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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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in den ersten Eisenbahngesetzgebungen (Preußen 1838, Oesterreich,
Eisenbahngesetzgebung von 1851 und 1854). Dieß ist im Wesentlichen
der Zustand des geltenden Rechts der Enteignung in Deutschland. Es
ist kein Zweifel, daß von einer selbständigen deutschen Gesetzgebung hier
noch keine Rede ist; mit Ausnahme von Sachsen-Meiningen (Enteig-
nungsgesetz vom 28. März 1855) hat sich bisher unseres Wissens kein
Staat mit diesem wichtigen Gebiete ernstlich befaßt, nicht einmal die
französische Gesetzgebung von 1841 hat dazu angeregt.

Von um so größerer Bedeutung sollte dagegen die Literatur des
Enteignungswesens sein, indem sie den Mangel der Gesetzgebung ersetzte.
Indeß hat dieselbe offenbar noch keine Heimath gefunden, wesentlich
wohl deßhalb, weil man die Natur des Enteignungsrechts nicht klar
genug erkannte und daher die erste Voraussetzung jeder größern Arbeit,
das Bewußtsein von dem Punkt, wo sie sich an das Ganze anschließt,
nicht gefunden ward. Wir werden daher auch wohl erst dann ein-
greifende Werke darüber besitzen, wenn wir den leitenden Gedanken des
ganzen Rechts da suchen, wo er allein zu finden ist, in der Lehre vom
Verwaltungsrecht, und zunächst in seinem organischen Zusammenhange
mit der ganzen Entwährungslehre. Die deutsche Literatur hat bisher
von Frankreich auf diesem Gebiete fast Alles empfangen, Gesetz und
Theorie zugleich; was wir Frankreich zurückzugeben haben, ist der höhere
historische und systematische Gesichtspunkt; und dazu an unserem Theile
beizutragen, war die eigentliche Hauptaufgabe des Folgenden, während
wir eine Erschöpfung des Gegenstands wohl auf eine eigene Arbeit ver-
weisen müssen.

Es darf uns demnach nicht wundern, wenn wir das Enteignungs-
recht in der deutschen Literatur an vielen Stellen zugleich finden. Man
muß die Enteignungsliteratur suchen theils in einzelnen heimathlosen,
aber sehr guten Abhandlungen, theils in der Darstellung des territorialen
öffentlichen Rechts, theils in wir möchten sagen gelegentlichen Anfüh-
rungen bei Juristen und Nationalökonomen, wie bei Beseler und
Gerber (Deutsches Privatrecht), Klüber (Oeffentliches Recht), Rau,
Roscher
u. a. Die beiden ersten Gruppen weisen folgende Arbeiten auf.

Das Hauptwerk ist noch immer v. Wendt, Neuester Expropriations-
Codex oder vergleichende Darstellung der wichtigsten (?) älteren und
neueren Gesetze und Verordnungen über Enteignung, Kanal- und
Straßenbau, Eisenbahnbau u. s. w. (Nürnberg 1837). Da seitdem mit
Ausnahme Bayerns keine bedeutenden Gesetze erschienen sind und die
Verfassungen von 1848 sich mit der principiellen Anerkennung des
Rechts genügen lassen, so besitzen wir in Wendts Arbeit ein fast
vollständiges Material, das freilich nur den juristischen Standpunkt zur

in den erſten Eiſenbahngeſetzgebungen (Preußen 1838, Oeſterreich,
Eiſenbahngeſetzgebung von 1851 und 1854). Dieß iſt im Weſentlichen
der Zuſtand des geltenden Rechts der Enteignung in Deutſchland. Es
iſt kein Zweifel, daß von einer ſelbſtändigen deutſchen Geſetzgebung hier
noch keine Rede iſt; mit Ausnahme von Sachſen-Meiningen (Enteig-
nungsgeſetz vom 28. März 1855) hat ſich bisher unſeres Wiſſens kein
Staat mit dieſem wichtigen Gebiete ernſtlich befaßt, nicht einmal die
franzöſiſche Geſetzgebung von 1841 hat dazu angeregt.

Von um ſo größerer Bedeutung ſollte dagegen die Literatur des
Enteignungsweſens ſein, indem ſie den Mangel der Geſetzgebung erſetzte.
Indeß hat dieſelbe offenbar noch keine Heimath gefunden, weſentlich
wohl deßhalb, weil man die Natur des Enteignungsrechts nicht klar
genug erkannte und daher die erſte Vorausſetzung jeder größern Arbeit,
das Bewußtſein von dem Punkt, wo ſie ſich an das Ganze anſchließt,
nicht gefunden ward. Wir werden daher auch wohl erſt dann ein-
greifende Werke darüber beſitzen, wenn wir den leitenden Gedanken des
ganzen Rechts da ſuchen, wo er allein zu finden iſt, in der Lehre vom
Verwaltungsrecht, und zunächſt in ſeinem organiſchen Zuſammenhange
mit der ganzen Entwährungslehre. Die deutſche Literatur hat bisher
von Frankreich auf dieſem Gebiete faſt Alles empfangen, Geſetz und
Theorie zugleich; was wir Frankreich zurückzugeben haben, iſt der höhere
hiſtoriſche und ſyſtematiſche Geſichtspunkt; und dazu an unſerem Theile
beizutragen, war die eigentliche Hauptaufgabe des Folgenden, während
wir eine Erſchöpfung des Gegenſtands wohl auf eine eigene Arbeit ver-
weiſen müſſen.

