſt es, was der Ausdruck des gemeinen bürgerlichen Rechts
eigentlich bedeutet. Die künftige Rechtsgeſchichte wird dieſe Wahrheiten
zu würdigen wiſſen. So hat die römiſche Jurisprudenz vielmehr im
Ganzen heilſam gewirkt; man ſieht das am beſten bei den Bannrechten,
für welche ſelbſt die deutſchen Juriſten den römiſchen Begriff des Bila-
teral-Contracts (do ut des vel facias) und mithin das Princip der
Rechtsgleichheit für Herrn und Bauern anerkannten (vgl. Runde a. a. O.
§. 281 — übrigens nicht klar gegenüber §. 276). Doch muß die ge-
nauere Darlegung dieſer Verhältniſſe einer beſonderen Arbeit vorbe-
halten bleiben.

Faßt man nun aber das Geſammtergebniß dieſer Bewegung des
18. Jahrhunderts auf dem Gebiete des Rechtsbegriffes der bäuerlichen
Unfreiheit zuſammen, als das Reſultat, mit welchem es in das 19. Jahr-
hundert hineintritt, ſo erſcheint daſſelbe als das folgende.

Allerdings hat die entſtehende hiſtoriſche Bearbeitung der Frage es
feſtgeſtellt, daß die Unfreiheit nicht der allgemeine urſprüngliche Zuſtand
des Bauernthums geweſen. Allein die höchſt fleißigen und umſichtigen
Bemühungen der Wiſſenſchaft ſcheinen einerſeits zu zeigen, daß bei
weitem der größte Theil des Bauernſtandes zu der Zeit, wo die rechts-
geſchichtlichen Aufzeichnungen beginnen und mit der daher auch das
damalige Studium anfängt, der Zeit des 13. Jahrhunderts, wirklich
ſchon in einer mehr oder weniger ausgeſprochenen Unfreiheit geweſen;
andererſeits ſteht es ſchon damals feſt, daß die hiſtoriſche Entwicklung
der bäuerlichen Unfreiheit „nicht in allen Provinzen zu gleicher Zeit
und gleich ſtark gewirkt habe,“ ſo daß „kein ſicherer Schluß von
einer Provinz auf die andere, ja oft nicht einmal von einem Amte und
von einem Dorfe auf das andere erlaubt“ iſt (Runde §. 480), obwohl
ſcharfe Beobachter ſchon damals den großen Unterſchied zwiſchen den

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[162/0180] Rechts bei allen über ein Recht Streitenden grundſätzlich voraus- ſetzt, arbeitet daher der Idee der Rechtsgleichheit zwiſchen Grundherren und Bauern vor, in ganz ähnlicher Weiſe wie das engliſche Common law; und dieſer allgemeine, principielle Erfolg iſt vielleicht viel wich- tiger, als die einzelnen Uebelſtände, die ſeine Anwendung mit ſich brachte. Am wenigſten iſt es richtig, wenn man ſich darauf beruft, daß das römiſche Recht das deutſche Rechtsbewußtſein untergraben und fremde Rechtsideen an deren Stelle geſetzt habe. Denn gerade dieß deutſche Rechtsbewußtſein beruhte auf der traditionellen Unterſcheidung der Klaſſen und der Annahme von Vorrechten der höheren Stände für die das römiſche Recht gar kein Verſtändniß hatte. Die rechtliche Per- ſönlichkeit des germaniſchen Rechtsbewußtſeins war ſtets eine bevorrechtete oder unterworfene; die des römiſchen Rechts dagegen die gleichberechtigte. Das iſt es, was der Ausdruck des gemeinen bürgerlichen Rechts eigentlich bedeutet. Die künftige Rechtsgeſchichte wird dieſe Wahrheiten zu würdigen wiſſen. So hat die römiſche Jurisprudenz vielmehr im Ganzen heilſam gewirkt; man ſieht das am beſten bei den Bannrechten, für welche ſelbſt die deutſchen Juriſten den römiſchen Begriff des Bila- teral-Contracts (do ut des vel facias) und mithin das Princip der Rechtsgleichheit für Herrn und Bauern anerkannten (vgl. Runde a. a. O. §. 281 — übrigens nicht klar gegenüber §. 276). Doch muß die ge- nauere Darlegung dieſer Verhältniſſe einer beſonderen Arbeit vorbe- halten bleiben. Faßt man nun aber das Geſammtergebniß dieſer Bewegung des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiete des Rechtsbegriffes der bäuerlichen Unfreiheit zuſammen, als das Reſultat, mit welchem es in das 19. Jahr- hundert hineintritt, ſo erſcheint daſſelbe als das folgende. Allerdings hat die entſtehende hiſtoriſche Bearbeitung der Frage es feſtgeſtellt, daß die Unfreiheit nicht der allgemeine urſprüngliche Zuſtand des Bauernthums geweſen. Allein die höchſt fleißigen und umſichtigen Bemühungen der Wiſſenſchaft ſcheinen einerſeits zu zeigen, daß bei weitem der größte Theil des Bauernſtandes zu der Zeit, wo die rechts- geſchichtlichen Aufzeichnungen beginnen und mit der daher auch das damalige Studium anfängt, der Zeit des 13. Jahrhunderts, wirklich ſchon in einer mehr oder weniger ausgeſprochenen Unfreiheit geweſen; andererſeits ſteht es ſchon damals feſt, daß die hiſtoriſche Entwicklung der bäuerlichen Unfreiheit „nicht in allen Provinzen zu gleicher Zeit und gleich ſtark gewirkt habe,“ ſo daß „kein ſicherer Schluß von einer Provinz auf die andere, ja oft nicht einmal von einem Amte und von einem Dorfe auf das andere erlaubt“ iſt (Runde §. 480), obwohl ſcharfe Beobachter ſchon damals den großen Unterſchied zwiſchen den

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/180>, abgerufen am 30.04.2024.