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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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unterrichtet, und der Vater ging uns in religiösen und
sittlichen Dingen mit einem guten Beispiele voran.
Aber wie es in dem früheren Unterrichte gewesen war,
so war es hier auch wieder. Der Bruder lernte alles
recht gut, er machte seine Aufgaben gut, er konnte das
Lateinische und Griechische deutsch sagen, er konnte die
Buchstabenrechnungen machen, und seine Briefe und
Aufsäze waren, als hätte sie ein erwachsener Mensch
geschrieben. Ich konnte das nicht. Ich war zwar auch
recht fleißig, und im Anfange eines jeden Dinges
ging es nicht übel, ich verstand es, und konnte es sa¬
gen und machen; aber wenn wir weiter vorrükten,
entstand eine Verwirrung, die Sachen kreuzten sich,
ich konnte mich nicht zurecht finden, und hatte keine
Einsicht. In den Übertragungen aus der deutschen
Sprache befolgte ich alle Regeln sehr genau, aber da
waren immer bei einem Worte mehrere Regeln, die
sich widersprachen, und wenn die Arbeit fertig war,
so war sie voll Fehler. Eben so ging es bei den Über¬
tragungen in das Deutsche. Es standen in dem latei¬
nischen oder griechischen Buche immer so fremde
Worte, die sich nicht fügen wollten, und wenn ich sie
in dem Wörterbuche aufschlug, waren sie nicht darin,
und die Regeln, die wir in unserer Sprachlehre lern¬
ten, waren in den griechischen und lateinischen Bü¬

unterrichtet, und der Vater ging uns in religiöſen und
ſittlichen Dingen mit einem guten Beiſpiele voran.
Aber wie es in dem früheren Unterrichte geweſen war,
ſo war es hier auch wieder. Der Bruder lernte alles
recht gut, er machte ſeine Aufgaben gut, er konnte das
Lateiniſche und Griechiſche deutſch ſagen, er konnte die
Buchſtabenrechnungen machen, und ſeine Briefe und
Aufſäze waren, als hätte ſie ein erwachſener Menſch
geſchrieben. Ich konnte das nicht. Ich war zwar auch
recht fleißig, und im Anfange eines jeden Dinges
ging es nicht übel, ich verſtand es, und konnte es ſa¬
gen und machen; aber wenn wir weiter vorrükten,
entſtand eine Verwirrung, die Sachen kreuzten ſich,
ich konnte mich nicht zurecht finden, und hatte keine
Einſicht. In den Übertragungen aus der deutſchen
Sprache befolgte ich alle Regeln ſehr genau, aber da
waren immer bei einem Worte mehrere Regeln, die
ſich widerſprachen, und wenn die Arbeit fertig war,
ſo war ſie voll Fehler. Eben ſo ging es bei den Über¬
tragungen in das Deutſche. Es ſtanden in dem latei¬
niſchen oder griechiſchen Buche immer ſo fremde
Worte, die ſich nicht fügen wollten, und wenn ich ſie
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[149/0162] unterrichtet, und der Vater ging uns in religiöſen und ſittlichen Dingen mit einem guten Beiſpiele voran. Aber wie es in dem früheren Unterrichte geweſen war, ſo war es hier auch wieder. Der Bruder lernte alles recht gut, er machte ſeine Aufgaben gut, er konnte das Lateiniſche und Griechiſche deutſch ſagen, er konnte die Buchſtabenrechnungen machen, und ſeine Briefe und Aufſäze waren, als hätte ſie ein erwachſener Menſch geſchrieben. Ich konnte das nicht. Ich war zwar auch recht fleißig, und im Anfange eines jeden Dinges ging es nicht übel, ich verſtand es, und konnte es ſa¬ gen und machen; aber wenn wir weiter vorrükten, entſtand eine Verwirrung, die Sachen kreuzten ſich, ich konnte mich nicht zurecht finden, und hatte keine Einſicht. In den Übertragungen aus der deutſchen Sprache befolgte ich alle Regeln ſehr genau, aber da waren immer bei einem Worte mehrere Regeln, die ſich widerſprachen, und wenn die Arbeit fertig war, ſo war ſie voll Fehler. Eben ſo ging es bei den Über¬ tragungen in das Deutſche. Es ſtanden in dem latei¬ niſchen oder griechiſchen Buche immer ſo fremde Worte, die ſich nicht fügen wollten, und wenn ich ſie in dem Wörterbuche aufſchlug, waren ſie nicht darin, und die Regeln, die wir in unſerer Sprachlehre lern¬ ten, waren in den griechiſchen und lateiniſchen Bü¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/162>, abgerufen am 29.04.2024.