Es darf uns demnach nicht wundern, wenn wir das Enteignungs-
recht in der deutſchen Literatur an vielen Stellen zugleich finden. Man
muß die Enteignungsliteratur ſuchen theils in einzelnen heimathloſen,
aber ſehr guten Abhandlungen, theils in der Darſtellung des territorialen
öffentlichen Rechts, theils in wir möchten ſagen gelegentlichen Anfüh-
rungen bei Juriſten und Nationalökonomen, wie bei Beſeler und
Gerber (Deutſches Privatrecht), Klüber (Oeffentliches Recht), Rau,
Roſcher
u. a. Die beiden erſten Gruppen weiſen folgende Arbeiten auf.

Das Hauptwerk iſt noch immer v. Wendt, Neueſter Expropriations-
Codex oder vergleichende Darſtellung der wichtigſten (?) älteren und
neueren Geſetze und Verordnungen über Enteignung, Kanal- und
Straßenbau, Eiſenbahnbau u. ſ. w. (Nürnberg 1837). Da ſeitdem mit
Ausnahme Bayerns keine bedeutenden Geſetze erſchienen ſind und die
Verfaſſungen von 1848 ſich mit der principiellen Anerkennung des
Rechts genügen laſſen, ſo beſitzen wir in Wendts Arbeit ein faſt
vollſtändiges Material, das freilich nur den juriſtiſchen Standpunkt zur

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[316/0334] in den erſten Eiſenbahngeſetzgebungen (Preußen 1838, Oeſterreich, Eiſenbahngeſetzgebung von 1851 und 1854). Dieß iſt im Weſentlichen der Zuſtand des geltenden Rechts der Enteignung in Deutſchland. Es iſt kein Zweifel, daß von einer ſelbſtändigen deutſchen Geſetzgebung hier noch keine Rede iſt; mit Ausnahme von Sachſen-Meiningen (Enteig- nungsgeſetz vom 28. März 1855) hat ſich bisher unſeres Wiſſens kein Staat mit dieſem wichtigen Gebiete ernſtlich befaßt, nicht einmal die franzöſiſche Geſetzgebung von 1841 hat dazu angeregt. Von um ſo größerer Bedeutung ſollte dagegen die Literatur des Enteignungsweſens ſein, indem ſie den Mangel der Geſetzgebung erſetzte. Indeß hat dieſelbe offenbar noch keine Heimath gefunden, weſentlich wohl deßhalb, weil man die Natur des Enteignungsrechts nicht klar genug erkannte und daher die erſte Vorausſetzung jeder größern Arbeit, das Bewußtſein von dem Punkt, wo ſie ſich an das Ganze anſchließt, nicht gefunden ward. Wir werden daher auch wohl erſt dann ein- greifende Werke darüber beſitzen, wenn wir den leitenden Gedanken des ganzen Rechts da ſuchen, wo er allein zu finden iſt, in der Lehre vom Verwaltungsrecht, und zunächſt in ſeinem organiſchen Zuſammenhange mit der ganzen Entwährungslehre. Die deutſche Literatur hat bisher von Frankreich auf dieſem Gebiete faſt Alles empfangen, Geſetz und Theorie zugleich; was wir Frankreich zurückzugeben haben, iſt der höhere hiſtoriſche und ſyſtematiſche Geſichtspunkt; und dazu an unſerem Theile beizutragen, war die eigentliche Hauptaufgabe des Folgenden, während wir eine Erſchöpfung des Gegenſtands wohl auf eine eigene Arbeit ver- weiſen müſſen. Es darf uns demnach nicht wundern, wenn wir das Enteignungs- recht in der deutſchen Literatur an vielen Stellen zugleich finden. Man muß die Enteignungsliteratur ſuchen theils in einzelnen heimathloſen, aber ſehr guten Abhandlungen, theils in der Darſtellung des territorialen öffentlichen Rechts, theils in wir möchten ſagen gelegentlichen Anfüh- rungen bei Juriſten und Nationalökonomen, wie bei Beſeler und Gerber (Deutſches Privatrecht), Klüber (Oeffentliches Recht), Rau, Roſcher u. a. Die beiden erſten Gruppen weiſen folgende Arbeiten auf. Das Hauptwerk iſt noch immer v. Wendt, Neueſter Expropriations- Codex oder vergleichende Darſtellung der wichtigſten (?) älteren und neueren Geſetze und Verordnungen über Enteignung, Kanal- und Straßenbau, Eiſenbahnbau u. ſ. w. (Nürnberg 1837). Da ſeitdem mit Ausnahme Bayerns keine bedeutenden Geſetze erſchienen ſind und die Verfaſſungen von 1848 ſich mit der principiellen Anerkennung des Rechts genügen laſſen, ſo beſitzen wir in Wendts Arbeit ein faſt vollſtändiges Material, das freilich nur den juriſtiſchen Standpunkt zur

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/334>, abgerufen am 28.04.2024.