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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ses waren größtentheils vorausgegangen, und harr¬
ten unser in der Kirche. Einige befanden sich auch
in den Wägen. Der Zug fuhr langsam den Hügel
hinab.

In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von
Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung
ward vollbracht.

Zum Zurückfahren kamen Natalie und ich allein
in einen Wagen. Sie sprach nichts, der Schleier
blieb zurückgeschlagen, und Tropfen nach Tropfen floß
aus ihren Augen.

Da wir wieder in dem Marmorsaale waren, wur¬
den auf den langen Tisch, den man heute hier auf¬
gerichtet und mit vielen Stühlen umgeben hatte, von
Risach und von meinem Vater die Papiere nieder¬
gelegt, die sich auf unsere Vermählung und unser Ver¬
mögen bezogen. Ich aber nahm indessen Natalien an
der Hand, und führte sie durch das Bilder- und Lese¬
zimmer in das Bücherzimmer, in welchem wir allein
waren. Dort stellte ich mich ihr gegenüber, und brei¬
tete die Arme aus. Sie stürzte an meine Brust. Wir
umschlangen uns fest, und weinten beide beinahe laut.

"Meine theure, meine einzige Natalie!" sagte ich.

"O mein geliebter, mein theurer Gatte," antwor¬

ſes waren größtentheils vorausgegangen, und harr¬
ten unſer in der Kirche. Einige befanden ſich auch
in den Wägen. Der Zug fuhr langſam den Hügel
hinab.

In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von
Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung
ward vollbracht.

Zum Zurückfahren kamen Natalie und ich allein
in einen Wagen. Sie ſprach nichts, der Schleier
blieb zurückgeſchlagen, und Tropfen nach Tropfen floß
aus ihren Augen.

Da wir wieder in dem Marmorſaale waren, wur¬
den auf den langen Tiſch, den man heute hier auf¬
gerichtet und mit vielen Stühlen umgeben hatte, von
Riſach und von meinem Vater die Papiere nieder¬
gelegt, die ſich auf unſere Vermählung und unſer Ver¬
mögen bezogen. Ich aber nahm indeſſen Natalien an
der Hand, und führte ſie durch das Bilder- und Leſe¬
zimmer in das Bücherzimmer, in welchem wir allein
waren. Dort ſtellte ich mich ihr gegenüber, und brei¬
tete die Arme aus. Sie ſtürzte an meine Bruſt. Wir
umſchlangen uns feſt, und weinten beide beinahe laut.

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[410/0424] ſes waren größtentheils vorausgegangen, und harr¬ ten unſer in der Kirche. Einige befanden ſich auch in den Wägen. Der Zug fuhr langſam den Hügel hinab. In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung ward vollbracht. Zum Zurückfahren kamen Natalie und ich allein in einen Wagen. Sie ſprach nichts, der Schleier blieb zurückgeſchlagen, und Tropfen nach Tropfen floß aus ihren Augen. Da wir wieder in dem Marmorſaale waren, wur¬ den auf den langen Tiſch, den man heute hier auf¬ gerichtet und mit vielen Stühlen umgeben hatte, von Riſach und von meinem Vater die Papiere nieder¬ gelegt, die ſich auf unſere Vermählung und unſer Ver¬ mögen bezogen. Ich aber nahm indeſſen Natalien an der Hand, und führte ſie durch das Bilder- und Leſe¬ zimmer in das Bücherzimmer, in welchem wir allein waren. Dort ſtellte ich mich ihr gegenüber, und brei¬ tete die Arme aus. Sie ſtürzte an meine Bruſt. Wir umſchlangen uns feſt, und weinten beide beinahe laut. „Meine theure, meine einzige Natalie!“ ſagte ich. „O mein geliebter, mein theurer Gatte,“ antwor¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/424>, abgerufen am 14.05.2024.