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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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neigung, die so heftig und beinahe ausschweifend ge¬
wesen war, hatte kein Glück gebracht. Ich heirathete
also ein Mädchen, welches nicht mehr jung war,
eine angenehme Bildung hatte, vom reinsten Wandel
war, und gegen mich tiefe Verehrung empfand. Man
sagte, ich hätte reich geheirathet, weil mein Haus¬
wesen ein ansehnliches war; allein die Sache verhielt
sich nicht so. Meine Gattin hatte mir eine namhafte
Mitgift gebracht, aber ich hätte eine größere Gabe
hinzulegen können. Da ich in meinem mäßigen Leben
beinahe nichts brauchte, so hatte ich, besonders da ich
einmal in höherer Stellung war, bedeutende Er¬
sparungen gemacht. Diese legte ich in den damaligen
Staatspapieren nieder, und da dieselben nach Been¬
digung des Krieges ansehnlich stiegen, so war ich bei¬
nahe ein reicher Mann. Wir lebten zwei Jahre in
dieser Ehe, und in dieser wußte ich, was ich vor der
Schließung derselben nicht gewußt hatte, daß nehmlich
keine ohne Neigung eingegangen werden soll. Wir
lebten in Eintracht, wir lebten in hoher Verehrung
der gegenseitigen guten Eigenschaften, wir lebten in
wechselweisem Vertrauen und in wechselweiser Auf¬
merksamkeit, man nannte unsere Ehe musterhaft;
aber wir lebten blos ohne Unglück. Zu dem Glücke

neigung, die ſo heftig und beinahe ausſchweifend ge¬
weſen war, hatte kein Glück gebracht. Ich heirathete
alſo ein Mädchen, welches nicht mehr jung war,
eine angenehme Bildung hatte, vom reinſten Wandel
war, und gegen mich tiefe Verehrung empfand. Man
ſagte, ich hätte reich geheirathet, weil mein Haus¬
weſen ein anſehnliches war; allein die Sache verhielt
ſich nicht ſo. Meine Gattin hatte mir eine namhafte
Mitgift gebracht, aber ich hätte eine größere Gabe
hinzulegen können. Da ich in meinem mäßigen Leben
beinahe nichts brauchte, ſo hatte ich, beſonders da ich
einmal in höherer Stellung war, bedeutende Er¬
ſparungen gemacht. Dieſe legte ich in den damaligen
Staatspapieren nieder, und da dieſelben nach Been¬
digung des Krieges anſehnlich ſtiegen, ſo war ich bei¬
nahe ein reicher Mann. Wir lebten zwei Jahre in
dieſer Ehe, und in dieſer wußte ich, was ich vor der
Schließung derſelben nicht gewußt hatte, daß nehmlich
keine ohne Neigung eingegangen werden ſoll. Wir
lebten in Eintracht, wir lebten in hoher Verehrung
der gegenſeitigen guten Eigenſchaften, wir lebten in
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aber wir lebten blos ohne Unglück. Zu dem Glücke

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[336/0350] neigung, die ſo heftig und beinahe ausſchweifend ge¬ weſen war, hatte kein Glück gebracht. Ich heirathete alſo ein Mädchen, welches nicht mehr jung war, eine angenehme Bildung hatte, vom reinſten Wandel war, und gegen mich tiefe Verehrung empfand. Man ſagte, ich hätte reich geheirathet, weil mein Haus¬ weſen ein anſehnliches war; allein die Sache verhielt ſich nicht ſo. Meine Gattin hatte mir eine namhafte Mitgift gebracht, aber ich hätte eine größere Gabe hinzulegen können. Da ich in meinem mäßigen Leben beinahe nichts brauchte, ſo hatte ich, beſonders da ich einmal in höherer Stellung war, bedeutende Er¬ ſparungen gemacht. Dieſe legte ich in den damaligen Staatspapieren nieder, und da dieſelben nach Been¬ digung des Krieges anſehnlich ſtiegen, ſo war ich bei¬ nahe ein reicher Mann. Wir lebten zwei Jahre in dieſer Ehe, und in dieſer wußte ich, was ich vor der Schließung derſelben nicht gewußt hatte, daß nehmlich keine ohne Neigung eingegangen werden ſoll. Wir lebten in Eintracht, wir lebten in hoher Verehrung der gegenſeitigen guten Eigenſchaften, wir lebten in wechſelweiſem Vertrauen und in wechſelweiſer Auf¬ merkſamkeit, man nannte unſere Ehe muſterhaft; aber wir lebten blos ohne Unglück. Zu dem Glücke

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/350>, abgerufen am 29.04.2024.