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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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und weich sagen wie ich, darum kam ich. Aus Güte
aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der
Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Her¬
zen bist du.""

""Ja, ja, das sind die Worte,"" sagte sie, indem
ihr Schluchzen immer heftiger und fast krampfhaft
wurde, ""das sind die Worte, denen ich sonst so gerne
lauschte, die so süß in meine Seele gingen, die schon
süß waren, als du es noch nicht wußtest, denen ich
glaubte, wie der ewigen Wahrheit. Du hättest es
nicht unternehmen müssen, mich zur Zerreissung unse¬
rer Liebe bewegen zu wollen, es soll, wenn hundert¬
mal Pflicht, dir nicht möglich gewesen sein. Darum
kann ich dir jezt nicht mehr glauben, deine Liebe ist
nicht die, die ich dachte, und die die meinige ist. Ich
habe den Vergleichpunkt verloren, und weiß nicht,
wie alles ist. Wenn du einst gesagt hättest, der Him¬
mel ist nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde,
ich hätte es dir geglaubt. Jezt weiß ich es nicht, ob
ich dir glauben soll, was du sagst. Ich kann nicht
anders, ich weiß es nicht, und ich kann nicht machen,
daß ich es weiß. O Gott! daß es geworden ist wie
es ward, und daß zerstörbar ist, was ich für ewig
hielt! wie werde ich es ertragen können?""

und weich ſagen wie ich, darum kam ich. Aus Güte
aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der
Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Her¬
zen biſt du.““

„„Ja, ja, das ſind die Worte,““ ſagte ſie, indem
ihr Schluchzen immer heftiger und faſt krampfhaft
wurde, „„das ſind die Worte, denen ich ſonſt ſo gerne
lauſchte, die ſo ſüß in meine Seele gingen, die ſchon
ſüß waren, als du es noch nicht wußteſt, denen ich
glaubte, wie der ewigen Wahrheit. Du hätteſt es
nicht unternehmen müſſen, mich zur Zerreiſſung unſe¬
rer Liebe bewegen zu wollen, es ſoll, wenn hundert¬
mal Pflicht, dir nicht möglich geweſen ſein. Darum
kann ich dir jezt nicht mehr glauben, deine Liebe iſt
nicht die, die ich dachte, und die die meinige iſt. Ich
habe den Vergleichpunkt verloren, und weiß nicht,
wie alles iſt. Wenn du einſt geſagt hätteſt, der Him¬
mel iſt nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde,
ich hätte es dir geglaubt. Jezt weiß ich es nicht, ob
ich dir glauben ſoll, was du ſagſt. Ich kann nicht
anders, ich weiß es nicht, und ich kann nicht machen,
daß ich es weiß. O Gott! daß es geworden iſt wie
es ward, und daß zerſtörbar iſt, was ich für ewig
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[324/0338] und weich ſagen wie ich, darum kam ich. Aus Güte aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Her¬ zen biſt du.““ „„Ja, ja, das ſind die Worte,““ ſagte ſie, indem ihr Schluchzen immer heftiger und faſt krampfhaft wurde, „„das ſind die Worte, denen ich ſonſt ſo gerne lauſchte, die ſo ſüß in meine Seele gingen, die ſchon ſüß waren, als du es noch nicht wußteſt, denen ich glaubte, wie der ewigen Wahrheit. Du hätteſt es nicht unternehmen müſſen, mich zur Zerreiſſung unſe¬ rer Liebe bewegen zu wollen, es ſoll, wenn hundert¬ mal Pflicht, dir nicht möglich geweſen ſein. Darum kann ich dir jezt nicht mehr glauben, deine Liebe iſt nicht die, die ich dachte, und die die meinige iſt. Ich habe den Vergleichpunkt verloren, und weiß nicht, wie alles iſt. Wenn du einſt geſagt hätteſt, der Him¬ mel iſt nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde, ich hätte es dir geglaubt. Jezt weiß ich es nicht, ob ich dir glauben ſoll, was du ſagſt. Ich kann nicht anders, ich weiß es nicht, und ich kann nicht machen, daß ich es weiß. O Gott! daß es geworden iſt wie es ward, und daß zerſtörbar iſt, was ich für ewig hielt! wie werde ich es ertragen können?““

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/338>, abgerufen am 29.04.2024.