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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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dem Vorhause befindliche Gewölbe versiegelt waren.
Die einzige hölzerne Bank, die Schlafstätte des Pfar¬
rers, stand an ihrer Stelle, und niemand hatte an sie
gedacht. Die Bibel aber lag nicht mehr auf der
Bank, man sagte, sie sei in das Stüblein gebracht
worden.

Als die zwei Tage vorüber waren, die man als
Frist zur Eröffnung des Testamentes anberaumt hatte,
begab ich mich nach Karsberg, und verfügte mich zur
festgesezten Stunde in den Gerichtssaal. Es waren
mehrere Menschen zusammen gekommen, und es wa¬
ren die Vorstände der Pfarrgemeinde und die Zeugen
geladen worden. Die zwei Testamente und das Ver¬
zeichniß der Verlassenschaft des Pfarrers lagen auf
dem Tische. Man wies mir meine Bescheinigung über
den Empfang des Testamentes des Pfarrers vor, die in
der Verlassenschaft gefunden worden war, und foderte
mich zur Vorzeigung des Testamentes auf. Ich über¬
reichte es. Man untersuchte Schrift und Siegel, und
erkannte die Richtigkeit des Testamentes an.

Nach herkömmlicher Art wurde nun das gericht¬
lich niedergelegte Testament zuerst eröffnet, und gele¬
sen. Dann folgte das von mir übergebene. Es lau¬
tete Wort für Wort wie das erste. Endlich wurde
das in der Wohnung des Pfarrers vorgefundene

dem Vorhauſe befindliche Gewölbe verſiegelt waren.
Die einzige hölzerne Bank, die Schlafſtätte des Pfar¬
rers, ſtand an ihrer Stelle, und niemand hatte an ſie
gedacht. Die Bibel aber lag nicht mehr auf der
Bank, man ſagte, ſie ſei in das Stüblein gebracht
worden.

Als die zwei Tage vorüber waren, die man als
Friſt zur Eröffnung des Teſtamentes anberaumt hatte,
begab ich mich nach Karsberg, und verfügte mich zur
feſtgeſezten Stunde in den Gerichtsſaal. Es waren
mehrere Menſchen zuſammen gekommen, und es wa¬
ren die Vorſtände der Pfarrgemeinde und die Zeugen
geladen worden. Die zwei Teſtamente und das Ver¬
zeichniß der Verlaſſenſchaft des Pfarrers lagen auf
dem Tiſche. Man wies mir meine Beſcheinigung über
den Empfang des Teſtamentes des Pfarrers vor, die in
der Verlaſſenſchaft gefunden worden war, und foderte
mich zur Vorzeigung des Teſtamentes auf. Ich über¬
reichte es. Man unterſuchte Schrift und Siegel, und
erkannte die Richtigkeit des Teſtamentes an.

Nach herkömmlicher Art wurde nun das gericht¬
lich niedergelegte Teſtament zuerſt eröffnet, und gele¬
ſen. Dann folgte das von mir übergebene. Es lau¬
tete Wort für Wort wie das erſte. Endlich wurde
das in der Wohnung des Pfarrers vorgefundene

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[185/0198] dem Vorhauſe befindliche Gewölbe verſiegelt waren. Die einzige hölzerne Bank, die Schlafſtätte des Pfar¬ rers, ſtand an ihrer Stelle, und niemand hatte an ſie gedacht. Die Bibel aber lag nicht mehr auf der Bank, man ſagte, ſie ſei in das Stüblein gebracht worden. Als die zwei Tage vorüber waren, die man als Friſt zur Eröffnung des Teſtamentes anberaumt hatte, begab ich mich nach Karsberg, und verfügte mich zur feſtgeſezten Stunde in den Gerichtsſaal. Es waren mehrere Menſchen zuſammen gekommen, und es wa¬ ren die Vorſtände der Pfarrgemeinde und die Zeugen geladen worden. Die zwei Teſtamente und das Ver¬ zeichniß der Verlaſſenſchaft des Pfarrers lagen auf dem Tiſche. Man wies mir meine Beſcheinigung über den Empfang des Teſtamentes des Pfarrers vor, die in der Verlaſſenſchaft gefunden worden war, und foderte mich zur Vorzeigung des Teſtamentes auf. Ich über¬ reichte es. Man unterſuchte Schrift und Siegel, und erkannte die Richtigkeit des Teſtamentes an. Nach herkömmlicher Art wurde nun das gericht¬ lich niedergelegte Teſtament zuerſt eröffnet, und gele¬ ſen. Dann folgte das von mir übergebene. Es lau¬ tete Wort für Wort wie das erſte. Endlich wurde das in der Wohnung des Pfarrers vorgefundene

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/198>, abgerufen am 29.04.2024.