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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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türliche Gutmüthigkeit des Pöbels erwecken,
und seinen Beutel oder sein Leben vor den An-
griffen desselben sichern. Unter mehreren auf-
fallenden Beyspielen, welche diese Verfahrungs-
art bewähren, nur eins zur Probe.

Eine Dame von meiner Bekanntschaft
reiste vor einigen Jahren im Innern des Reichs.
Ihr Weg gieng durch ein Dorf, das sich seit
kurzem durch Räubereyen und Mordthaten in
der ganzen Gegend furchtbar gemacht hatte.
Durch unvorhergesehene Umstände verzögert sich
ihre Ankunft bis in die Nacht, und da die
Postbauern sich schlechterdings weigern, sie wei-
ter zu führen, sieht sie sich genöthigt, in einer
Hütte abzusteigen. Eine Unterredung ihres
Führers mit einigen Leuten des Dorfs, der sie
unter der Begünstigung der Dunkelheit bey-
wohnt, flößt ihr die gerechtesten und schreck-
lichsten Besorgnisse ein. Bey ihrem Eintritt
in die Hütte wird sie mehrere Kerle gewahr,
die sich nach Landessitte auf dem Ofen gela-
gert haben. Ein altes Weib, deren Physio-
gnomie eben nicht geschickt war, Zutrauen ein-
zuflößen, beginnt ihren Empfang mit der Frage:
warum sie sich geweigert habe, die Nacht im

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tuͤrliche Gutmuͤthigkeit des Poͤbels erwecken,
und ſeinen Beutel oder ſein Leben vor den An-
griffen deſſelben ſichern. Unter mehreren auf-
fallenden Beyſpielen, welche dieſe Verfahrungs-
art bewaͤhren, nur eins zur Probe.

Eine Dame von meiner Bekanntſchaft
reiſte vor einigen Jahren im Innern des Reichs.
Ihr Weg gieng durch ein Dorf, das ſich ſeit
kurzem durch Raͤubereyen und Mordthaten in
der ganzen Gegend furchtbar gemacht hatte.
Durch unvorhergeſehene Umſtaͤnde verzoͤgert ſich
ihre Ankunft bis in die Nacht, und da die
Poſtbauern ſich ſchlechterdings weigern, ſie wei-
ter zu fuͤhren, ſieht ſie ſich genoͤthigt, in einer
Huͤtte abzuſteigen. Eine Unterredung ihres
Fuͤhrers mit einigen Leuten des Dorfs, der ſie
unter der Beguͤnſtigung der Dunkelheit bey-
wohnt, floͤßt ihr die gerechteſten und ſchreck-
lichſten Beſorgniſſe ein. Bey ihrem Eintritt
in die Huͤtte wird ſie mehrere Kerle gewahr,
die ſich nach Landesſitte auf dem Ofen gela-
gert haben. Ein altes Weib, deren Phyſio-
gnomie eben nicht geſchickt war, Zutrauen ein-
zufloͤßen, beginnt ihren Empfang mit der Frage:
warum ſie ſich geweigert habe, die Nacht im

L 5
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[169/0203] tuͤrliche Gutmuͤthigkeit des Poͤbels erwecken, und ſeinen Beutel oder ſein Leben vor den An- griffen deſſelben ſichern. Unter mehreren auf- fallenden Beyſpielen, welche dieſe Verfahrungs- art bewaͤhren, nur eins zur Probe. Eine Dame von meiner Bekanntſchaft reiſte vor einigen Jahren im Innern des Reichs. Ihr Weg gieng durch ein Dorf, das ſich ſeit kurzem durch Raͤubereyen und Mordthaten in der ganzen Gegend furchtbar gemacht hatte. Durch unvorhergeſehene Umſtaͤnde verzoͤgert ſich ihre Ankunft bis in die Nacht, und da die Poſtbauern ſich ſchlechterdings weigern, ſie wei- ter zu fuͤhren, ſieht ſie ſich genoͤthigt, in einer Huͤtte abzuſteigen. Eine Unterredung ihres Fuͤhrers mit einigen Leuten des Dorfs, der ſie unter der Beguͤnſtigung der Dunkelheit bey- wohnt, floͤßt ihr die gerechteſten und ſchreck- lichſten Beſorgniſſe ein. Bey ihrem Eintritt in die Huͤtte wird ſie mehrere Kerle gewahr, die ſich nach Landesſitte auf dem Ofen gela- gert haben. Ein altes Weib, deren Phyſio- gnomie eben nicht geſchickt war, Zutrauen ein- zufloͤßen, beginnt ihren Empfang mit der Frage: warum ſie ſich geweigert habe, die Nacht im L 5

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/203>, abgerufen am 27.04.2024.