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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Men¬
schen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast
niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur -- geträumt.
Der Selbstgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich
einem Andern dienen zu müssen meine, daß Ich Mich ihm
verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu "Aufopferung", "Hin¬
gebung", "Begeisterung" berufen halte. Wohlan, diene Ich
keiner Idee, keinem "höheren Wesen" mehr, so findet sich's
von selbst, daß Ich auch keinem Menschen mehr diene, sondern
-- unter allen Umständen -- Mir. So aber bin Ich nicht
bloß der That oder dem Sein nach, sondern auch für mein
Bewußtsein der -- Einzige.

Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menschliche
u. s. w.; Dir kommt das Deinige zu.

Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich aus¬
giebt, so hast Du mehr Macht; sieh Dich als mehr an, so
hast Du mehr.

Du bist dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen,
berechtigt zu allem Menschlichen, sondern Eigner des Dei¬
nigen, d. h. alles dessen, was Du Dir zu eigen zu machen
Kraft besitzest, d.h. Du bist geeignet und befähigt zu allem
Deinigen.

Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner
liegende Bestimmung geben zu müssen, so daß man zuletzt Mir
zumuthete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen,
weil Ich -- Mensch sei. Dieß ist der christliche Zauberkreis.
Auch Fichte's Ich ist dasselbe Wesen außer Mir, denn Ich
ist Jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es "das Ich",
nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern
Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher

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Geifer deiner Beſeſſenheit; denn Du liebſt nicht die Men¬
ſchen, ſondern den Menſchen. Ich aber ſage Dir, Du haſt
niemals einen Sünder geſehen, Du haſt ihn nur — geträumt.
Der Selbſtgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich
einem Andern dienen zu müſſen meine, daß Ich Mich ihm
verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu „Aufopferung“, „Hin¬
gebung“, „Begeiſterung“ berufen halte. Wohlan, diene Ich
keiner Idee, keinem „höheren Weſen“ mehr, ſo findet ſich's
von ſelbſt, daß Ich auch keinem Menſchen mehr diene, ſondern
— unter allen Umſtänden — Mir. So aber bin Ich nicht
bloß der That oder dem Sein nach, ſondern auch für mein
Bewußtſein der — Einzige.

Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menſchliche
u. ſ. w.; Dir kommt das Deinige zu.

Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich aus¬
giebt, ſo haſt Du mehr Macht; ſieh Dich als mehr an, ſo
haſt Du mehr.

Du biſt dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen,
berechtigt zu allem Menſchlichen, ſondern Eigner des Dei¬
nigen, d. h. alles deſſen, was Du Dir zu eigen zu machen
Kraft beſitzeſt, d.h. Du biſt geeignet und befähigt zu allem
Deinigen.

Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner
liegende Beſtimmung geben zu müſſen, ſo daß man zuletzt Mir
zumuthete, Ich ſollte das Menſchliche in Anſpruch nehmen,
weil Ich — Menſch ſei. Dieß iſt der chriſtliche Zauberkreis.
Auch Fichte's Ich iſt daſſelbe Weſen außer Mir, denn Ich
iſt Jeder, und hat nur dieſes Ich Rechte, ſo iſt es „das Ich“,
nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern
Ichen, ſondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher

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[483/0491] Geifer deiner Beſeſſenheit; denn Du liebſt nicht die Men¬ ſchen, ſondern den Menſchen. Ich aber ſage Dir, Du haſt niemals einen Sünder geſehen, Du haſt ihn nur — geträumt. Der Selbſtgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich einem Andern dienen zu müſſen meine, daß Ich Mich ihm verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu „Aufopferung“, „Hin¬ gebung“, „Begeiſterung“ berufen halte. Wohlan, diene Ich keiner Idee, keinem „höheren Weſen“ mehr, ſo findet ſich's von ſelbſt, daß Ich auch keinem Menſchen mehr diene, ſondern — unter allen Umſtänden — Mir. So aber bin Ich nicht bloß der That oder dem Sein nach, ſondern auch für mein Bewußtſein der — Einzige. Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menſchliche u. ſ. w.; Dir kommt das Deinige zu. Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich aus¬ giebt, ſo haſt Du mehr Macht; ſieh Dich als mehr an, ſo haſt Du mehr. Du biſt dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen, berechtigt zu allem Menſchlichen, ſondern Eigner des Dei¬ nigen, d. h. alles deſſen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft beſitzeſt, d.h. Du biſt geeignet und befähigt zu allem Deinigen. Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner liegende Beſtimmung geben zu müſſen, ſo daß man zuletzt Mir zumuthete, Ich ſollte das Menſchliche in Anſpruch nehmen, weil Ich — Menſch ſei. Dieß iſt der chriſtliche Zauberkreis. Auch Fichte's Ich iſt daſſelbe Weſen außer Mir, denn Ich iſt Jeder, und hat nur dieſes Ich Rechte, ſo iſt es „das Ich“, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, ſondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher 31*

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/491>, abgerufen am 27.04.2024.