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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ich manche Beziehungen der Hauptstadt nicht. Ma¬
thilde hatte sich in etwas vorgerückteren Jahren ver¬
mählt. Der Friede wurde dauernd hergestellt, ich
blieb wieder beständig in der Hauptstadt, und hier
that ich etwas, das mir ein Vorwurf bis zu meinem
Lebensende sein wird, weil es nicht nach den reinen
Gesezen der Natur ist, obwohl es tausend Mal und
tausend Mal in der Welt geschieht. Ich heirathete
ohne Liebe und Neigung. Es war zwar keine Ab¬
neigung vorhanden, aber auch keine Neigung. Die
Hochachtung war gegenseitig groß. Man hatte mir
viel davon gesagt, daß es meine Pflicht sei, mir einen
Familienstand zu gründen, daß ich im Alter von
theuern Angehörigen umgeben sein müsse, die mich
lieben pflegen und schüzen, und auf die meine Ehren
und mein Name übergehen können. Es sei auch
Pflicht gegen die Menschheit und den Staat. Auf
meine Einwendung, daß ich eine Neigung gegen
irgend ein weibliches Wesen nicht habe, sagten sie,
Neigungen führen oft zu unglücklichen Verbindungen,
Kenntniß der gegenseitigen Beschaffenheit und wech¬
selseitige Hochachtung bauen dauerndes Glück. Troz
meiner gereifteren Jahre hatte ich in diesen Dingen
noch immer sehr wenige Kenntnisse. Meine Jugend¬

ich manche Beziehungen der Hauptſtadt nicht. Ma¬
thilde hatte ſich in etwas vorgerückteren Jahren ver¬
mählt. Der Friede wurde dauernd hergeſtellt, ich
blieb wieder beſtändig in der Hauptſtadt, und hier
that ich etwas, das mir ein Vorwurf bis zu meinem
Lebensende ſein wird, weil es nicht nach den reinen
Geſezen der Natur iſt, obwohl es tauſend Mal und
tauſend Mal in der Welt geſchieht. Ich heirathete
ohne Liebe und Neigung. Es war zwar keine Ab¬
neigung vorhanden, aber auch keine Neigung. Die
Hochachtung war gegenſeitig groß. Man hatte mir
viel davon geſagt, daß es meine Pflicht ſei, mir einen
Familienſtand zu gründen, daß ich im Alter von
theuern Angehörigen umgeben ſein müſſe, die mich
lieben pflegen und ſchüzen, und auf die meine Ehren
und mein Name übergehen können. Es ſei auch
Pflicht gegen die Menſchheit und den Staat. Auf
meine Einwendung, daß ich eine Neigung gegen
irgend ein weibliches Weſen nicht habe, ſagten ſie,
Neigungen führen oft zu unglücklichen Verbindungen,
Kenntniß der gegenſeitigen Beſchaffenheit und wech¬
ſelſeitige Hochachtung bauen dauerndes Glück. Troz
meiner gereifteren Jahre hatte ich in dieſen Dingen
noch immer ſehr wenige Kenntniſſe. Meine Jugend¬

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[335/0349] ich manche Beziehungen der Hauptſtadt nicht. Ma¬ thilde hatte ſich in etwas vorgerückteren Jahren ver¬ mählt. Der Friede wurde dauernd hergeſtellt, ich blieb wieder beſtändig in der Hauptſtadt, und hier that ich etwas, das mir ein Vorwurf bis zu meinem Lebensende ſein wird, weil es nicht nach den reinen Geſezen der Natur iſt, obwohl es tauſend Mal und tauſend Mal in der Welt geſchieht. Ich heirathete ohne Liebe und Neigung. Es war zwar keine Ab¬ neigung vorhanden, aber auch keine Neigung. Die Hochachtung war gegenſeitig groß. Man hatte mir viel davon geſagt, daß es meine Pflicht ſei, mir einen Familienſtand zu gründen, daß ich im Alter von theuern Angehörigen umgeben ſein müſſe, die mich lieben pflegen und ſchüzen, und auf die meine Ehren und mein Name übergehen können. Es ſei auch Pflicht gegen die Menſchheit und den Staat. Auf meine Einwendung, daß ich eine Neigung gegen irgend ein weibliches Weſen nicht habe, ſagten ſie, Neigungen führen oft zu unglücklichen Verbindungen, Kenntniß der gegenſeitigen Beſchaffenheit und wech¬ ſelſeitige Hochachtung bauen dauerndes Glück. Troz meiner gereifteren Jahre hatte ich in dieſen Dingen noch immer ſehr wenige Kenntniſſe. Meine Jugend¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/349>, abgerufen am 28.04.2024.