Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Mehr konnte ich nicht sagen, meine Lippen bebten vor
unsäglichem Schmerz."

"Sie stand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬
tel, und sagte unter Thränen mit ihrer lieblichen
Stimme: ""Gustav, mein Sohn! du bist es ja immer
gewesen, und ich kann einen besseren nicht wünschen.
Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn
dann einst euer gereiftes Wesen dasselbe sagt, was
jezt das wallende Herz sagt, dann kommt beide, wir
werden euch segnen. Stört aber durch Fortspinnen
Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen
Gefühle nicht die euch so nöthige lezte Entwicklung.""

"Es war das erste Mal gewesen, daß sie mich du
genannt hatte."

"Sie verließ mich, und ging einige Schritte im
Zimmer hin und wieder."

""Verehrte Frau,"" sagte ich nach einer Weile,
""es ist nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬
sen Tagen antworte; ich kann es jezt sogleich. Was
ihr mir an Gründen gesagt habt, wird sehr richtig
sein, ich glaube, daß es wirklich so ist, wie ihr sagt;
allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn
das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht
zu fassen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,

Mehr konnte ich nicht ſagen, meine Lippen bebten vor
unſäglichem Schmerz.“

„Sie ſtand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬
tel, und ſagte unter Thränen mit ihrer lieblichen
Stimme: „„Guſtav, mein Sohn! du biſt es ja immer
geweſen, und ich kann einen beſſeren nicht wünſchen.
Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn
dann einſt euer gereiftes Weſen daſſelbe ſagt, was
jezt das wallende Herz ſagt, dann kommt beide, wir
werden euch ſegnen. Stört aber durch Fortſpinnen
Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen
Gefühle nicht die euch ſo nöthige lezte Entwicklung.““

„Es war das erſte Mal geweſen, daß ſie mich du
genannt hatte.“

„Sie verließ mich, und ging einige Schritte im
Zimmer hin und wieder.“

„„Verehrte Frau,““ ſagte ich nach einer Weile,
„„es iſt nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬
ſen Tagen antworte; ich kann es jezt ſogleich. Was
ihr mir an Gründen geſagt habt, wird ſehr richtig
ſein, ich glaube, daß es wirklich ſo iſt, wie ihr ſagt;
allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn
das Geſagte noch ſo wahr iſt, ſo vermag ich es nicht
zu faſſen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0328" n="314"/>
Mehr konnte ich nicht &#x017F;agen, meine Lippen bebten vor<lb/>
un&#x017F;äglichem Schmerz.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;tand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬<lb/>
tel, und &#x017F;agte unter Thränen mit ihrer lieblichen<lb/>
Stimme: &#x201E;&#x201E;Gu&#x017F;tav, mein Sohn! du bi&#x017F;t es ja immer<lb/>
gewe&#x017F;en, und ich kann einen be&#x017F;&#x017F;eren nicht wün&#x017F;chen.<lb/>
Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn<lb/>
dann ein&#x017F;t euer gereiftes We&#x017F;en da&#x017F;&#x017F;elbe &#x017F;agt, was<lb/>
jezt das wallende Herz &#x017F;agt, dann kommt beide, wir<lb/>
werden euch &#x017F;egnen. Stört aber durch Fort&#x017F;pinnen<lb/>
Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen<lb/>
Gefühle nicht die euch &#x017F;o nöthige lezte Entwicklung.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es war das er&#x017F;te Mal gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ie mich du<lb/>
genannt hatte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie verließ mich, und ging einige Schritte im<lb/>
Zimmer hin und wieder.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Verehrte Frau,&#x201C;&#x201C; &#x017F;agte ich nach einer Weile,<lb/>
&#x201E;&#x201E;es i&#x017F;t nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬<lb/>
&#x017F;en Tagen antworte; ich kann es jezt &#x017F;ogleich. Was<lb/>
ihr mir an Gründen ge&#x017F;agt habt, wird &#x017F;ehr richtig<lb/>
&#x017F;ein, ich glaube, daß es wirklich &#x017F;o i&#x017F;t, wie ihr &#x017F;agt;<lb/>
allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn<lb/>
das Ge&#x017F;agte noch &#x017F;o wahr i&#x017F;t, &#x017F;o vermag ich es nicht<lb/>
zu fa&#x017F;&#x017F;en. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0328] Mehr konnte ich nicht ſagen, meine Lippen bebten vor unſäglichem Schmerz.“ „Sie ſtand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬ tel, und ſagte unter Thränen mit ihrer lieblichen Stimme: „„Guſtav, mein Sohn! du biſt es ja immer geweſen, und ich kann einen beſſeren nicht wünſchen. Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn dann einſt euer gereiftes Weſen daſſelbe ſagt, was jezt das wallende Herz ſagt, dann kommt beide, wir werden euch ſegnen. Stört aber durch Fortſpinnen Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen Gefühle nicht die euch ſo nöthige lezte Entwicklung.““ „Es war das erſte Mal geweſen, daß ſie mich du genannt hatte.“ „Sie verließ mich, und ging einige Schritte im Zimmer hin und wieder.“ „„Verehrte Frau,““ ſagte ich nach einer Weile, „„es iſt nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬ ſen Tagen antworte; ich kann es jezt ſogleich. Was ihr mir an Gründen geſagt habt, wird ſehr richtig ſein, ich glaube, daß es wirklich ſo iſt, wie ihr ſagt; allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn das Geſagte noch ſo wahr iſt, ſo vermag ich es nicht zu faſſen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/328
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/328>, abgerufen am 29.04.2024.