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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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gefaßt als meine Schwester, ich hatte nie mit einem
ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick
gewechselt. Dieses Gefühl war jezt wie ein Sturm¬
wind über mich gekommen. Ich glaubte sie durch die
Mauern in ihrem Zimmer gehen sehen zu müssen mit
dem langen kornblumenblauen Kleide mit den glanz¬
vollen Augen und dem rosenherrlichen Munde. Es
bewegte sich der Fenstervorhang; aber sie war nicht
an demselben, es schimmerte an dem Glase wie von
einem rosigen Angesichte; aber es war nur ein schiefes
Hereinleuchten der beginnenden Abendröthe gewesen.
Ich ging wieder durch die Büsche, ich ging durch den
Weinlaubengang in den Obstgarten, der Weinlauben¬
gang war mir jezt ein fremdwichtiges Ding, wie ein
Pallast aus dem fernsten Morgenlande. Ich ging durch
das Haselnußgebüsch zu dem Rosenhause, es war als
blühten und glühten alle Rosen um das Haus, ob¬
wohl nur die grünen Blätter und die Ranken um
dasselbe waren. Ich ging wieder zu unserem Wohn¬
hause zurück, und ging auf den Plaz, von dem ich Ma¬
thildens Fenster sehen mußte. Sie beugte sich aus
einem heraus, und suchte mit den Augen. Als sie
mich erblickt hatte, fuhr sie zurück. Auch mir war es
gewesen, da ich die holde Gestalt sah, als hätte mich

gefaßt als meine Schweſter, ich hatte nie mit einem
ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick
gewechſelt. Dieſes Gefühl war jezt wie ein Sturm¬
wind über mich gekommen. Ich glaubte ſie durch die
Mauern in ihrem Zimmer gehen ſehen zu müſſen mit
dem langen kornblumenblauen Kleide mit den glanz¬
vollen Augen und dem roſenherrlichen Munde. Es
bewegte ſich der Fenſtervorhang; aber ſie war nicht
an demſelben, es ſchimmerte an dem Glaſe wie von
einem roſigen Angeſichte; aber es war nur ein ſchiefes
Hereinleuchten der beginnenden Abendröthe geweſen.
Ich ging wieder durch die Büſche, ich ging durch den
Weinlaubengang in den Obſtgarten, der Weinlauben¬
gang war mir jezt ein fremdwichtiges Ding, wie ein
Pallaſt aus dem fernſten Morgenlande. Ich ging durch
das Haſelnußgebüſch zu dem Roſenhauſe, es war als
blühten und glühten alle Roſen um das Haus, ob¬
wohl nur die grünen Blätter und die Ranken um
daſſelbe waren. Ich ging wieder zu unſerem Wohn¬
hauſe zurück, und ging auf den Plaz, von dem ich Ma¬
thildens Fenſter ſehen mußte. Sie beugte ſich aus
einem heraus, und ſuchte mit den Augen. Als ſie
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[292/0306] gefaßt als meine Schweſter, ich hatte nie mit einem ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick gewechſelt. Dieſes Gefühl war jezt wie ein Sturm¬ wind über mich gekommen. Ich glaubte ſie durch die Mauern in ihrem Zimmer gehen ſehen zu müſſen mit dem langen kornblumenblauen Kleide mit den glanz¬ vollen Augen und dem roſenherrlichen Munde. Es bewegte ſich der Fenſtervorhang; aber ſie war nicht an demſelben, es ſchimmerte an dem Glaſe wie von einem roſigen Angeſichte; aber es war nur ein ſchiefes Hereinleuchten der beginnenden Abendröthe geweſen. Ich ging wieder durch die Büſche, ich ging durch den Weinlaubengang in den Obſtgarten, der Weinlauben¬ gang war mir jezt ein fremdwichtiges Ding, wie ein Pallaſt aus dem fernſten Morgenlande. Ich ging durch das Haſelnußgebüſch zu dem Roſenhauſe, es war als blühten und glühten alle Roſen um das Haus, ob¬ wohl nur die grünen Blätter und die Ranken um daſſelbe waren. Ich ging wieder zu unſerem Wohn¬ hauſe zurück, und ging auf den Plaz, von dem ich Ma¬ thildens Fenſter ſehen mußte. Sie beugte ſich aus einem heraus, und ſuchte mit den Augen. Als ſie mich erblickt hatte, fuhr ſie zurück. Auch mir war es geweſen, da ich die holde Geſtalt ſah, als hätte mich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/306>, abgerufen am 29.04.2024.