Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Wetterstrahl getroffen. Ich ging wieder in die
Büsche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine
Strecke Rasen säumten, und in ihrer Mitte eine Bank
hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieser
Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich
wieder auf ein Fleckchen Rasen, und sah gegen die
Fenster. Sie beugte sich wieder heraus. Dies thaten
wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth
der Abendröthe schwamm, und die Fenster wie Rubi¬
nen glänzten. Es war zauberhaft, ein süsses Geheim¬
niß mit einander zu haben, sich seiner bewußt zu sein,
und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es
entzückt in meine Wohnung."

"Als wir zum Abendessen zusammen kamen, fragte
mich Mathildens Mutter: ""Warum seid ihr denn
heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬
gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?""

"Ich vermochte auf diese Frage nicht ein Wort zu
antworten; es wurde aber nicht beachtet."

"Ich schlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬
genblicke. Ich freute mich schon auf den Morgen, an
dem ich sie wieder sehen würde. Wir trafen alle in
dem Speisesaale zu dem Frühmahle zusammen. Ein
Blick ein leichtes Erröthen sagte alles, sie sagten, daß

ein Wetterſtrahl getroffen. Ich ging wieder in die
Büſche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine
Strecke Raſen ſäumten, und in ihrer Mitte eine Bank
hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieſer
Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich
wieder auf ein Fleckchen Raſen, und ſah gegen die
Fenſter. Sie beugte ſich wieder heraus. Dies thaten
wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth
der Abendröthe ſchwamm, und die Fenſter wie Rubi¬
nen glänzten. Es war zauberhaft, ein ſüſſes Geheim¬
niß mit einander zu haben, ſich ſeiner bewußt zu ſein,
und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es
entzückt in meine Wohnung.“

„Als wir zum Abendeſſen zuſammen kamen, fragte
mich Mathildens Mutter: „„Warum ſeid ihr denn
heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬
gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?““

„Ich vermochte auf dieſe Frage nicht ein Wort zu
antworten; es wurde aber nicht beachtet.“

„Ich ſchlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬
genblicke. Ich freute mich ſchon auf den Morgen, an
dem ich ſie wieder ſehen würde. Wir trafen alle in
dem Speiſeſaale zu dem Frühmahle zuſammen. Ein
Blick ein leichtes Erröthen ſagte alles, ſie ſagten, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0307" n="293"/>
ein Wetter&#x017F;trahl getroffen. Ich ging wieder in die<lb/>&#x017F;che. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine<lb/>
Strecke Ra&#x017F;en &#x017F;äumten, und in ihrer Mitte eine Bank<lb/>
hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu die&#x017F;er<lb/>
Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich<lb/>
wieder auf ein Fleckchen Ra&#x017F;en, und &#x017F;ah gegen die<lb/>
Fen&#x017F;ter. Sie beugte &#x017F;ich wieder heraus. Dies thaten<lb/>
wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth<lb/>
der Abendröthe &#x017F;chwamm, und die Fen&#x017F;ter wie Rubi¬<lb/>
nen glänzten. Es war zauberhaft, ein &#x017F;ü&#x017F;&#x017F;es Geheim¬<lb/>
niß mit einander zu haben, &#x017F;ich &#x017F;einer bewußt zu &#x017F;ein,<lb/>
und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es<lb/>
entzückt in meine Wohnung.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Als wir zum Abende&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;ammen kamen, fragte<lb/>
mich Mathildens Mutter: &#x201E;&#x201E;Warum &#x017F;eid ihr denn<lb/>
heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬<lb/>
gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich vermochte auf die&#x017F;e Frage nicht ein Wort zu<lb/>
antworten; es wurde aber nicht beachtet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;chlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬<lb/>
genblicke. Ich freute mich &#x017F;chon auf den Morgen, an<lb/>
dem ich &#x017F;ie wieder &#x017F;ehen würde. Wir trafen alle in<lb/>
dem Spei&#x017F;e&#x017F;aale zu dem Frühmahle zu&#x017F;ammen. Ein<lb/>
Blick ein leichtes Erröthen &#x017F;agte alles, &#x017F;ie &#x017F;agten, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0307] ein Wetterſtrahl getroffen. Ich ging wieder in die Büſche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine Strecke Raſen ſäumten, und in ihrer Mitte eine Bank hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieſer Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich wieder auf ein Fleckchen Raſen, und ſah gegen die Fenſter. Sie beugte ſich wieder heraus. Dies thaten wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth der Abendröthe ſchwamm, und die Fenſter wie Rubi¬ nen glänzten. Es war zauberhaft, ein ſüſſes Geheim¬ niß mit einander zu haben, ſich ſeiner bewußt zu ſein, und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es entzückt in meine Wohnung.“ „Als wir zum Abendeſſen zuſammen kamen, fragte mich Mathildens Mutter: „„Warum ſeid ihr denn heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬ gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?““ „Ich vermochte auf dieſe Frage nicht ein Wort zu antworten; es wurde aber nicht beachtet.“ „Ich ſchlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬ genblicke. Ich freute mich ſchon auf den Morgen, an dem ich ſie wieder ſehen würde. Wir trafen alle in dem Speiſeſaale zu dem Frühmahle zuſammen. Ein Blick ein leichtes Erröthen ſagte alles, ſie ſagten, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/307
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/307>, abgerufen am 29.04.2024.