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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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ward ihm sein Urtheil mit folgenden Worten an-
gekündigt: "Sie haben ein Verbrechen began-
gen, für welches Sie in jedem andern Lande mit
dem Leben würden büßen müssen; die Gnade
der Kaiserinn schenkt Ihnen, in Rücksicht auf
Ihr offenherziges Geständniß, nicht nur dieses,
sondern mildert Ihre Strafe in eine Entfernung
nach einem abgelegenen Grenzort, wo Sie so
lange bleiben werden, bis der Krieg geendigt
seyn wird. Alsdann steht es Ihnen frey, dieses
Land zu verlassen." Der überraschte und be-
täubte Inquisit hatte noch nicht Zeit, sich von
seiner angenehmen Bestürzung zu erholen, als
ihm eine Banknote von hundert Rubeln mit der
Aeußerung eingehändigt wurde, daß er dieses
Geschenk einem erhabenen Wohlthäter zu danken
habe, der sein Schicksal durch diese Kleinigkeit
zu erleichtern wünsche. Der Verbannungsort
des Gefangenen lag im äußersten Sibirien. Er
sollte hier täglich eine bestimmte Summe zu sei-
nem Unterhalt empfangen, die ihm aber durch
zufällige Umstände nicht ausgezahlt ward; doch
fand er unter den dortigen Einwohnern gutmü-
thige Menschen, die sichs recht herzlich angelegen
seyn ließen, für alle seine Bedürfnisse zu sorgen. --

ward ihm ſein Urtheil mit folgenden Worten an-
gekuͤndigt: „Sie haben ein Verbrechen began-
gen, fuͤr welches Sie in jedem andern Lande mit
dem Leben wuͤrden buͤßen muͤſſen; die Gnade
der Kaiſerinn ſchenkt Ihnen, in Ruͤckſicht auf
Ihr offenherziges Geſtaͤndniß, nicht nur dieſes,
ſondern mildert Ihre Strafe in eine Entfernung
nach einem abgelegenen Grenzort, wo Sie ſo
lange bleiben werden, bis der Krieg geendigt
ſeyn wird. Alsdann ſteht es Ihnen frey, dieſes
Land zu verlaſſen.“ Der uͤberraſchte und be-
taͤubte Inquiſit hatte noch nicht Zeit, ſich von
ſeiner angenehmen Beſtuͤrzung zu erholen, als
ihm eine Banknote von hundert Rubeln mit der
Aeußerung eingehaͤndigt wurde, daß er dieſes
Geſchenk einem erhabenen Wohlthaͤter zu danken
habe, der ſein Schickſal durch dieſe Kleinigkeit
zu erleichtern wuͤnſche. Der Verbannungsort
des Gefangenen lag im aͤußerſten Sibirien. Er
ſollte hier taͤglich eine beſtimmte Summe zu ſei-
nem Unterhalt empfangen, die ihm aber durch
zufaͤllige Umſtaͤnde nicht ausgezahlt ward; doch
fand er unter den dortigen Einwohnern gutmuͤ-
thige Menſchen, die ſichs recht herzlich angelegen
ſeyn ließen, fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe zu ſorgen. —

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[180/0214] ward ihm ſein Urtheil mit folgenden Worten an- gekuͤndigt: „Sie haben ein Verbrechen began- gen, fuͤr welches Sie in jedem andern Lande mit dem Leben wuͤrden buͤßen muͤſſen; die Gnade der Kaiſerinn ſchenkt Ihnen, in Ruͤckſicht auf Ihr offenherziges Geſtaͤndniß, nicht nur dieſes, ſondern mildert Ihre Strafe in eine Entfernung nach einem abgelegenen Grenzort, wo Sie ſo lange bleiben werden, bis der Krieg geendigt ſeyn wird. Alsdann ſteht es Ihnen frey, dieſes Land zu verlaſſen.“ Der uͤberraſchte und be- taͤubte Inquiſit hatte noch nicht Zeit, ſich von ſeiner angenehmen Beſtuͤrzung zu erholen, als ihm eine Banknote von hundert Rubeln mit der Aeußerung eingehaͤndigt wurde, daß er dieſes Geſchenk einem erhabenen Wohlthaͤter zu danken habe, der ſein Schickſal durch dieſe Kleinigkeit zu erleichtern wuͤnſche. Der Verbannungsort des Gefangenen lag im aͤußerſten Sibirien. Er ſollte hier taͤglich eine beſtimmte Summe zu ſei- nem Unterhalt empfangen, die ihm aber durch zufaͤllige Umſtaͤnde nicht ausgezahlt ward; doch fand er unter den dortigen Einwohnern gutmuͤ- thige Menſchen, die ſichs recht herzlich angelegen ſeyn ließen, fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe zu ſorgen. —

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/214>, abgerufen am 27.04.2024.