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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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spielte auf derselben ebenfalls. Die Saiten mußten
sie so ergriffen haben, daß sie nicht aufhören konnte.
Sie spielte immer fort, und die Töne wurden immer
rührender, und ihre Verbindung immer natürlicher.
Die Mutter lobte sie sehr. Der Vater, welcher in
einem Geschäfte in der nächsten kleinen Stadt gewesen
war, kam endlich auch zur Mutter, und wir blieben
in dem Zimmer derselben, bis wir zu dem Abendessen
gerufen wurden. Der Vater nahm Mathilden an den
Arm, und führte sie zärtlich in den Speisesaal."

"Es begann nun eine merkwürdige Zeit. In mei¬
nem und Mathildens Leben war ein Wendepunkt ein¬
getreten. Wir hatten uns nicht verabredet, daß wir
unsere Gefühle geheim halten wollen; dennoch hiel¬
ten wir sie geheim, wir hielten sie geheim vor dem
Vater vor der Mutter vor Alfred und vor allen Men¬
schen. Nur in Zeichen, die sich von selber gaben, und
in Worten, die nur uns verständlich waren, und die
wie von selber auf die Lippen kamen, machten sie
wir uns gegenseitig kund. Tausend Fäden fanden
sich, an denen unsere Seelen zu einander hin und her
gehen konnten, und wenn wir in dem Besize von die¬
sen tausend Fäden waren, so fanden sich wieder tau¬
send, und mehrten sich immer. Die Lüfte die Gräser

ſpielte auf derſelben ebenfalls. Die Saiten mußten
ſie ſo ergriffen haben, daß ſie nicht aufhören konnte.
Sie ſpielte immer fort, und die Töne wurden immer
rührender, und ihre Verbindung immer natürlicher.
Die Mutter lobte ſie ſehr. Der Vater, welcher in
einem Geſchäfte in der nächſten kleinen Stadt geweſen
war, kam endlich auch zur Mutter, und wir blieben
in dem Zimmer derſelben, bis wir zu dem Abendeſſen
gerufen wurden. Der Vater nahm Mathilden an den
Arm, und führte ſie zärtlich in den Speiſeſaal.“

„Es begann nun eine merkwürdige Zeit. In mei¬
nem und Mathildens Leben war ein Wendepunkt ein¬
getreten. Wir hatten uns nicht verabredet, daß wir
unſere Gefühle geheim halten wollen; dennoch hiel¬
ten wir ſie geheim, wir hielten ſie geheim vor dem
Vater vor der Mutter vor Alfred und vor allen Men¬
ſchen. Nur in Zeichen, die ſich von ſelber gaben, und
in Worten, die nur uns verſtändlich waren, und die
wie von ſelber auf die Lippen kamen, machten ſie
wir uns gegenſeitig kund. Tauſend Fäden fanden
ſich, an denen unſere Seelen zu einander hin und her
gehen konnten, und wenn wir in dem Beſize von die¬
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[297/0311] ſpielte auf derſelben ebenfalls. Die Saiten mußten ſie ſo ergriffen haben, daß ſie nicht aufhören konnte. Sie ſpielte immer fort, und die Töne wurden immer rührender, und ihre Verbindung immer natürlicher. Die Mutter lobte ſie ſehr. Der Vater, welcher in einem Geſchäfte in der nächſten kleinen Stadt geweſen war, kam endlich auch zur Mutter, und wir blieben in dem Zimmer derſelben, bis wir zu dem Abendeſſen gerufen wurden. Der Vater nahm Mathilden an den Arm, und führte ſie zärtlich in den Speiſeſaal.“ „Es begann nun eine merkwürdige Zeit. In mei¬ nem und Mathildens Leben war ein Wendepunkt ein¬ getreten. Wir hatten uns nicht verabredet, daß wir unſere Gefühle geheim halten wollen; dennoch hiel¬ ten wir ſie geheim, wir hielten ſie geheim vor dem Vater vor der Mutter vor Alfred und vor allen Men¬ ſchen. Nur in Zeichen, die ſich von ſelber gaben, und in Worten, die nur uns verſtändlich waren, und die wie von ſelber auf die Lippen kamen, machten ſie wir uns gegenſeitig kund. Tauſend Fäden fanden ſich, an denen unſere Seelen zu einander hin und her gehen konnten, und wenn wir in dem Beſize von die¬ ſen tauſend Fäden waren, ſo fanden ſich wieder tau¬ ſend, und mehrten ſich immer. Die Lüfte die Gräſer

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/311>, abgerufen am 28.04.2024.