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Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

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strauchelte sein Fuß an einer Treppenstiege; er klomm hinauf, da kam es hinter ihm - nein, es war nur der Hund. Die Treppe wand sich höher, nur hier und da ein Mauerloch, durch das die Nachtluft zog, dann oben eine offene Luke. Er stieg hindurch und warf sie zu.

Es war die Platte des stumpfen Thurmes, die er erklommen hatte; vom Hofe drunten kam kein Laut herauf; sanft rauschte der Lindenwipfel aus der Tiefe, denn der Abendwind war fast entschlafen; über ihm flammte der Himmel in seinen Millionen Sternen, und von Süden schimmerte die Bucht des kleinen Beltes; über die Wasser hatte der Mondschein eine Brücke von Licht geworfen.

Rolf lag auf beiden Knien, die Liebste in seinem Schooß. "Weg mit den Todtenbinden!" sprach er leise und löste die breiten weißen Bänder, die das zarte Haupt umschlossen hielten; wie traurige Freude flog es durch seine Augen, als jetzt das schwarze Seidenhaar hervorquoll; "Du bist es, süße, heilige Dagmar!"

Da schollen Schritte von der Wendelstiege her; rasch und zornig kamen sie herauf. Er sprang empor, er lief zur Brüstung und hielt die Todte auf beiden Armen in den weiten Himmelsraum hinaus:

strauchelte sein Fuß an einer Treppenstiege; er klomm hinauf, da kam es hinter ihm – nein, es war nur der Hund. Die Treppe wand sich höher, nur hier und da ein Mauerloch, durch das die Nachtluft zog, dann oben eine offene Luke. Er stieg hindurch und warf sie zu.

Es war die Platte des stumpfen Thurmes, die er erklommen hatte; vom Hofe drunten kam kein Laut herauf; sanft rauschte der Lindenwipfel aus der Tiefe, denn der Abendwind war fast entschlafen; über ihm flammte der Himmel in seinen Millionen Sternen, und von Süden schimmerte die Bucht des kleinen Beltes; über die Wasser hatte der Mondschein eine Brücke von Licht geworfen.

Rolf lag auf beiden Knien, die Liebste in seinem Schooß. „Weg mit den Todtenbinden!“ sprach er leise und löste die breiten weißen Bänder, die das zarte Haupt umschlossen hielten; wie traurige Freude flog es durch seine Augen, als jetzt das schwarze Seidenhaar hervorquoll; „Du bist es, süße, heilige Dagmar!“

Da schollen Schritte von der Wendelstiege her; rasch und zornig kamen sie herauf. Er sprang empor, er lief zur Brüstung und hielt die Todte auf beiden Armen in den weiten Himmelsraum hinaus:

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[219/0223] strauchelte sein Fuß an einer Treppenstiege; er klomm hinauf, da kam es hinter ihm – nein, es war nur der Hund. Die Treppe wand sich höher, nur hier und da ein Mauerloch, durch das die Nachtluft zog, dann oben eine offene Luke. Er stieg hindurch und warf sie zu. Es war die Platte des stumpfen Thurmes, die er erklommen hatte; vom Hofe drunten kam kein Laut herauf; sanft rauschte der Lindenwipfel aus der Tiefe, denn der Abendwind war fast entschlafen; über ihm flammte der Himmel in seinen Millionen Sternen, und von Süden schimmerte die Bucht des kleinen Beltes; über die Wasser hatte der Mondschein eine Brücke von Licht geworfen. Rolf lag auf beiden Knien, die Liebste in seinem Schooß. „Weg mit den Todtenbinden!“ sprach er leise und löste die breiten weißen Bänder, die das zarte Haupt umschlossen hielten; wie traurige Freude flog es durch seine Augen, als jetzt das schwarze Seidenhaar hervorquoll; „Du bist es, süße, heilige Dagmar!“ Da schollen Schritte von der Wendelstiege her; rasch und zornig kamen sie herauf. Er sprang empor, er lief zur Brüstung und hielt die Todte auf beiden Armen in den weiten Himmelsraum hinaus:

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Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/223>, abgerufen am 12.05.2024.