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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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worden. Kaum hatte ich sie gesagt, so rief sie: ""Gu¬
stav, Gustav, so außerordentlich, wie es gar nicht
auszusprechen ist.""

"Mir brachen die heftigsten Thränen hervor."

"Da flog sie auf mich zu, drückte die sanften Lip¬
pen auf meinen Mund, und schlang die jungen Arme
um meinen Nacken. Ich umfaßte sie auch, und drückte
die schlanke Gestalt so heftig an mich, daß ich meinte,
sie nicht loslassen zu können. Sie zitterte in meinen
Armen, und seufzte."

"Von jezt an war mir in der ganzen Welt nichts
theurer, als dieses süsse Kind."

"Als wir uns losgelassen hatten, als sie vor mir
stand erglühend in unsäglicher Scham, gestreift von
den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als
sich, da sie den süssen Athem zog, ihr Busen hob und
senkte: war ich wie bezaubert, kein Kind stand mehr
vor mir sondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehr¬
furcht schuldig war. Ich fühlte mich beklommen."

"Nach einer Weile sagte ich: ""Theure, theure
Mathilde.""

""Mein theurer, theurer Gustav,"" antwortete sie."

"Ich reichte ihr die Hand, und sagte: ""Auf im¬
mer Mathilde.""

Stifter, Nachsommer. III. 19

worden. Kaum hatte ich ſie geſagt, ſo rief ſie: „„Gu¬
ſtav, Guſtav, ſo außerordentlich, wie es gar nicht
auszuſprechen iſt.““

„Mir brachen die heftigſten Thränen hervor.“

„Da flog ſie auf mich zu, drückte die ſanften Lip¬
pen auf meinen Mund, und ſchlang die jungen Arme
um meinen Nacken. Ich umfaßte ſie auch, und drückte
die ſchlanke Geſtalt ſo heftig an mich, daß ich meinte,
ſie nicht loslaſſen zu können. Sie zitterte in meinen
Armen, und ſeufzte.“

„Von jezt an war mir in der ganzen Welt nichts
theurer, als dieſes ſüſſe Kind.“

„Als wir uns losgelaſſen hatten, als ſie vor mir
ſtand erglühend in unſäglicher Scham, geſtreift von
den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als
ſich, da ſie den ſüſſen Athem zog, ihr Buſen hob und
ſenkte: war ich wie bezaubert, kein Kind ſtand mehr
vor mir ſondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehr¬
furcht ſchuldig war. Ich fühlte mich beklommen.“

„Nach einer Weile ſagte ich: „„Theure, theure
Mathilde.““

„„Mein theurer, theurer Guſtav,““ antwortete ſie.“

„Ich reichte ihr die Hand, und ſagte: „„Auf im¬
mer Mathilde.““

Stifter, Nachſommer. III. 19
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[289/0303] worden. Kaum hatte ich ſie geſagt, ſo rief ſie: „„Gu¬ ſtav, Guſtav, ſo außerordentlich, wie es gar nicht auszuſprechen iſt.““ „Mir brachen die heftigſten Thränen hervor.“ „Da flog ſie auf mich zu, drückte die ſanften Lip¬ pen auf meinen Mund, und ſchlang die jungen Arme um meinen Nacken. Ich umfaßte ſie auch, und drückte die ſchlanke Geſtalt ſo heftig an mich, daß ich meinte, ſie nicht loslaſſen zu können. Sie zitterte in meinen Armen, und ſeufzte.“ „Von jezt an war mir in der ganzen Welt nichts theurer, als dieſes ſüſſe Kind.“ „Als wir uns losgelaſſen hatten, als ſie vor mir ſtand erglühend in unſäglicher Scham, geſtreift von den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als ſich, da ſie den ſüſſen Athem zog, ihr Buſen hob und ſenkte: war ich wie bezaubert, kein Kind ſtand mehr vor mir ſondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehr¬ furcht ſchuldig war. Ich fühlte mich beklommen.“ „Nach einer Weile ſagte ich: „„Theure, theure Mathilde.““ „„Mein theurer, theurer Guſtav,““ antwortete ſie.“ „Ich reichte ihr die Hand, und ſagte: „„Auf im¬ mer Mathilde.““ Stifter, Nachſommer. III. 19

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/303>, abgerufen am 28.04.2024.