Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

daß bald die Abende kühl sein würden, daß dann
dieses Laub sich gelb färben, daß man die Trau¬
ben ablesen, und endlich in die Stadt zurückkehren
würde."

"Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die
Stadt gehe."

"Ich sagte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier
gar so schön sei, und daß es mir vorkomme, in der
Stadt werde alles anders werden."

""Es ist wirklich sehr schön,"" antwortete sie, ""hier
sind wir alle viel mehr beisammen, in der Stadt kom¬
men Fremde dazwischen, man wird getrennt, und es
ist, als wäre man in eine andere Ortschaft gereist. Es
ist doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.""

""Ich habe keinen Vater keine Mutter und keine
Geschwister mehr,"" erwiederte ich, ""und ich weiß da¬
her nicht wie es ist.""

""Man liebt den Vater die Mutter die Geschwi¬
ster,"" sagte sie, ""und andere Leute.""

""Mathilde, liebst du denn auch mich?"" erwie¬
derte ich."

"Ich hatte sie nie du genannt, ich wußte auch nicht,
wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als
wären sie mir durch eine fremde Macht hineingelegt

daß bald die Abende kühl ſein würden, daß dann
dieſes Laub ſich gelb färben, daß man die Trau¬
ben ableſen, und endlich in die Stadt zurückkehren
würde.“

„Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die
Stadt gehe.“

„Ich ſagte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier
gar ſo ſchön ſei, und daß es mir vorkomme, in der
Stadt werde alles anders werden.“

„„Es iſt wirklich ſehr ſchön,““ antwortete ſie, „„hier
ſind wir alle viel mehr beiſammen, in der Stadt kom¬
men Fremde dazwiſchen, man wird getrennt, und es
iſt, als wäre man in eine andere Ortſchaft gereiſt. Es
iſt doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.““

„„Ich habe keinen Vater keine Mutter und keine
Geſchwiſter mehr,““ erwiederte ich, „„und ich weiß da¬
her nicht wie es iſt.““

„„Man liebt den Vater die Mutter die Geſchwi¬
ſter,““ ſagte ſie, „„und andere Leute.““

„„Mathilde, liebſt du denn auch mich?““ erwie¬
derte ich.“

„Ich hatte ſie nie du genannt, ich wußte auch nicht,
wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als
wären ſie mir durch eine fremde Macht hineingelegt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0302" n="288"/>
daß bald die Abende kühl &#x017F;ein würden, daß dann<lb/>
die&#x017F;es Laub &#x017F;ich gelb färben, daß man die Trau¬<lb/>
ben able&#x017F;en, und endlich in die Stadt zurückkehren<lb/>
würde.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die<lb/>
Stadt gehe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;agte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier<lb/>
gar &#x017F;o &#x017F;chön &#x017F;ei, und daß es mir vorkomme, in der<lb/>
Stadt werde alles anders werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Es i&#x017F;t wirklich &#x017F;ehr &#x017F;chön,&#x201C;&#x201C; antwortete &#x017F;ie, &#x201E;&#x201E;hier<lb/>
&#x017F;ind wir alle viel mehr bei&#x017F;ammen, in der Stadt kom¬<lb/>
men Fremde dazwi&#x017F;chen, man wird getrennt, und es<lb/>
i&#x017F;t, als wäre man in eine andere Ort&#x017F;chaft gerei&#x017F;t. Es<lb/>
i&#x017F;t doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Ich habe keinen Vater keine Mutter und keine<lb/>
Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter mehr,&#x201C;&#x201C; erwiederte ich, &#x201E;&#x201E;und ich weiß da¬<lb/>
her nicht wie es i&#x017F;t.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Man liebt den Vater die Mutter die Ge&#x017F;chwi¬<lb/>
&#x017F;ter,&#x201C;&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;&#x201E;und andere Leute.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Mathilde, lieb&#x017F;t du denn auch mich?&#x201C;&#x201C; erwie¬<lb/>
derte ich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hatte &#x017F;ie nie du genannt, ich wußte auch nicht,<lb/>
wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als<lb/>
wären &#x017F;ie mir durch eine fremde Macht hineingelegt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0302] daß bald die Abende kühl ſein würden, daß dann dieſes Laub ſich gelb färben, daß man die Trau¬ ben ableſen, und endlich in die Stadt zurückkehren würde.“ „Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die Stadt gehe.“ „Ich ſagte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier gar ſo ſchön ſei, und daß es mir vorkomme, in der Stadt werde alles anders werden.“ „„Es iſt wirklich ſehr ſchön,““ antwortete ſie, „„hier ſind wir alle viel mehr beiſammen, in der Stadt kom¬ men Fremde dazwiſchen, man wird getrennt, und es iſt, als wäre man in eine andere Ortſchaft gereiſt. Es iſt doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.““ „„Ich habe keinen Vater keine Mutter und keine Geſchwiſter mehr,““ erwiederte ich, „„und ich weiß da¬ her nicht wie es iſt.““ „„Man liebt den Vater die Mutter die Geſchwi¬ ſter,““ ſagte ſie, „„und andere Leute.““ „„Mathilde, liebſt du denn auch mich?““ erwie¬ derte ich.“ „Ich hatte ſie nie du genannt, ich wußte auch nicht, wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als wären ſie mir durch eine fremde Macht hineingelegt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/302
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/302>, abgerufen am 29.04.2024.