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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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auf dieser Erde," erwiederte ich, "es ist mir noch wie
im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will
es erhalten, so lange ich lebe."

Ich küßte sie auf den Mund, den sie freundlich
both. In ihre feinen Wangen war das Roth zurück¬
gekehrt.

In diesem Augenblicke hörten wir Tritte in dem
Nebenzimmer, und Mathilde meine Mutter Risach
mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten,
traten ein.

"Mutter, theure Mutter," sagte ich zu Mathil¬
den, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand
faßte, und sie zu küssen strebte. Mathilde hatte sich
nie die Hand von irgend jemanden küssen lassen. Die¬
ses Mal erlaubte sie, daß ich es thue, indem sie sanft
sagte: "Nur das eine Mal."

Dann küßte sie mich auf die Stirne, und sagte:
"Sei so glücklich, mein Sohn, als du es verdienst,
und als es die wünscht, die dir heute ihr halbes Leben
gegeben hat."

Risach sagte zu mir: "Mein Sohn, ich werde
dich jezt du nennen, und du mußt zu mir wie zu dei¬
nem ersten Vater auch dies Wörtchen sagen -- mein
Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine

auf dieſer Erde,“ erwiederte ich, „es iſt mir noch wie
im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will
es erhalten, ſo lange ich lebe.“

Ich küßte ſie auf den Mund, den ſie freundlich
both. In ihre feinen Wangen war das Roth zurück¬
gekehrt.

In dieſem Augenblicke hörten wir Tritte in dem
Nebenzimmer, und Mathilde meine Mutter Riſach
mein Vater und Klotilde, die uns geſucht hatten,
traten ein.

„Mutter, theure Mutter,“ ſagte ich zu Mathil¬
den, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand
faßte, und ſie zu küſſen ſtrebte. Mathilde hatte ſich
nie die Hand von irgend jemanden küſſen laſſen. Die¬
ſes Mal erlaubte ſie, daß ich es thue, indem ſie ſanft
ſagte: „Nur das eine Mal.“

Dann küßte ſie mich auf die Stirne, und ſagte:
„Sei ſo glücklich, mein Sohn, als du es verdienſt,
und als es die wünſcht, die dir heute ihr halbes Leben
gegeben hat.“

Riſach ſagte zu mir: „Mein Sohn, ich werde
dich jezt du nennen, und du mußt zu mir wie zu dei¬
nem erſten Vater auch dies Wörtchen ſagen — mein
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[412/0426] auf dieſer Erde,“ erwiederte ich, „es iſt mir noch wie im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will es erhalten, ſo lange ich lebe.“ Ich küßte ſie auf den Mund, den ſie freundlich both. In ihre feinen Wangen war das Roth zurück¬ gekehrt. In dieſem Augenblicke hörten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde meine Mutter Riſach mein Vater und Klotilde, die uns geſucht hatten, traten ein. „Mutter, theure Mutter,“ ſagte ich zu Mathil¬ den, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand faßte, und ſie zu küſſen ſtrebte. Mathilde hatte ſich nie die Hand von irgend jemanden küſſen laſſen. Die¬ ſes Mal erlaubte ſie, daß ich es thue, indem ſie ſanft ſagte: „Nur das eine Mal.“ Dann küßte ſie mich auf die Stirne, und ſagte: „Sei ſo glücklich, mein Sohn, als du es verdienſt, und als es die wünſcht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat.“ Riſach ſagte zu mir: „Mein Sohn, ich werde dich jezt du nennen, und du mußt zu mir wie zu dei¬ nem erſten Vater auch dies Wörtchen ſagen — mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, iſt deine

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/426>, abgerufen am 14.05.2024.