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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich
jezt nicht denken kann. Aber eins ist es, was ich
fasse. Ein Kind darf seinen Eltern nicht ungehorsam
sein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn
es nicht die Eltern oder sich selbst verwerfen soll.
Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und
sie ist selber so gut, daß sie auch sich nicht verwerfen
kann. Ihre Eltern verlangen, daß sie jezt das geschlos¬
sene Band auflösen möge, und sie wird folgen. Ich
will es nicht versuchen, durch Bitten das Gebot der
Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche ihr
mir gesagt habt, und welche in mein Wesen nicht ein¬
dringen wollen, werden in dem eurigen fest haften,
sonst hättet ihr mir sie nicht so nachdrücklich gesagt,
hättet sie mir nicht mit solcher Güte und zulezt nicht
mit Thränen gesagt. Ihr werdet davon nicht lassen
können. Wir haben uns nicht vorzustellen vermocht,
daß das, was für uns ein so hohes Glück war, für
die Eltern ein Unheil sein wird. Ihr habt es mir mit
eurer tiefsten Überzeugung gesagt. Selbst wenn ihr
irrtet, selbst wenn unsere Bitten euch zu erweichen
vermöchten, so würde euer freudiger Wille euer Herz
und euer Segen mit dem Bunde nicht sein, und ein
Bund ohne der Freude der Eltern ein Bund mit der

und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich
jezt nicht denken kann. Aber eins iſt es, was ich
faſſe. Ein Kind darf ſeinen Eltern nicht ungehorſam
ſein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn
es nicht die Eltern oder ſich ſelbſt verwerfen ſoll.
Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und
ſie iſt ſelber ſo gut, daß ſie auch ſich nicht verwerfen
kann. Ihre Eltern verlangen, daß ſie jezt das geſchloſ¬
ſene Band auflöſen möge, und ſie wird folgen. Ich
will es nicht verſuchen, durch Bitten das Gebot der
Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche ihr
mir geſagt habt, und welche in mein Weſen nicht ein¬
dringen wollen, werden in dem eurigen feſt haften,
ſonſt hättet ihr mir ſie nicht ſo nachdrücklich geſagt,
hättet ſie mir nicht mit ſolcher Güte und zulezt nicht
mit Thränen geſagt. Ihr werdet davon nicht laſſen
können. Wir haben uns nicht vorzuſtellen vermocht,
daß das, was für uns ein ſo hohes Glück war, für
die Eltern ein Unheil ſein wird. Ihr habt es mir mit
eurer tiefſten Überzeugung geſagt. Selbſt wenn ihr
irrtet, ſelbſt wenn unſere Bitten euch zu erweichen
vermöchten, ſo würde euer freudiger Wille euer Herz
und euer Segen mit dem Bunde nicht ſein, und ein
Bund ohne der Freude der Eltern ein Bund mit der

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[315/0329] und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich jezt nicht denken kann. Aber eins iſt es, was ich faſſe. Ein Kind darf ſeinen Eltern nicht ungehorſam ſein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn es nicht die Eltern oder ſich ſelbſt verwerfen ſoll. Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und ſie iſt ſelber ſo gut, daß ſie auch ſich nicht verwerfen kann. Ihre Eltern verlangen, daß ſie jezt das geſchloſ¬ ſene Band auflöſen möge, und ſie wird folgen. Ich will es nicht verſuchen, durch Bitten das Gebot der Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche ihr mir geſagt habt, und welche in mein Weſen nicht ein¬ dringen wollen, werden in dem eurigen feſt haften, ſonſt hättet ihr mir ſie nicht ſo nachdrücklich geſagt, hättet ſie mir nicht mit ſolcher Güte und zulezt nicht mit Thränen geſagt. Ihr werdet davon nicht laſſen können. Wir haben uns nicht vorzuſtellen vermocht, daß das, was für uns ein ſo hohes Glück war, für die Eltern ein Unheil ſein wird. Ihr habt es mir mit eurer tiefſten Überzeugung geſagt. Selbſt wenn ihr irrtet, ſelbſt wenn unſere Bitten euch zu erweichen vermöchten, ſo würde euer freudiger Wille euer Herz und euer Segen mit dem Bunde nicht ſein, und ein Bund ohne der Freude der Eltern ein Bund mit der

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/329>, abgerufen am 29.04.2024.