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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Er war ein Heiligthum geworden, seine Zweige sahen
uns vertraut an, seine Blätter wurden unsere Zeugen,
und durch seine Verschlingungen bebte manches tiefe
Wort und wehte mancher Hauch der unergründlichsten
Glückseligkeit. Fast eben so lieb war uns das Garten¬
haus. Manchen Flug der Wonne deckte es mit seinen
schüzenden Mauern, und es umgab uns wie ein stil¬
ler Tempel, wenn wir alle drei eintraten und zwei
Gemüther wallten. Wir gingen oft an diese beiden
Orte. Die Verbindungsfäden wuchsen tausendfach,
Mathilde wurde stets noch herrlicher, sie wurde von
andern immer heißer begehrt, aber ihre Seele schloß
sich nur fester an die meinige."

"Ich machte jezt oft sehr große Wege allein.
Wenn ich so weit war, daß ich das Haus nicht mehr
sehen konnte, und wenn ich so dastand, und die wei¬
ßen Wolken betrachtete, die über dem Hause stehen
mußten, und wenn ich auf den Wald sah, jenseits
dessen das Haus sich befand, so kam eine tiefe Bewe¬
gung in mich. Und wenn ich dann nach Hause eilte,
ins Innere der Mauern ging, sie da sah, und an ihr
die Freude des Wiedersehens erkannte, so frohlockte
gleichsam springend mir das Herz in dem Busen über
meinen unendlichen Besiz."

Stifter, Nachsommer. III. 20

Er war ein Heiligthum geworden, ſeine Zweige ſahen
uns vertraut an, ſeine Blätter wurden unſere Zeugen,
und durch ſeine Verſchlingungen bebte manches tiefe
Wort und wehte mancher Hauch der unergründlichſten
Glückſeligkeit. Faſt eben ſo lieb war uns das Garten¬
haus. Manchen Flug der Wonne deckte es mit ſeinen
ſchüzenden Mauern, und es umgab uns wie ein ſtil¬
ler Tempel, wenn wir alle drei eintraten und zwei
Gemüther wallten. Wir gingen oft an dieſe beiden
Orte. Die Verbindungsfäden wuchſen tauſendfach,
Mathilde wurde ſtets noch herrlicher, ſie wurde von
andern immer heißer begehrt, aber ihre Seele ſchloß
ſich nur feſter an die meinige.“

„Ich machte jezt oft ſehr große Wege allein.
Wenn ich ſo weit war, daß ich das Haus nicht mehr
ſehen konnte, und wenn ich ſo daſtand, und die wei¬
ßen Wolken betrachtete, die über dem Hauſe ſtehen
mußten, und wenn ich auf den Wald ſah, jenſeits
deſſen das Haus ſich befand, ſo kam eine tiefe Bewe¬
gung in mich. Und wenn ich dann nach Hauſe eilte,
ins Innere der Mauern ging, ſie da ſah, und an ihr
die Freude des Wiederſehens erkannte, ſo frohlockte
gleichſam ſpringend mir das Herz in dem Buſen über
meinen unendlichen Beſiz.“

Stifter, Nachſommer. III. 20
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[305/0319] Er war ein Heiligthum geworden, ſeine Zweige ſahen uns vertraut an, ſeine Blätter wurden unſere Zeugen, und durch ſeine Verſchlingungen bebte manches tiefe Wort und wehte mancher Hauch der unergründlichſten Glückſeligkeit. Faſt eben ſo lieb war uns das Garten¬ haus. Manchen Flug der Wonne deckte es mit ſeinen ſchüzenden Mauern, und es umgab uns wie ein ſtil¬ ler Tempel, wenn wir alle drei eintraten und zwei Gemüther wallten. Wir gingen oft an dieſe beiden Orte. Die Verbindungsfäden wuchſen tauſendfach, Mathilde wurde ſtets noch herrlicher, ſie wurde von andern immer heißer begehrt, aber ihre Seele ſchloß ſich nur feſter an die meinige.“ „Ich machte jezt oft ſehr große Wege allein. Wenn ich ſo weit war, daß ich das Haus nicht mehr ſehen konnte, und wenn ich ſo daſtand, und die wei¬ ßen Wolken betrachtete, die über dem Hauſe ſtehen mußten, und wenn ich auf den Wald ſah, jenſeits deſſen das Haus ſich befand, ſo kam eine tiefe Bewe¬ gung in mich. Und wenn ich dann nach Hauſe eilte, ins Innere der Mauern ging, ſie da ſah, und an ihr die Freude des Wiederſehens erkannte, ſo frohlockte gleichſam ſpringend mir das Herz in dem Buſen über meinen unendlichen Beſiz.“ Stifter, Nachſommer. III. 20

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/319>, abgerufen am 29.04.2024.