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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Meine Mutter küßte Natalien noch einmal, und
sagte: "Du liebe gute theure Tochter."

Natalie gab den Kuß zurück, und schlang die
Arme um den Hals meiner Mutter.

"Kinder, jezt müssen wir zu den andern gehen,"
sagte Risach.

Wir gingen in den Saal. Dort gab Risach Pa¬
piere in die Hände Nataliens. Sie legte sie in die
meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle
Anwesenden wünschten uns nun Glück, vor allen
Gustav, den ich die lezte Zeit her gar nicht ge¬
sehen hatte. Er fiel der Schwester um den Hals und
auch mir. In seinen schönen Augen perlten Thränen.
Dann beglückwünschten uns Eustach Roland die vom
Inghofe der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf
unser erstes Zusammentreffen in diesem Hause an
jenem Gewitterabende erinnerte, und alle andern.

Risach sagte, daß jezt jedem zwei Stunden zur
Verfügung gegeben seien, dann müsse sich Alles in
dem Marmorsaale zu einem kleinen Mahle ver¬
sammeln.

Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in
die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß sie dort die
Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Woh¬

Meine Mutter küßte Natalien noch einmal, und
ſagte: „Du liebe gute theure Tochter.“

Natalie gab den Kuß zurück, und ſchlang die
Arme um den Hals meiner Mutter.

„Kinder, jezt müſſen wir zu den andern gehen,“
ſagte Riſach.

Wir gingen in den Saal. Dort gab Riſach Pa¬
piere in die Hände Nataliens. Sie legte ſie in die
meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle
Anweſenden wünſchten uns nun Glück, vor allen
Guſtav, den ich die lezte Zeit her gar nicht ge¬
ſehen hatte. Er fiel der Schweſter um den Hals und
auch mir. In ſeinen ſchönen Augen perlten Thränen.
Dann beglückwünſchten uns Euſtach Roland die vom
Inghofe der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf
unſer erſtes Zuſammentreffen in dieſem Hauſe an
jenem Gewitterabende erinnerte, und alle andern.

Riſach ſagte, daß jezt jedem zwei Stunden zur
Verfügung gegeben ſeien, dann müſſe ſich Alles in
dem Marmorſaale zu einem kleinen Mahle ver¬
ſammeln.

Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in
die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß ſie dort die
Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Woh¬

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[415/0429] Meine Mutter küßte Natalien noch einmal, und ſagte: „Du liebe gute theure Tochter.“ Natalie gab den Kuß zurück, und ſchlang die Arme um den Hals meiner Mutter. „Kinder, jezt müſſen wir zu den andern gehen,“ ſagte Riſach. Wir gingen in den Saal. Dort gab Riſach Pa¬ piere in die Hände Nataliens. Sie legte ſie in die meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle Anweſenden wünſchten uns nun Glück, vor allen Guſtav, den ich die lezte Zeit her gar nicht ge¬ ſehen hatte. Er fiel der Schweſter um den Hals und auch mir. In ſeinen ſchönen Augen perlten Thränen. Dann beglückwünſchten uns Euſtach Roland die vom Inghofe der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf unſer erſtes Zuſammentreffen in dieſem Hauſe an jenem Gewitterabende erinnerte, und alle andern. Riſach ſagte, daß jezt jedem zwei Stunden zur Verfügung gegeben ſeien, dann müſſe ſich Alles in dem Marmorſaale zu einem kleinen Mahle ver¬ ſammeln. Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß ſie dort die Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Woh¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/429>, abgerufen am 14.05.2024.